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Schweinfurt/Bad Neustadt
"Der Staat muss mehr machen": Bayerns DGB-Chef Bernhard Stiedl zum Stellenabbau in Main-Rhön
Große Krise in Unterfrankens Industrie, Preh, ZF und andere Unternehmen wollen massiv Stellen streichen. Warum der bayerische DGB-Vorsitzende dennoch zuversichtlich ist.
Ist zuversichtlich, dass Unterfrankens krisengeschüttelte Industrie eine Perspektive hat: Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl beim Redaktionsgespräch in Würzburg. 
Foto: Thomas Obermeier | Ist zuversichtlich, dass Unterfrankens krisengeschüttelte Industrie eine Perspektive hat: Bayerns DGB-Vorsitzender Bernhard Stiedl beim Redaktionsgespräch in Würzburg. 
Jürgen Haug-Peichl
 |  aktualisiert: 02.08.2024 02:43 Uhr

Massiver Stellenabbau bei Großunternehmen in Unterfranken, vor allem die Industrie in Schweinfurt und Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) ist betroffen. Wenn Mitte September die neue Tarifrunde im Freistaat beginnt, will die IG Metall dennoch ein deutliches Plus bei den Löhnen und Gehältern verlangen. Bernhard Stiedl, der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in Bayern, ist trotz allem zuversichtlich.

Im Interview zur aktuellen Situation nimmt der 53-Jährige Betriebe und Politik gleichermaßen in die Pflicht.

Preh, ZF, Valeo, Schaeffler und andere: In der Region Main-Rhön zeichnet sich ein massiver Stellenabbau in der Industrie ab. Welches Gefühl haben Sie dabei?

Bernhard Stiedl: Es belastet. Denn dahinter stehen Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren werden. Da leide ich ein Stück weit mit. Darum macht der DGB Vorschläge, wie man diese Arbeitsplätze retten kann: runder Tisch, neue und innovative Produkte in den Unternehmen. Die Politik muss ihren Beitrag mit notwendigen Investitionen leisten.

Welche Perspektive sehen Sie für die Wirtschaft in der Region?

Stiedl: Ich bin sehr zuversichtlich. Hier gab es schon vor zehn, 15 Jahren eine schwierige Situation. Der Turnaround wurde geschafft. Das gelingt uns diesmal wieder. Dazu müssen aber alle Beteiligten Verantwortung übernehmen. Wie gesagt, da ist die Politik stark gefordert, aber auch die Unternehmen sind es. Sie müssen neue, mutige Wege gehen. Unsere Gewerkschaften leisten auf jeden Fall ihren Beitrag.

Die Unternehmen nennen Kostendruck, Absatzflaute bei den E-Autos, teure Energie als Gründe für die wirtschaftliche Situation. Was würden Sie als Verantwortlicher im Unternehmen tun, damit es nicht zum Stellenabbau kommt?

Stiedl: Kostendruck gibt es immer. Die Arbeitgeber haben ein Stück weit Recht, was die Energieversorgung anbelangt. Die Energiekosten sind gewaltig gestiegen. Ja, wir haben auch hohe Löhne – das ist aber gut so. Wenn das alles so ist, muss ich als Unternehmer innovative Produkte bieten. Ich muss am Markt besser sein als die anderen. Das wäre meine Antwort, wenn ich Unternehmer wäre. Deutschland und die Region haben in den vergangenen Jahren immer wieder bewiesen, dass wir am Markt besser und innovativer sind als die anderen.

Diese Antwort überrascht nicht.

Stiedl: Sie werden von mir aber keine andere Antwort hören. Denn so funktioniert Marktwirtschaft. Dass der Staat mehr Verantwortung übernimmt, finden wir sinnvoll. Gerade, wenn es um Strukturwandel geht, muss der Staat mehr machen. Da ist in den vergangenen Jahren zu wenig passiert. Es hätte deutlich mehr investiert werden müssen. Vor allem, wenn es um Energieversorgung geht. In Amerika oder Asien passiert da ein Stück weit mehr.

"Ich bin guter Dinge, dass wir den Wandel schaffen."
DGB-Landesvorsitzender Bernhard Stiedl
Die IG Metall wird in Bayern in der kommenden Tarifrunde sieben Prozent mehr Lohn verlangen. Kritische Stimmen behaupten, in der aktuellen Situation sei das maßlos und unverantwortlich. Was antworten Sie?

Stiedl: Eigentlich ist die Forderung der IG Metall verhalten, wenn ich mir die Preissteigerung allein bei den Lebensmitteln anschaue mit sieben, acht Prozent. Die Inflation ist zwar zurückgegangen. Doch die Kosten, die die Menschen tagtäglich zu tragen haben, sind weiterhin sehr hoch. Und zwar nicht nur bei Nahrungsmitteln, sondern auch bei der Miete. Da sind sieben Prozent mehr Lohn relativ verhalten. Die IG Metall nimmt Rücksicht auf Firmen, die es wirtschaftlich schwer haben. Aber die Metall- und Elektroindustrie ist groß. Da geht es ja nicht nur um die Autozulieferer, sondern auch um Elektro und Maschinenbau. Es ist da ja nicht so, dass keine Gewinne erwirtschaftet werden. Daran fordern wir unseren gerechten Anteil.

Der Betriebsratschef von ZF in Schweinfurt, Oliver Moll, sagt, vielen Beschäftigten sei offenbar der Ernst der Lage noch nicht klar. Wie schätzen Sie das ein?

Stiedl: Diese Ansicht teile ich. Unsere Gewerkschaften haben zusammen mit Betriebsräten schon lange auf die Lage hingewiesen. Deshalb überrascht mich die Einschätzung von Oliver Moll überhaupt nicht. Darum haben wir die Bundes- und die Landesregierung aufgefordert, diese Transformation der Wirtschaft nicht zu unterschätzen. Die Investitionen, die dabei getätigt werden müssen, sind ein gewaltiger Kraftakt. Ich bin aber guter Dinge, dass wir den Wandel schaffen – wenn die Politik die Notwendigkeit erkennt.

In Bayern haben unter anderem Kuka, Infineon und Playmobil Stellenabbau angekündigt. Bundesweit auch SAP, Miele, Thyssenkrupp, Tesla, Evonik und BASF. Diese Liste wird immer länger

Stiedl: Wir haben aber auch Investitionen, und zwar da, wo der Staat unterstützt. Die Leiterplattenfertigung in den neuen Bundesländern zum Beispiel. In Krisensituationen muss der Staat einspringen. Deshalb finde ich es gut, dass die bayerische Staatsregierung einen Transformationstopf vorgeschlagen hat, mit dem die Veränderungen staatlich gestützt werden sollen. Wenn die Entwicklung beim Personalabbau so weitergeht, mache ich mir Sorgen. Es wird ja investiert, aber leider nicht in Deutschland, sondern in Amerika oder in China. Der Staat muss seinen Beitrag leisten, dass solche Investitionen der Unternehmen wieder in Deutschland getätigt werden.

Auf der einen Seite werden massenhaft Stellen abgebaut und Leute auf die Straße gesetzt, auf der anderen Seite fehlen viele Fachkräfte. Wie passt das zusammen?

Stiedl: Wir haben keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Wir haben vielmehr sogenannte Engpassberufe. Dort findet man in der Tat nur schwer Fachkräfte. Das betrifft die Gastronomie, die Pflege und den Gesundheitsbereich. In der Industrie und im Produktionssektor ist es nicht so.

 
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  • Georg Wohlfart-Mitznegg
    Da wirds Zeit, daß der bayerische Wirtschaftsminister in der Gegend auftaucht und deftige Reden hält.
    Und wenn dann auch noch der bayerische Ministerpräsident (#söderisst) mit großem Gefolge in Schweinfurt aufläuft um da eine Schlachtschüssel zu verspeisen, dann gehts aber ganz bestimmt auch wirtschaftlich wieder vorwärts.
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  • Klaus Krug
    Es war klar, dass jetzt wieder den Löhnen u. der Gewerkschaft die Schuld gegeben wird. Aber selbst wenn wir alle nur noch zum Mindestlohn arbeiten würden, könnte man heute vieles nicht mehr bei uns produzieren. Ein Beispiel das mich selbst schockiert hat: Mein Rasenmäher war defekt, es lag am Vergaser. Zerlegen, reinigen, neue Dichtung, es half alles nichts. Bei eBay nach dem Vergaser gesucht, das Ersatzteil dort für 10,41 Euro (!! einschließlich Versand, Mehrwertsteuer) gefunden u. bestellt. Zwei Tage später war das Teil da, nach dem Einbau lief der Motor wieder einwandfrei. Der Vergaser besteht aus rund 10 bearbeiteten Teilen aus Aluminium, Messing u. Kunststoff, zwei Dichtungen waren auch dabei. So etwas kann bei uns niemand zu diesen Preis fertigen, auch wenn die Leute unbezahlt an den Maschinen stehen würden. Preis bei Temu übrigens nur 8 €. Das ist die Kehrseite der Globalisierung, nachdem man die bei uns erfundenen Technologien jahrzehntelang lustig in alle Welt exportiert hat.
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  • Christian Scheller
    Das mit der Globalisierung haben Sie schon richtig erkannt. Allerdings dürfen wir nicht vergessen, dass wir jahrelang davon profitiert haben. Dass dadurch aber auch ein Wettbewerb entsteht war klar. Aber an dieser Stelle haben uns gesellschaftlich zurückgelehnt. Die Gewerkschaften haben daran einen wesentlichen Anteil. Bei einem echten Interesse, die Arbeitsplätze dauerhaft zu erhalten, hätten sie viel mehr zu einer Steigerung der Wettbwerbssituation beitragen können. Ein hohes Lohnniveau wäre gar nicht das Problem. Wir müssten aber entsprechend deutlich effektiver und produktiver als der Wettbewerb sein. Herr Spiegel hat das in seinem Kommentar sehr passend dargestellt. Dass die Gewerkschaften von den Unternehmern innovative Produkte fordern und vom Staat finanzielle Unterstützungen, wird das Problem der Wettbewerbsfähigkeit leider nicht lösen. Wir brauchen mehr Enthusiasmus in der Gesellschaft. Das zieht dann auch Investoren an und ermudigt die Unternehmer.
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  • Jürgen Huller
    Auch wenn das vielleicht mancher hier nicht hören möchte:

    Es ist nicht die Aufgabe des Staates, Firmen mit Produkten, die der Markt nicht (mehr) will, mit Steuergeldern am Markt zu halten. Wer die falschen Entscheidungen trifft, ... wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.

    Die kontinuierliche Erneuerung unserer Wirtschaft ist ein Grundbestandteil unseres Wirtschaftssystems. Das Alte geht, das Neue kommt. Nur so bleibt eine exportorientierte Wirtschaft und ihre Produkte konkurrenzfähig. Arbeitsplätze fallen weg, neue entstehen.

    Das speziell neue deutsche Problem dabei ist die innovationsfeindliche Stimmung, die Ablehnung gegen alles Neue in der Bevölkerung. Das Alte geht, das Neue darf nicht kommen. Das System kippt.

    Unternehmen, die nicht nur quartalsweise gewinnorientiert wirtschaften, die Welttrends beachten und mittel-bis langfristig planen und investieren, haben die obigen Probleme nicht. Der Unternehmer hat das letzte Wort, nicht die Politik.
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  • Erich Spiegel
    Die IG Metall hat nichts dazu gelernt. Jetzt in der größten Wirtschaftskrise seit Bestehen der Bundesrepublik fordert sie Kräftige Lohnerhöhungen. Das treibt noch mehr Firmen ins Ausland. Deutschland ist sehr unattraktiv geworden. Die Ansiedlungen von Chipherstellern, Tesla, etc. wurden mit Milliarden Subventionen sehr teuer erkauft. Ca. 1 Mio. Pro Arbeitsplatz. Dieser Arbeitsplatz kann die 1Mio. nie erwirtschaften! Es wird Zeit, dass Gewerkschaftsbosse ihren Mitgliedern reinen Wein einschenken. Sich vor die Menge hinzustellen, schlechte Botschaften zu verkünden und sich ausbuhen zu lassen ist schwer, ich weiss. Sie sollten sich ein Beispiel an OB Remele aus Schweinfurt nehmen. Der hat es im Zuge der Schließung des Josefs Krankenhauses gemacht. Es geht ,man darf nur nicht feige sein. Weiter "Sondervermögen " zu schaffen ist der falsche Weg. Sondervermögen sind in Wahrheit Schulden, die der nachfolgenden Generation aufgebürdert werden.
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