Gerissene Wildtiere, Fährten und Urinspuren im Schnee: In den vergangenen Monaten wurden wieder verstärkt Aktivitäten von Wölfen in der Rhön registriert. Nach langwierigen genetischen Untersuchungen ist es nun offiziell: Auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken (Lkr. Bad Kissingen), durch den die hessisch-bayerische Grenze verläuft, hat sich ein Wolfspaar niedergelassen, meldete jetzt das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) in Wiesbaden. Und auch das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) stellte auf Nachfrage dieser Redaktion fest, dass hier zwei Tiere als ein standorttreues Paar geführt werden.
Woher weiß man, dass sich ein Wolfspaar niedergelassen hat?
Ein Rüde, der aus einem Rudel im niedersächsischen Munster stammt, ist erstmals im Mai 2021 in der Region um Fulda genetisch nachgewiesen worden, wo er ein Reh gerissen hatte. Weitere Nachweise von GW2068m, wie er offiziell bezeichnet wird, folgten dann am 27. Januar 2022, als der Wolf erneut ein Reh angegangen hatte und am 12. Februar anhand einer Urinprobe im Schnee.
Die Fähe, wie ein weiblicher Wolf genannt wird, wurde erstmals am 27. Dezember 2021 anhand einer DNA-Spur an einem gerissenen Reh im bayerischen Teil des Truppenübungsplatzes nachgewiesen. Ob einem oder beiden Wölfen ein Muffelwild-Riss vom 3. März auf dem Truppenübungsplatz zuzuordnen ist, wird aktuell noch geprüft.
Entscheidend ist eine Urinprobe, die am 24. Januar, auf hessischer Seite genommen wurde. Anhand dieser Probe konnte nachgewiesen werden, dass beide Tiere gemeinsam auf dem Truppenübungsplatz unterwegs waren und gemeinsam Markierungen setzten. Durch diesen zweifachen Nachweis würden die beiden Tiere als Paar eingestuft, so ein Sprecher des LfU. Damit werde für das Grenzgebiet Bayern/Hessen nun ein standorttreues Paar mit der Bezeichnung "Truppenübungsplatz Wildflecken" geführt.
Was bedeuten die Kürzel?
Im Zuge der Analyse hat die Fähe mit unbekannter Herkunft die Kennung GW2552f erhalten. Die Abkürzungen GW2552f oder GW2068m sind Laborkürzel und stehen für: Genetic Wolf (GW), dann folgt eine Labornummer des Tieres sowie das Geschlecht (f/weiblich oder m/männlich).
Hat man sie schon gesehen?
"Eigentlich schade, aber ich habe sie noch nicht gesehen" und auch sonst sei ihm keine Sichtung bekannt, sagt Egon Schleyer. Und der müsste es wissen, schließlich ist er der Leiter des Bereichs Naturschutz am Bundesforstbetrieb Reußenberg und damit auch für den Truppenübungsplatz zuständig. Man habe schon vor drei Jahren an "wolfstrategisch" günstigen Punkten Wildkameras angebracht. Aber die Rhöner Wölfe wollen sich offensichtlich nicht fotografieren lassen. Fährten und Urinspuren im Schnee habe er natürlich gefunden. Aber die scheuen Tiere könnten sich gut zurückziehen. Auf etwa 1000 Hektar Fläche im Truppenübungsplatz herrsche ein Betretungsverbot –für Menschen.
Warum auf dem Truppenübungsplatz?
Gerade wegen solcher Rückzugsräume sind Truppenübungsplätze beliebte Wolfsterritorien. Und es gibt noch einen weiteren Grund, warum sie sich hier wohlfühlen. Das Nahrungsangebot. Die Wölfe "bevorzugen Rehe auf der Speisekarte", weiß er Bundesförster Schleyer. Die finden sich auch in Wildflecken in größerer Zahl. Und hier gibt es seit den 70er und 80er Jahren Muffelwild, das ebenfalls schmackhaft und eine relativ leichte Beute ist.
Gibt es dort Probleme mit den Wölfen?
Eigentlich nicht, sagt Egon Schleyer. Aus militärischer, naturschutzfachlicher und forstlicher Sicht ist das Auftreten von Wölfen auf einem Truppenübungsplatz kein Problem. Außerdem werde man eh lernen müssen, mit dem Wolf zu leben. Mit den Schäfern auf dem Übungsgelände stehe man im Gespräch. Man informiere und unterstütze sie bei den Themen Herdenschutz und den entsprechenden Fördermöglichkeiten. Schließlich könne man durch effektiven Herdenschutz die Herden schützen, sieht er auch bei diesem Thema keine Schwierigkeiten. Den Soldaten kämen die scheuen Wölfe eh nicht zu nahe. Sie zögen eher um, wenn die Störungen zu stark würden, ist eine Erfahrung von anderen Übungsplätzen.
Wandern die Wölfe wieder weiter?
Diese Frage findet Bundesförster Schleyer aufgrund früherer Erfahrungen sehr spannend. Als vor einigen Jahren schon einmal eine Wölfin in der Rhön heimisch war, habe sie sich über mehrere Jahre etwa an Weihnachten in den Übungsplatz zurückgezogen und sei ab Mai dann wieder in Richtung Salzforst verschwunden. Warum, sei unklar. Nun wartet Schleyer, ob auch das Wolfspaar wegzieht, oder sich doch im Truppenübungsplatz ein Revier sucht. Damit verbunden ist die wohl spannendste Frage:
Wird es Wolfsnachwuchs geben?
"Es ist davon auszugehen, dass ein Wolfspaar grundsätzlich fortpflanzungsfähig ist", erklärt das HLNUG auf Nachfrage. Genauer erläutert das Bundesförster Schleyer. Die Paarungszeit oder auch Ranzzeit der Wölfe ist von Januar bis März. In dieser Zeit waren die beiden Tiere zusammen "auf dem Platz", wie er das nennt. Entsprechend könne man nicht ausschließen, dass es Wolfsnachwuchs geben wird. Das werde man dann im April oder Mai sehen, falls die Wölfe dann noch da wären. Die Strukturen wären in jedem Fall vorhanden. Beispielsweise seien gesprengte Bunker vorhanden, die als "Wurfhöhlen" für die dann vier bis sechs Jungen genutzt werden könnten.
Gibt es noch weitere Wölfe in der Rhön?
Dass noch Wölfe in der Rhön unterwegs sind, davon gehen alle Experten aus. Nur die Frage, wie viele es sind, lässt sich nicht beantworten. Im vergangenen Oktober riss ein Wolf in Rhön-Grabfeld mehrere Weidetiere. Untersuchungen ergaben, dass es dabei um eine aus Brandenburg zugewanderte Einzelfähe mit der Bezeichnung GW1422f handelte, die bereits früher in der thüringischen, aber auch in der hessischen Rhön nachgewiesen worden war.
Sie gilt nun im Territorium Zella/Rhön als territorial und war damit der zweite Wolf, der im Bereich des Biosphärenreservats Rhön als standorttreu eingestuft wurde. Bereits im Mai 2019 wurde in der Bayerischen Rhön die Fähe GW1069f vom LfU für standorttreu erklärt. Das Tier war damals immer wieder im Bereich Unterelsbach nachgewiesen worden. Seit Februar 2020 gibt es allerdings keinen Nachweis mehr.
Eine weitere Wolfsfähe GW1241f, die in der thüringischen Rhön als territorial galt, wurde am 24. Januar 2022 nach einem Verkehrsunfall bei Merkers tot aufgefunden.