
Knapp sechs Millionen Menschen leiden in Deutschland unter Schlafstörungen, wie eine Studie der Barmer Krankenversicherung im Jahr 2023 zeigte. Die Psychosomatische Klinik des Rhön-Klinikum Campus in Bad Neustadt hat sich seit geraumer Zeit zur Aufgabe gemacht, die Themen Schlaf und Schlafstörungen den Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen. Denn obwohl viele Menschen wissen, wie sich guter Schlaf anfühlt, existieren viele Mythen zum Thema. Die leitende Psychologin der Klinik, Julia Schneider, erklärt im Interview, worauf man achten sollte.
Julia Schneider: Wir haben ein idealisiertes Bild vom Schlaf. Im Sinne von: Wir schlafen ein, schlafen wie ein Stein und nach acht Stunden stehen wir völlig erfrischt auf. Es ist aber völlig normal, nachts aufzuwachen. Ein gesunder Schläfer ist bis zu zwanzigmal in der Nacht wach, nur erinnern kann er sich in der Regel daran nicht. Wenn man mal aufwacht und auf Toilette geht, tut das der Schlafqualität keinen Abbruch, aber wenn man allerdings mehrfach in der Nacht über eine längere Zeit wach liegt, macht das schon etwas aus.
Schneider: Die Kriterien für eine Schlafstörung sind durch die Weltgesundheitsorganisation klar definiert. Es müssen Schlafprobleme über einen längeren Zeitraum vorhanden sein, egal ob Ein- oder Durchschlafstörungen oder frühmorgendliches Erwachen. Es muss eine subjektive Beeinträchtigung der Dauer oder der Qualität des Schlafs vorliegen. Und das Allerwichtigste: Es muss auch ein Leidensdruck vorhanden sein.

Schneider: Wir haben mehr Schlafstörungen als früher, weil wir nicht mehr nach unserer biologischen Uhr leben. Wir haben eine innere Uhr in uns, die uns sagt, ob es Tag oder Nacht ist. Das wird durch das Licht synchronisiert. Durch künstliches Licht, mehr Lärm und die modernen Umwelteinflüsse wird unser Schlaf allerdings beeinträchtigt. All das gab es früher nicht. Auch so etwas wie Schichtarbeit ist eigentlich eine neuere Entwicklung. Das alles kann zu Schlafstörungen führen.
Schneider: Schlafentzug ist eine Foltermethode, um es ganz drastisch auszudrücken. In den 60er-Jahren blieb Randy Gardner elf Tage wach, um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen. Gardner hatte schwerste psychische Ausfallerscheinungen währenddessen erlitten. Er hatte Halluzinationen, Wahnvorstellungen und am Schluss konnte er nicht mal die einfachste Rechenaufgabe lösen. Da hat man erkannt, dass man im Schlaf nicht einfach gesagt "ausgeschaltet" ist, sondern im Schlaf wichtige Prozesse ablaufen. Die körperliche Erholung, aber auch die psychische und emotionale Verarbeitung findet im Tiefschlaf statt. Deswegen sind viele Menschen unkonzentriert und launisch, wenn sie mal nicht gut geschlafen haben, weil tatsächlich diese Prozesse dann nicht gut stattgefunden haben. Deswegen: Wir müssen schlafen!
Schneider: Von der psychologischen Seite gibt es einige Methoden, wie man dagegen steuern kann. Die Psychoedukation ist oft der erste Schritt, also das Wissen, was normaler Schlaf überhaupt ist. Es gibt viele Mythen um den Schlaf, deswegen kläre ich zunächst auf, was realistisch ist. Manche Menschen denken, dass sie sieben Stunden im Tiefschlaf verbringen – aber in Realität sind es nur 20 Prozent der Dauer. 50 Prozent verbringen wir im stabilen Schlaf und das verändert sich sogar im Laufe des Lebens. Im zunehmenden Alter reduziert sich der Tiefschlaf nochmal. Ältere Menschen schlafen oft nur fünf Stunden pro Nacht. Im Alter muss man sich auf kürzeren Schlaf einstellen. Es gibt einige Entspannungsverfahren, die bei Schlafstörungen hilfreich sind. Ob imaginatives oder autogenes Training helfen kann, hängt vom Typ Mensch ab. Es ist auch wichtig, sich körperlich auszulasten. Dadurch erhöht man den Schlafdruck. Weniger ratsam ist es, sich zu sehr bei Schlafstörungen zu schonen.
Schneider: Schlafhygiene ist ein wichtiger Aspekt. Wie ist das Schlafzimmer angelegt? Ist es dunkel, still und fühlt sich der Betroffene allgemein dort wohl? Man kann sich auch überlegen, ob störende Möbelstücke vielleicht wegräumt gehören. Es gibt auch andere Kniffe, wie zum Beispiel das Schaffen eines Einschlafrituals. Interessanterweise machen wir das bei Kindern intuitiv. Warum sollten das Erwachsene nicht auch haben? Für die Verknüpfung im Gehirn sind Rituale wichtig. Ob Hörbuch hören, Lesen oder Tagebuch schreiben – das für sich passende Ritual ist sehr individuell. Nickerchen am Nachmittag sind hingegen weniger ratsam, denn der Schlafdruck wird dadurch verringert und nachts liegt man oft wach. Ratsam ist dagegen den Wecker umzudrehen, damit man nachts nicht weiß, wie spät es ist, um nicht gleich eine negative Bewertung im Kopf zu erzeugen.
Schneider: Manche denken, dass Alkohol eine Einschlafhilfe wäre. Das Problem mit Alkohol ist, dass er ein Nervengift ist. Unser Schlaf ist durch den Alkoholeinfluss beeinträchtigt: Wir schwitzen mehr, haben mehr Albträume, der Tiefschlafanteil wird dadurch nochmal reduziert. Der Schlaf ist dann nicht besonders erholsam. Es nützt dann nichts, wenn man denkt, dass man durch Alkohol früher einschläft. Abgesehen davon, dass man auch vom Alkohol abhängig werden kann. Dann hat man zwei Probleme und nicht nur eins. Ansonsten sollten Handys, Tablets oder der Fernseher mindestens eine Stunde vorm Schlafen ausgeschaltet werden.

Schneider: Wir können den Schlaf nicht direkt eins zu eins nachholen. Wenn ich mal eine Nacht zwei Stunden zu wenig geschlafen habe, dann muss ich nicht am nächsten Tag zwei Stunden länger schlafen. Wir schlafen dann beim nächsten Mal eben effektiver. Wir haben dann mehr Tiefschlafanteile in unserem Schlaf. Vorschlafen ist auch etwas schwierig, da wir unsere innere Uhr haben. Wir können zwar ein Nickerchen am Nachmittag machen, um unser Müdigkeitsgefühl nach hinten zu verschieben, wenn wir beispielsweise am Abend etwas vorhaben. Aufs Äußerste vorschlafen, um dann beispielsweise 16 Stunden durchzuarbeiten, geht aber nicht. Unsere Körper funktionieren so nicht.
Schneider: Wir als Menschen können uns nicht wirklich an Nachtschichten gewöhnen. Für jemanden, der auf Dauer in Nachtschichten arbeitet, ist es allerdings leichter, sich daran zu gewöhnen. An den ständigen Schichtwechsel, wie drei Tage Frühschicht, dann drei Tage Nachtschicht, kann man sich allerdings nicht wirklich gewöhnen. Deswegen haben 80 Prozent aller über 50-Jährigen in Schichtarbeit Schlafstörungen. Als junger Mensch ist man da etwas flexibler, aber ab einem gewissen Alter ist es für alle sehr schwer. Durch Schlafmangel werden Stresshormone ausgeschüttet und wenn ich dauerhaft im Stress bin, hat das Auswirkungen auf unsere Gesundheit. Arbeiten in Nachtschichten ist wie ständiger Jetlag – das ist auf Dauer anstrengend und eine Belastung für Körper und Psyche.