
Fast andächtig weist Alois Wehner auf die oberste Etage des einfachen Holzregals in seinem kleinen Ausstellungsraum in Windshausen (Lkr. Rhön-Grabfeld): "Da ist das Allerheiligste." Dort zu sehen ist eine verblüffend realistische Miniatur eines einstöckigen Stalls im alpenländischen Stil. Das Gebäude wirkt ärmlich, das Holz verwittert, Fehlstellen im Verputz des Untergeschosses lassen den Blick aufs blanke Mauerwerk zu – so macht es zumindest den Eindruck. Solch einen Eindruck hervorzurufen, das hat der diplomierte Krippenbaumeister in seiner mehr als dreißigjährigen Karriere perfektioniert.
"Jeder Stein auf der Fassade, jede Ziegel auf dem Dach ist ein einzeln hergestelltes Bauteil", beschreibt der 78-Jährige nicht ohne Stolz die schier endlose Feinarbeit, die er in jedes seiner Werke investiert. Denn die vielen kleinen Bestandteile, die durch ihre realistisch nachempfundene Altersfirnis essenziell sind für den Charakter von Wehners Krippenbauten, gibt es so nicht einfach zu kaufen.

Ein paar Schritte weiter, in seiner Werkstatt, präsentiert der gebürtige Stangenrother, der seit seiner Heirat mit seiner Frau Lioba im Hohenrother Ortsteil Windshausen lebt, eine dünne, lange Holzlatte, die ihm als Grundmaterial fürs Anfertigen seiner Miniaturschindeln dient. "Erst werden die Kanten gebrochen und dann mit dem Geißfuß bearbeitet. So werden die Schindeln erst einmal gerippt und dann mit Farbe gebeizt, dann schauen sie so aus", erläutert der gelernte Gärtner den Arbeitsprozess und präsentiert eine zur Hälfte mit kleinen roten Dachziegeln gefüllte Vanilleeisdose.
An der Krippenbauschule in Innsbruck perfektionierte Wehner seine Kunst
Auch von den täuschend echt aussehenden Mauersteinen, bei denen es sich tatsächlich um kleingeschnittene Rindenstücke handelt, hat Wehner eine solche Dose. Dasselbe gilt für die filigranen Bälkchen und Bretter, aus denen er seine überwiegend im fränkisch-rhöner Fachwerk gehaltenen Krippenställe zusammenfügt. Gelernt, dieses Sammelsurium an unterschiedlich beschaffenen Bauteilen und daraus real getreue Stallminiaturen herzustellen, hat der Windshausener durch jahrzehntelange Selbstversuche und seine Ausbildung im österreichischen Innsbruck.
An der dortigen Krippenschule erwarb Wehner zwischen 1990 und 1993 vom Verband der Krippenfreunde Österreichs in vier Lehrgängen die Auszeichnungen als Krippenbaulehrer, -kursleiter und schließlich die des Krippenbaumeisters. An seine Meisterprüfung erinnert sich der Rentner, der in seinem Brotberuf als Vertreter für Rollläden sowie anschließend als Schießbandbetreuer der Amerikaner und später der Bundeswehr in Wildflecken gearbeitet hatte, noch genau: "Ich bekam zehn Couverts hingereicht, in denen sich verschiedene Vorlagen befanden. Eins musste ich ziehen und die entsprechende Vorlage binnen einer Woche nachbauen."
Wehners Rhöner Krippen finden sich auf der ganzen Welt

Für Wehner, der in den vorangegangenen Lehrgängen bereits brilliert hatte und sein Abschlussmodell im Vorjahr als Jahrgangsbester gar im österreichischen Fernsehen präsentieren durfte, keine übermäßige Herausforderung. Die fünftägige Akkordarbeit an seinem Meisterstück in drückender Tiroler Julihitze stellte sich jedoch als Sprungbrett dafür heraus, sich als Krippenbauer weltweit einen Namen zu machen.
"Von Dänemark bis Rom und von Kanada bis Neuseeland" sind seine Krippen mittlerweile zu finden, erzählt Wehner. Der Rhöner Krippe – seiner Spezialität – hat er damit zu internationaler Bekanntheit verholfen, aber auch seinen eigenen Horizont hat sein Hobby, das es trotz allem stets geblieben ist, weit über die Rhön hinaus erweitert. Dass ihn seine kindliche Faszination für Weihnachtskrippen einmal zu Weltkrippenkongressen in Köln, Innsbruck und Augsburg oder eigenen Ausstellungen in der bayerischen Vertretung in Berlin, Liechtenstein, Österreich und Antwerpen führen würde, hätte der Stangenrother Bub, Jahrgang 1946, sicherlich nicht für möglich gehalten.
Holzbildhauer Gebhard Keßler weckte Wehners Passion für den Krippenbau
Und doch deutete sich sein Talent damals bereits an, als ihn der ebenfalls aus Stangenroth stammende Gebhard Keßler früh unter seine Fittiche nahm. "Ihm habe ich viel zu verdanken. Das war mein Lehrmeister, mein großer Fürsprecher", sagt Wehner über den 1998 Verstorbenen, den er als "Urvater der Rhöner Krippen" bezeichnet. Krippenfiguren des Holzbildhauers zieren bis heute das Esszimmer der Wehners und zur Weihnachtszeit ihre ganz persönliche Krippe.

Auf seine Anleitung hin baute Wehner erste Krippen für seine Geschwister, ließ das Hobby dann aber bis ins Alter von 34 Jahren ruhen. Dann, 1980, weckte der Wunsch nach einer neuen Krippe für die Pfarrkirche seiner Wahlheimat die Passion aus dem Dornröschenschlaf und ließ den 78-Jährigen seitdem nicht mehr los.
Nachfrage nach handgemachten Krippen nahm ab 2010 ein Ende
Doch auch wenn ihn seiner Werkstatt weiter geduldig Eisdosen mit kleinen Biberschwanzziegeln, Wurzelstücke, Weißleim, Dispersionsfarben und der Geißfuß auf ihn warten – neue Krippenställe entstehen dort seit einigen Jahren kaum noch. "Ab 2010 ungefähr war Ebbe – wie bei den Holzbildhauern auch. Auf einmal war es wie abgehakt mit den Aufträgen." Grund dafür ist nach Wehners Einschätzung, dass der Glaube bei den nachfolgenden Generationen keine so große Rolle mehr spielt. "Da hat die Krippe zu Weihnachten nicht mehr den Stellenwert, wie es bei uns noch der Fall gewesen ist."

Eine Entwicklung, die der Familienvater und zweifache Großvater zwar bedauert, angesichts der zahllosen Erlebnisse und Erfolge, die ihm sein außergewöhnliches Hobby beschert haben, jedoch akzeptiert hat. Auch seien die filigranen Arbeiten im Alter immer schwieriger zu bewerkstelligen. Wehners Ehefrau Lioba formuliert das Ende seiner vielen produktiven Jahren mit einem Augenzwinkern: "Aber das reicht ja, du hast ja genug gemacht."