zurück
Bad Neustadt
Geschichten aus dem Knast: Der letzte Dienstleiter der JVA Bad Neustadt über "Lumpereien" hinter Gefängnismauern
Neuscht und sein Gefängnis (1): 25 Jahre lang arbeitete Heinz Haberberger in der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt – bis diese 1996 schloss. Was er erlebte.
Früher zierte das Schild die Bad Neustädter Gefängnismauer, inzwischen hängt es bei Heinz Haberberger in Herschfeld in der Garage. Der 79-Jährige leitete als letzter Dienstleiter die JVA Bad Neustadt. 
Foto: Ines Renninger | Früher zierte das Schild die Bad Neustädter Gefängnismauer, inzwischen hängt es bei Heinz Haberberger in Herschfeld in der Garage. Der 79-Jährige leitete als letzter Dienstleiter die JVA Bad Neustadt. 
Ines Renninger
 |  aktualisiert: 20.04.2024 02:40 Uhr

Ob Kulturzentrum in spe, Alte Amtskellerei hin oder Fronhof her – für die meisten Bad Neustädter bleibt das älteste Steingebäude der Stadt einfach das, was es bis zur Schließung 1996 fast 200 Jahre war: Bad Neustadts altes Gefängnis. Wie aber war das Leben hinter den Gefängnismauern? Heinz Haberberger aus Herschfeld, letzter Dienstleiter der JVA Bad Neustadt, erinnert sich.

Von der kaputten Dachrinne bis zum Selbstmordgedanken eines Häftlings sei alles in seinen Aufgabenbereich gefallen, berichtet der heute 79-Jährige. Als er im Juli 1994, knapp zwei Jahre vor der Schließung der JVA, zum Leiter des allgemeinen Vollzugsdiensts, kurz Dienstleiter, in Bad Neustadt ernannt wurde, arbeitete Haberberger bereits 23 Jahre im Bad Neustädter Gefängnis, seit 1988 als stellvertretender Dienstleiter. 

"Was macht denn der Papa?" - "Der ist im Gefängnis."

"Was macht denn der Papa?" Die Antwort von Tochter und Sohn Haberberger – "der ist im Gefängnis" – sorgte regelmäßig für Heiterkeit. Wie er dort hinkam? Aufgewachsen in der Fränkischen Schweiz, absolvierte Heinz Haberberger seine Bundeswehrzeit in Mellrichstadt, bevor er sich für eine Ausbildung in der Justiz entschied und 1971 als Justizvollzugsbeamter nach Bad Neustadt versetzt wurde.

Anfangs waren es rund 40 Insassen, die in der Bad Neustädter JVA von sieben Beamten bewacht wurden, erinnert er sich, 1996 dann bis zu 81 Insassen bei 17 Beamten. Sie saßen in 36 Hafträumen, zumeist drei Personen pro Zelle, bis zu 18 Monate Freiheitsentzug ab. Von Verkehrsdelikten bis zur Vergewaltigung sei alles dabei gewesen: "Wir hatten alles quer durch den Garten: Abschiebehaft, Strafhaft, U-Haft." Sogar Mörder saßen kurzfristig – etwa während ihrer Verhandlung oder während ihres Scheidungsverfahrens –in Bad Neustadt ein, auch wenn die schwereren Fälle eigentlich anderorts untergebracht waren.

Als Tabak und Liebesbriefe über die Gefängnismauern flogen

Haberberger bezeichnet die JVA Bad Neustadt im Rückblick als kleine und ruhige, quasi "familiäre" Anstalt. "Lumpereien" habe es natürlich auch im Knast gegeben: Der frühere Dienstleiter denkt an Tabak und Liebesbriefe, die vor dem Hofgang über die Gefängnismauern flogen, in der Hoffnung, dass sie in die Finger der Insassen und nicht in die der Beamten gerieten. Oder an die Flaschen Schnaps, die Häftlinge über geleerte Mülltonnen in die Haftanstalt zu schmuggeln versuchten.

'Hinter Gittern sieht die Welt drinnen und draußen nicht allzu rosig aus', schrieb Main-Post-Redakteur Hannes Helferich 1987, als er über den Alltag der Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt berichtete. Im Gefängnishof gebe es im Sommer die Möglichkeit, Fuß- und Volleyball zu spielen, allerdings fehle es für den offenen Vollzug an Arbeitsmöglichkeiten für die Gefangenen.
Foto: Foto Hannes Helferich /Repro Ines Renninger | "Hinter Gittern sieht die Welt drinnen und draußen nicht allzu rosig aus", schrieb Main-Post-Redakteur Hannes Helferich 1987, als er über den Alltag der Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt ...

Erfolgversprechender war da offenbar der Eigenbrand: Nicht wenige Häftlinge brockten Brotkrumen in O-Saft, ließen das Gebräu wochenlang gären und versuchten auf diese Weise selbst Schnaps herzustellen. Fernsehverbot oder Arrest seien typische Disziplinarstrafen gewesen, die derartige "Schlitzohren", wie Haberberger sie betitelt, mitunter ereilten.

Weshalb das Gefängnisessen oft gewöhnungsbedürftig schmeckte

Auch die 700 Mark Bargeld, die ein Häftling über diverse Zellenkontrollen hinweg gekonnt in seiner Beinprothese verbarg, sind Haberberger gut in Erinnerung. Sie machten den Häftling auf dem Gefängnis-Schwarzmarkt liquide. 

Bevor Haberberger JVA-Leiter wurde, war er für die Wirtschaftsverwaltung und damit auch für Küche und Verpflegung zuständig. Gekocht hätten anfangs die Ehefrauen der früheren Dienstleiter, berichtet er. Nicht immer zum Wohlgefallen der Insassen. "Sie müssen umrühren!", sei einer Dame immer wieder ans Herz gelegt worden, der der Linseneintopf regelmäßig anbrannte. 

Recht eng gehe es in den Gemeinschaftszellen der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt zu, schrieb Main-Post-Redakteur Hannes Helferich 1987. Die Einrichtung der Zellen sei spartanisch.
Foto: Foto Hannes Helferich/Repro Ines Renninger | Recht eng gehe es in den Gemeinschaftszellen der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt zu, schrieb Main-Post-Redakteur Hannes Helferich 1987. Die Einrichtung der Zellen sei spartanisch.

Dass das Essen mitunter grenzwertig schmeckte, lag nicht nur an den Kochkünsten der Frauen. "Kaum hatte ich damals eine Ration Eier ausgegeben, haben Gefangene die Hälfte verschwinden lassen." Entsprechend schmeckten dann die Pfannkuchen. Später hätten Gefangene das Kochen übernommen. "Da ist das dann besser gelaufen."

Nächtens allein unterwegs in Gefängnisfluren

Für Haberberger und sein Team war die RAF-Zeit eine Zeitenwende: Bis dahin machte ein Beamter von abends 17 Uhr bis morgens 7 Uhr ganz alleine Dienst, die Gefangenen waren derweil unter Verschluss in ihren Zellen. Mit dem Terrorismus kamen die Auflagen: "Die Baader-Meinhof-Bande war der Anfang vom Ende", sagt er.

Die Nachtdienste waren, ob in der Anfangszeit allein oder später dann zu zweit, so oder so besondere Schichten: Manche Gefangenen hätten mit Vorliebe den Notruf betätigt und so die Vollzugsbeamten um ihre Ruhe gebracht. Meldete sich einer gar zu regelmäßig, sei ihm statt der geforderten Kopfschmerztablette schon mal eine Placebo-Tablette, ein Arzneimittel ohne Wirkstoff, zugeteilt worden, sagt Haberberger.

Als ein Häftling sein komplettes Besteckset verschluckte

Manche Aktionen von Häftlingen ließen Haberberger kopfschüttelnd zurück: Aus Protest schluckte einmal ein Insasse sein Besteck in Gänze hinunter. Der Bad Neustädter Chirurg Dr. Josef Bocklet habe den Mann damals geröntgt und das Verschluckte im Anschluss herausoperiert.

Der letzte Gefängnischef von Bad Neustadt: Im Juli 1994 wurde Heinz Haberberger offiziell zum Dienstleiter der Justizvollzugsanstalt  Bad Neustadt ernannt. Er löste damit  seinen Vorgänger Joachim Zinkgraf ab. Haberberger arbeitet seit 1971 in Bad Neustadt, das Amt des Stellvertreters hatte er seit 1988 inne.
Foto: Foto M. Benkert/Repro Ines Renninger | Der letzte Gefängnischef von Bad Neustadt: Im Juli 1994 wurde Heinz Haberberger offiziell zum Dienstleiter der Justizvollzugsanstalt Bad Neustadt ernannt. Er löste damit seinen Vorgänger Joachim Zinkgraf ab.

Die einzig richtig brenzlige Situation, an die sich Haberberger erinnert, hatte ebenfalls mit einem Küchenmesser zu tun. Ein randalierender Häftling sei in seiner Zelle vom Bett gesprungen und habe den Dienstleiter mit ebendiesem verletzt. Die Narbe am Arm hat Haberberger noch heute. Ein Kollege setzte daraufhin den Gummiknüppel ein. 

Wie ein Fluchtversuch vorübergehend glückte

Gut im Gedächnis blieb Haberberger ein Fluchtversuch: Auf dem Weg zum Zahnarzt konnte ein Häftling offenbar entwischen. Er türmte durchs Hohntor Richtung Feuerwache, die zu diesem Zeitpunkt eingerüstet war. Der Flüchtige legte sich flach aufs Gerüst: "Wir sind 'rumgerannt und haben den gesucht und der Dreckhammel hat uns beobachtet." Abends, als er nicht wusste wohin, habe der Mann sich selbst wieder gestellt.

Probleme habe man in Bad Neustadt meist intern lösen können, so Haberberger. Oft waren es die kleinen Gesten, die viel Unruhe nahmen: eine Fernsehstunde für ausländische Häftlinge mit einem Film in Originalsprache beispielsweise. In einer großen JVA wie Würzburg – nach der Schließung von Bad Neustadt wurde Haberberger dorthin versetzt – sei derlei nicht mehr möglich gewesen.

Haberberger kannte seine "Pappenheimer": Nicht wenige seien regelmäßig immer wiedergekommen. Alle hatten ihre Eigenheiten. Da unterschieden sich seine Gefangenen kaum von den Zellentüren aus Eichenholz, die den modernen Stahltüren vorausgingen. Mit großen, schweren Schlüsseln ließen sie sich nur mühsam öffnen: "Einen musste man schräg nach oben, den nächsten schräg nach unten stecken."

Neuscht und sein Gefängnis: Geschichten aus dem Knast

Fast 200 Jahre lang, bis zur Schließung 1996, wurde der Fronhof, auch Alte Amtskellerei genannt, als Bad Neustadts Gefängnis genutzt. In einer kleinen Serie blickt diese Redaktion zurück: Wie war das Leben hinter den Gefängnismauern? Zu Wort kommen verschiedene Zeitzeugen.
Sie erinnern auch Anekdoten und Geschichten rund um Bad Neustadts Gefängnis? Kontaktieren Sie uns unter redaktion.rhoen-grabfeld@mainpost.de
ir
 
Themen & Autoren / Autorinnen
Bad Neustadt
Ines Renninger
Gefängnisse
Hohntor
Häftlinge
Justizvollzugsanstalten
Stadt Bad Neustadt
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top