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Bad Neustadt
Von Werkstätten im Fronhof bis zum Baum am Marktplatz: Pia Steinhardts Visionen für ein lebendiges Bad Neustadt
Die Innenarchitektin sieht großes Potenzial in der alten Bausubstanz Bad Neustadts. Sie plädiert für organisches Wachstum und die Einbeziehung der Bürger.
Innenarchitektin Pia Steinhardt hat viele Ideen, wie Bad Neustadts Leerstände gefüllt werden könnten. Im Interview verrät sie einige.
Foto: René Ruprecht | Innenarchitektin Pia Steinhardt hat viele Ideen, wie Bad Neustadts Leerstände gefüllt werden könnten. Im Interview verrät sie einige.
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 23.09.2024 02:29 Uhr

Pia Steinhardts Weg führte 2010 von Bad Neustadt aus in die Welt. Inzwischen lebt die 34-Jährige, Sprössling des Unternehmens RST Stahlbau in Niederlauer, als Innenarchitektin in Berlin. Ihr beruflicher Fokus liegt auf den Themen Umnutzung von Leerstand, Innenstadtentwicklung und das organische Wachstum von Kultur. Wie Pia Steinhardt die Diskussion um ein Kulturzentrum im Fronhof erlebte und welche kreativen Impulse sie für ihre Heimat hat.

Frage: Wenn Sie an Ihre Kindheit und Jugend in Bad Neustadt zurückdenken. An welche Art von Ort und Leben erinnern Sie sich?

Pia Steinhardt: An eine gute Mischung aus Land- und Stadtleben. Bad Neustadt hatte für mich gar nichts vom typischen Bild der Kleinstadt. Im Gegenteil: Wir waren eine lebendige Gemeinschaft, die an verschiedensten Orten – bei privaten Hauspartys, im Hannes, auf Partys der Effect Crew und draußen in der Natur– zusammenkamen, um zu tanzen, uns zu bewegen und zu lachen. Kurzum: Wir trafen uns, um zu spielen. Hier war viel Gutes los, woraus ein starkes Netzwerk von Freundschaften entstand, das bis heute existiert. 

Inzwischen sind Sie seit zwölf Jahren aus Rhön-Grabfeld weg? 

Steinhardt: Nach meinem Abi 2010 habe ich in Italien, Brasilien, Stuttgart und London gelebt. Seit zehn Jahren ist Berlin meine Heimat. Nach Bad Neustadt komme ich aber immer gerne, meine Kinder lieben es hier, zudem bin ich im Zwei-Wochentakt im Unternehmen meiner Eltern, bei RST Stahlbau in Niederlauer. Hier plane und leite ich zusammen mit Architekt Holger Fenchel aktuell den Umbau der Sozialräume.

Wie erleben Sie Bad Neustadt heute?

Steinhardt: Beeindruckend finde ich, was meine Leute – also die Gemeinschaft, die damals entstand – inzwischen auf die Beine stellen: Sie schaffen eigene, wunderbare Kulturangebote. Schade finde ich die Entwicklung unserer schönen Innenstadt: das Gastrosterben, die Ladenschließungen, der Leerstand. Für die aktuelle Jugend sind momentan nur noch wenige Begegnungsorte geboten.

Mit welchen Themen haben Sie sich als Innenarchitektin schwerpunktmäßig beschäftigt? 

Steinhardt: Innenarchitektur ist die Lehre für das Bauen im Bestand: Bestandsgebäude haben einen hohen Wert, den es zu erhalten und, wenn nötig, so anzupassen gilt, dass sie nutzbar werden. Nutzbar für Bürger in Bewegung und Austausch – sprich Kultur. So habe ich Konzepte für Innenstädte geschrieben, Nutzungslösungen für Leerstände mit kreativen, kulturellen und kaufmännischen Gemeinschaften entwickelt und Gastro- und Hotellerieplanungen geleistet. Alles mit dem Ziel, Räume zu schaffen, die zum Austausch inspirieren.

Was waren besondere Stationen Ihres Werdeganges?

Steinhardt: In London am Royal College of Art habe ich als Burberry Stipendiatin innerhalb meines Masters zum Thema Kultur und Innenstadtentwicklung geforscht und ein Gemeindezentrum im Untergrund Berlins geplant. 2016 habe ich mich mit meinem Innenarchitekturbüro pinkful unter anderem die re:publika, Europas größtes Festival für digitale Gesellschaft, betreut. Gemeinsam mit dem Möbelkonzern Ikea habe ich in San Francisco untersucht, wie über die Einbindung Kulturschaffender Kaufkraft in innenstädtische Filialen gezogen werden kann. Als Nächstes plane ich eine permanente Ausstellung auf der Museumsinsel in Berlin in eine ehemalig öffentliche Toilette im Untergrund.

Ein Kulturzentrum als Frequenzbringer für die Innenstadt – das war auch Ziel eines Vorstoßes in Bad Neustadt. Was in der Bürgerschaft allerdings nicht auf Zustimmung stieß. Wundert sie das?

Steinhardt: Echte Kultur wird nicht von oben geplant, sondern entsteht organisch von unten: Bei der Planung eines Kulturzentrums sollte demnach ein gewisses Spektrum an Nutzern beziehungsweise Bürgergruppen dazu eingeladen werden, mitzugestalten. 

Wie haben Sie die Diskussion um das potenzielle Kulturzentrum Fronhof erlebt?

Steinhardt: Auch wenn die Debatte für manche sicherlich frustrierend war, ist sie in meinen Augen gleichzeitig auch sehr gewinnbringend. Denn Bürger, die sich für ihre Stadt engagieren, indem sie ihre Wünsche und Bedürfnisse artikulieren und dabei gehört werden, sind eine wichtige Zutat für eine authentische Stadt-Identität. Denn dann beginnt der positive Kreislaufeffekt: Identität schafft Attraktivität, zieht Tourismus, schafft Wirtschaft, schafft Attraktivität.

Fiele Ihnen ad hoc eine adäquate alternative Nutzung für den Fronhof ein?

Steinhardt: Ich habe gelernt, dass der Bestand selbst die mögliche Nutzung vorgibt. Platziert man eine Bibliothek, einen Ort der Kontemplation, in ein ehemaliges Gefängnis, überschreibt man Geschichte und Wesen des Ortes. Der Fronhof ist ein trister Ort, an dem Menschen eingeschlossen wurden, weil sie Verbrechen begangen haben. Wenn man an diese Geschichte anknüpft, wird dieser Raum für Bürger und Touristen viel annehmbarer und die Chancen steigen, dass er erfolgreich bespielt wird. Eine Dauer-Ausstellung über den Ort und seine Geschichte in die neue Nutzung integriert ist daher sicher ein guter Zug.

Was, meinen Sie, könnte entstehen?

Steinhardt: Interessant fände ich, den Fronhof zu einem öffentlich zugänglichen Innenraum zu machen, mit Vegetation, Sonnenlicht, Vögeln zwischen den Gemäuern. Einen verlassenen, geschützten Raum in der Innenstadt, mit dezenter Beschilderung über den Ort und seine Geschichte und bestenfalls Führungen von Zeitzeugen. Falls das gut angenommen wird, könnte man in einem zweiten Schritt über eine Bewirtung nachdenken. Aber bedacht, dezent, ruhig. Eher Weinlokal als Bierzeltstimmung.

Und wenn man sich ein Konzept mit etwas mehr Nutzung wünschen würde? 

Steinhardt: Der innen liegende Laubengang und die kleinen Parzellen lassen an eine Marktsituation denken. In die Parzellen könnten Werkstätten einziehen, ein Blumenladen, ein guter Neuschter Schnapsladen, nebenan gibt's die Wurst vom Biobauern, vielleicht im Keller ein Proberaum für Bands. Am Ende geht es darum, dass der Ort organisch entsteht und die Bedürfnisse eins Großteils der Bewohnerschaft abdeckt.

Ganz abgesehen vom Fronhof, wo, glauben Sie, liegt Bad Neustadts Potenzial?

Steinhardt: In der alten Bausubstanz in der Innenstadt, kombiniert mit motivierten Bürgern. Oberstes Ziel sollte es sein, den Bestand mit den ansässigen Menschen und ihren Aktivitäten zu beleben. Gerne erst einmal temporär, aber mit konkreter Aussicht auf Permanenz bei Erfolg. 

Wenn Sie frei denken dürften, womit würden Sie Leerräume in Bad Neustadt füllen?

Steinhardt: Ich sehe das Potenzial für Begegnungsorte: ein Tretbecken auf dem Marktplatz für die Durchblutung, Freiluft-Jazzkonzerte auf der Luitpoldhöhe. Der alte Friseursalon am Busbahnhof wäre ein klasse Ort für Kleinkonzerte. Die ehemalige Tankstelle in der Schweinfurter Straße ein toller Drive-in-Laden für italienische Sandwiches und schnellen Café, mit Schaukeln, die vom Vordach hängen. Ich sehe ein Hybrid aus Touristeninformation und Café-Bar im ehemaligen Salamander-Schuh. Ich stelle mir eine Verkauf- und Produktionsstätte für Neuschter Produkte vor, mit zum Beispiel Kräuterworkshops für Pflegeprodukte. Die schönste und simpelste Vorstellung wäre allerdings: Ein großer Baum auf dem Marktplatz als Zentrum der Gemeinschaft, unter dem man Schatten und Schutz findet.

Was bräuchte es, damit das Wirklichkeit würde?

Steinhardt: Der Wille der Stadt basisdemokratisch zu planen, die Identifikation der Nutzergruppen, eine Bedürfnisanalyse dieser Gruppen, subventionierten Raum, einen Planer, der den Hut auf und Zugang zu den Menschen hat, einen oder mehrere Geldgeber und eine starke geteilte Vision, eine attraktive Stadt zu schaffen, in der Identität organisch wachsen darf.

 
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  • Gerhard Zwierlein
    " Italien, Brasilien, Stuttgart und London gelebt. Seit zehn Jahren ist Berlin meine Heimat" Hmm...Jazzkonzerte...ja die Vorschläge bitte mal an Herrn Benkert senden....Was bräuchte es, damit das Wirklichkeit würde? Der alte Friseursalon am Busbahnhof,die ehemalige Tankstelle in der Schweinfurter Straße ein toller Drive-in-Laden für italienische Sandwiches und schnellen Café, mit Schaukeln, die vom Vordach hängen... Touristeninformation und Café-Bar im ehemaligen Salamander-Schuh" Hmm und das alle gehört der Stadt? Das alles kann sie beinflussen...Gäbe eine Gegenstimme im Stadtrat gegen solch eine Nutzung? Natürlich nicht. Aber das gehört nicht der Stadt! Fernab jeglicher Realität "...im Untergrund Berlins...in San Francisco untersucht...plane ich eine permanente Ausstellung auf der Museumsinsel in Berlin in eine ehemalig öffentliche Toilette im Untergrund... Echte Kultur wird nicht von oben geplant" Ja was ist denn das sonst! Die Stadt hat was geplant....manch einem gefiel es nicht!
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  • Norbert Dietzel
    Ein sehr schönes Interview mit überzeugenden Ideen. Danke! Hier gibt es viele Vereine, Initiativen und Bürger, die sich engagieren und sich freuen würden gehört und ernst genommen zu werden. Das war beim im Frühjahr abgelehnten Konzept zum Fronhof nicht der Fall und die Stadt hat ihre Quittung sehr deutlich bekommen. Vielleicht lesen ja einige in der Stadtverwaltung und im Stadtrat diesen Artikel. Ich finde den Gedanken, den Fronhof als 'tristen' Ort behutsam zu verändern und allmählich durch 'Bewegung und Austausch, also durch Kultur' zu entwickeln sehr überzeugend. Das ist dann kein teures Hochglanzprojekt mehr, sondern im besten Fall ein Ort von, mit und für Bürger:innen. So müsste es eigentlich laufen. Man darf gespannt sein
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  • Carola Pohensky
    Warum nicht so!
    Ansprechende Vorschläge für Bad Neustadt.
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