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Schweinfurt
10 Jahre Konversion: Erinnerungen an den "American Way of Schweinfurt" und die Erfolgsgeschichte der Stadtentwicklung
Ein Jahrzehnt nach dem Abzug der US-Army hat sich in Schweinfurt viel verändert. Warum Schweinfurt als Stadt der Turbokonversion bezeichnet wird.
Mit einem Festakt in der Panzerhalle feierte Schweinfurt am Samstag '10 Jahre Konversion'.  Oberbürgermeister Sebastian Remelé sagte, 'die Weichen wurden richtig gestellt'.
Foto: Martina Müller | Mit einem Festakt in der Panzerhalle feierte Schweinfurt am Samstag "10 Jahre Konversion".  Oberbürgermeister Sebastian Remelé sagte, "die Weichen wurden richtig gestellt".
Irene Spiegel
 |  aktualisiert: 19.09.2024 02:38 Uhr

Die Tore der Panzerhalle 237 sind weit geöffnet. Am Rednerpult steht neben der Stadtfahne das Sternenbanner "Stars an Stripes", die Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika. Jazziger Saxofon-Groove hallt durchs Gebäude. Und draußen am Foodtruck gibt es Philly Cheesesteak und Chicken Sandwich. 

Schweinfurt feierte am Samstag "10 Jahre Konversion"  – mit einem Blick zurück, als die US-Army noch ein Teil von Schweinfurt war, und einen Blick nach vorne, wie sich nach dem Abzug der US-Streitkräfte am 19. September 2014 das 80 Hektar große Militärgelände verändert hat und weiter entwickeln wird. Die Schlaglichter der Konversion, also der Umwandlung der militärischen Liegenschaften in eine zivile Nutzung, sind die neu entstandenen Stadtteile Bellevue und Yorktown Village/Kessler Field sowie der Hochschul-Campus auf dem Kasernengelände, der durch die bereits realisierte Carus-Allee und dem geplanten Bürgerpark abgerundet wird.

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Schweinfurt wird als Stadt der Turbokonversion bezeichnet, weil keine andere Stadt ehemalige US-Flächen so schnell gekauft, entwickelt und einer neuen Bestimmung übergeben hat. Vor einigen Wochen wurde mit der Schießanlage auch die letzte Fläche der in Schweinfurt stationierten US-Amerikaner erworben. Auf dem 136.000 Quadratmeter großen Gelände sollen eine Freiflächen-Photovoltaikanlage errichtet und das städtische Forstamt untergebracht werden.

"Die Weichen wurden richtig gestellt."
Oberbürgermeister Sebastian Remelé

"Die Weichen wurden richtig gestellt", sagt Oberbürgermeister Sebastian Remelé. Beim Festakt in der Panzerhalle begrüßt er viele Wegbegleiter dieses großen Abschnitts der Schweinfurter Geschichte. Bereits vor einer Woche hatte es ein Ehemaligen-Treffen anlässlich des 10. Jahrestages der Schließung der Garnison im Schießhaus-Biergarten gegeben. Knapp 200 "Ehemalige" waren gekommen, um gemeinsam in Erinnerungen an die "good old days in Schweinfurt" zu schwelgen. Drei frühere Garnisonskommandanten waren sogar eigens aus den USA angereist. Ein Zeichen der tiefen Verbundenheit und ein Indiz für den "American Way of Schweinfurt", berichtet Klaus Mauder, der ehemalige Leiter der Garnisonsverwaltung.  

Sie blicken stolz auf '10 Jahre Konversion': (von links) Klaus Mauder, der ehemalige Standortleiter, Oberbürgermeister Sebastian Remelé, Baureferent Ralf Brettin und David Coldwell, der ehemalige Freizeitmanager der US-Army.
Foto: Martina Müller | Sie blicken stolz auf "10 Jahre Konversion": (von links) Klaus Mauder, der ehemalige Standortleiter, Oberbürgermeister Sebastian Remelé, Baureferent Ralf Brettin und David Coldwell, der ehemalige Freizeitmanager der ...

"Es war eine tolle Zeit", erinnert sich OB Sebastian Remelé gerne an die deutsch-amerikanischen Volksfeste in den Ledward Barracks, an die sagenumwobene "American Ice Cream", die Hamburger und das Popcorn. Und die "Ami-Schlitten", die großen US-Straßenkreuzer, die durch die Stadt fuhren. "Für uns war Amerika das Sinnbild für Freiheit."

Die Nachricht von der Standortschließung war ein Schock

Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs begann eine neue Epoche. Bereits Anfang der 1990er-Jahre hatte das Pentagon seine Truppenpräsenz und das Budget für Militäraus­gaben in Deutschland drastisch reduziert. 2012 wurde dann bekanntgegeben, dass 2014 der US-Standort Schweinfurt geschlossen wird. "Die Mitteilung war für uns alle ein Schock", sagt Standortleiter Mauder, vor allem für die deutschen und amerikanischen Zivilbeschäftigten, insgesamt 600 Menschen.

Aber auch für die Stadt Schweinfurt und die Region. Die US-Army war ein großer, wichtiger Arbeitgeber und ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. In Spitzenzeiten waren 6000 Soldaten hier stationiert, und ebenso viele Familienangehörige lebten in der damals 54.000-Einwohner-Stadt. Der Abzug hatte spürbare wirtschaftliche Aus­wirkungen für Bauunternehmen, Handwerksbetriebe und Vermieter in der Region. "Die Einnahmeausfälle für die Stadtwerke, das Leopoldina-Krankenhaus, die Gastronomie sowie den Einzelhandel waren einschneidend", weiß Mauder. Besonders betroffen waren die Taxiunter­nehmen, die bis zum Abzug besonders von amerikanischen Fahrgästen profitierten.

80 Hektar standen für die Stadtentwicklung zur Verfügung

Bereits 2012, nach Bekanntgabe der Standortschließung, begannen in Schweinfurt die Planungen für die Konversion. Ein Prozess, der der Stadt große Chancen eröffnete. Denn große Flächen und Liegenschaften, insgesamt über 80 Hektar, die bisher abgeschottet waren, standen nun für eine Stadt- und Regionalentwicklung zur Verfügung. "Wir haben die Chance genutzt", so OB Remelé.

Nach dem Festakt in der alten Panzerhalle 237 boten Baureferent Ralf Brettin und Jürgen Folk von der Stadtentwicklung (Mitte) eine Führung über das Ledward-Gelände an, um die Fortschritte und Veränderungen auf dem Gelände aufzuzeigen.
Foto: Martina Müller | Nach dem Festakt in der alten Panzerhalle 237 boten Baureferent Ralf Brettin und Jürgen Folk von der Stadtentwicklung (Mitte) eine Führung über das Ledward-Gelände an, um die Fortschritte und Veränderungen auf dem ...

Innerhalb kürzester Zeit hat die Stadt die von den Amerikanern an den Bund zurückgegebenen militärischen Flächen erworben. "Es war ein unglaublicher Kraftakt", erinnert sich Remelé. Möglich war dieser, "weil die Verwaltung unglaublich gut gearbeitet hat" und weil die Stadt Geld hatte. "Wir konnten es uns leisten", denn Schweinfurt hatte 100 Millionen Euro in den Rücklagen. Damit nahm die Konversion ihren Lauf.   

Die neu entstandenen Einrichtungen und Quartiere würden nicht nur der Stadt dienen, sondern der gesamten Region "guttun", sagt OB Remelé. Er dankt allen, die diesen Prozess möglich gemacht haben. Stellvertretend nennt er für die Mitarbeitenden der Stadtverwaltung Jürgen Folk vom Stadtentwicklungsamt, der die zehn Jahre Konversion entscheidend mitgestaltet habe.

Neue Wohnquartiere und Hochschulcampus

Baureferent Ralf Brettin nimmt die Festgäste mit auf eine "Reise durch 10 Jahre Konversion". Aus der amerikanischen Wohnsiedlung Askren Manor wurde der neue Stadtteil Bellevue, das bisher größte Neubauprojekt der Stadt mit verschiedenen Wohnformen, Kindergarten, Schule, Sporthalle, Dienstleistern, Nahversorgern und Freizeitbereichen. Auf dem 20 Hektar großen Areal von Yorktown Village und Kessler Field entsteht ein neues Klimaquartier. Der Fokus ist auf Energieeffizienz, Ressourcenschonung und Klimaresilienz gerichtet.

Das eigentliche militärische Bild in Schweinfurt, die Ledward-Kaserne, wird gemeinsam mit dem Freistaat Bayern entwickelt, an den die Stadt einen Großteil der Flächen im Osten veräußert hat. Seit 2017 entsteht dort der i-Campus der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Der erste fertiggestellte Neubau ist das Gebäude der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen, das nächste Bauvorhaben ist ein Hochschulgebäude für Robotik und die i-factory. Bis zu 3000 Studierende sollen hier mal unterrichtet werden.

Michael Romstöck hat die Konversion der Ledward-Kaserne zwischen 2014 und 2017 mit über 80 Fotografien im Rahmen seiner Bachelorarbeit dokumentiert. Ein Teil wurde beim Festakt in einer Ausstellung gezeigt. 
Foto: Martina Müller | Michael Romstöck hat die Konversion der Ledward-Kaserne zwischen 2014 und 2017 mit über 80 Fotografien im Rahmen seiner Bachelorarbeit dokumentiert. Ein Teil wurde beim Festakt in einer Ausstellung gezeigt. 

Als grüne Ost-West-Achse ist 2021 die Carus-Allee eröffnet worden. Die rund 600 Meter lange Erholungsanlage verbindet den Theodor-Fischer-Platz im Osten mit dem Stadion im Westen und bietet vielfältige Freizeitmöglichkeiten.

Als letztes Relikt der US-Streitkräfte ist die ehemalige Panzerhalle verblieben, die inmitten des künftigen Bürgerparks als Multifunktionshalle revitalisiert werden soll. Das Musikduo Dirk Rumig und Michael Weisel zeigt beim Festakt gleich mal auf, welch' wunderbare Akustik für Konzertveranstaltungen hier vorhanden ist. 

"Man hatte das Privileg, in zwei Kulturen zu leben und zu arbeiten."
Klaus Mauder, ehemaliger Standortleiter

"Die Erfolgsgeschichte der Konversion der US-Liegenschaften in Schweinfurt begründet sich auf die lang­jährige konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Stadt und der US-Garnison", ist der ehemalige Standortverwalter Klaus Mauder überzeugt. Das frühzeitige Zusammenwirken habe es ermöglicht, die Konversion schnell auf den Weg zu bringen. Schon früh seien Türen geöffnet und Begehungen ermöglicht worden, sodass die Zukunftsplanungen auf den Weg gebracht werden konnten.

Eine Kleinstadt musste abgewickelt werden

Parallel erfolgte die Abwicklung des Abzugs. Die größte Herausforderung dabei: "Es mussten nicht nur die militärischen Einrichtungen, sondern eine komplette Kleinstadt aufgelöst werden", so Mauder. Zu dieser amerikanischen "Kleinstadt" gehörten Truppenunter­künfte, Einkaufsmärkte, Schulen, Kitas, eine Ambulanz- und Zahnklinik, Werkstätten, das US-eigene Wasserwerk und die Heizungsanlage in den Conn Barracks sowie eine Recycling- und Sondermüllanlage. Zusammen über 450 Gebäude plus die beiden Wohnsiedlungen Askren Manor mit 700 Wohneinheiten und 13 Doppelhäusern sowie Yorktown Village mit weiteren 34 Doppelhäusern. Außerdem das Übungsgelände Brönnhof und die Schießanlage im Haardt-Wald.

Als letztes Relikt der US-Streitkräfte ist die ehemalige Panzerhalle verblieben, die inmitten des künftigen Bürgerparks als Multifunktionshalle revitalisiert werden soll. Hier fand der Festakt zu '10 Jahre Konversion' statt.
Foto: Martina Müller | Als letztes Relikt der US-Streitkräfte ist die ehemalige Panzerhalle verblieben, die inmitten des künftigen Bürgerparks als Multifunktionshalle revitalisiert werden soll.

Der offizielle Abschied fand dann am 19. September 2014 statt. "Da flossen Tränen", sagt OB Remelé. Bei der Schließungszeremonie im Ehrenhof der Ledward Barracks wurde die US-Flagge zum letzten Mal eingeholt. Säuberlich verpackt steht sie seitdem im Büro des Oberbürgermeisters im Rathaus.

Etwas Wehmut an die Zeit der US-Army in "Little America" schwingt in Mauders Worten mit. "Man hatte das Privileg, in zwei Kulturen zu leben und zu arbeiten. Für mich waren es großartige und unvergessliche Jahre bei den Amis."

 
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