Sich stundenlang im Bett herumwälzen, ohne ein Auge zuzudrücken: Das kann richtig ärgerlich sein. Vor allem dann, wenn am nächsten Tag wichtige Termine anstehen, will man möglichst rasch einschlafen. In solchen Situationen hat jeder sein eigenes Ritual, etwa Baldriantropfen, warm Duschen oder das altbewährte Schäfchenzählen. Der Schlafforscher Dr. Hans-Günter Weeß erklärt, was aus wissenschaftlicher Sicht sinnvoll ist.
Herr Dr. Weeß, haben heute mehr Menschen Probleme mit dem Einschlafen als vor 50 Jahren?
Dr. Hans-Günter Weeß: Ja, Schlafstörungen nehmen insgesamt zu. Das liegt zum einen daran, dass Schichtarbeit immer häufiger wird. Sie stellt ein Leben wider der menschlichen Natur dar, da Schlafperioden am Tag nötig sind. Zum anderen wirkt sich die 24-Stunden-Non-Stop-Gesellschaft, in der wir leben, negativ aus. Wir checken im Bett noch die E-Mails vom Arbeitsplatz, stehen nachts auf, um mit Geschäftspartnern in Übersee zu konferieren oder chatten mit Freunden. Das löst die Tag-Nacht-Struktur auf, die früher naturgegeben war. Für Studien haben wir Menschen wie in der Steinzeit, also ohne Strom und Computer, leben lassen. Sie mussten sich wieder am Hell-Dunkel-Rhythmus orientieren. Sehr schnell haben sie fast zwei Stunden mehr geschlafen und sind früher ins Bett gegangen, weil es abends kein Fernsehen oder Internet und keine künstliche Beleuchtung mehr gab.
Was kann man tun, um die Schlafbereitschaft zu fördern?
Weeß: Als erstes müssen wir uns klar machen: Der Schlaf ist ein scheuer Geselle, der keine Anspannung mag. Wir müssen dafür sorgen, dass wir abends wieder rechtzeitig runterkommen. Wir brauchen einen Puffer zwischen den Belastungen des Alltags und der notwendigen Entspannung. Wie dieser Puffer aussieht und wie lang er sein sollte, ist bei jedem Menschen anders. Für die einen reicht schon die Abendtoilette, um der Psyche zu signalisieren: Jetzt ist Feierabend! Andere müssen mehr Aufwand treiben, um eine entspannte, positive Atmosphäre herzustellen. Wenn mich früher als Kind abends noch etwas aufgewühlt hat, hat mir meine Mutter über den Kopf gestrichen und gesagt: „Kind, für heute ist es gut. Morgen geht es weiter.“ Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man das Selbstbewusstsein hat, Probleme für den nächsten Tag aufzuheben und zu sagen: „Für heute bin ich zufrieden.“
Welche sanften Einschlafhilfen bringen etwas: warme Milch mit Honig, Melissentee, Zuckerwasser...?
Weeß: Die Milch mit Honig kann das Einschlafen tatsächlich etwas begünstigen. Milch enthält nämlich L-Tryptophan. Wegen der Kohlenhydrate im Honig kann der Stoff leichter die Blut-Hirn-Schranke passieren und im Gehirn weiter zu dem Schlafbotenstoff Melatonin verstoffwechselt werden. Ich glaube aber eher, dass weniger die Substanzen, als vielmehr die Handlung beruhigend wirkt: Ich gehe in die Küche, tue mir etwas Gutes und mache mir eine Milch warm. Das ist ein kleines entspannendes Schlafritual. Es gibt keine rezeptfreie Substanz, die bedeutsame Einschlafprobleme überwindet. Pflanzliche Schlafmittel wirken nur bei leichtesten Schlafproblemen ausreichend beruhigend. Am ehesten hat noch hochdosierter Baldrian einen Effekt. Da gibt es ein paar - allerdings schlechte - Studien, die darauf hinweisen, dass er tatsächlich helfen könnte.
Und das berühmte Glas Rotwein?
Weeß: Alkohol ist ein Psychopharmakon, das uns direkt in die Entspannung führt. Trotzdem ist Wein kein gutes Schlafmittel - vor allem, wenn die Dosis zu hoch ist. Dann wird der Tiefschlaf unterdrückt und wir haben in der zweiten Schlafhälfte mehr Wachphasen, mehr Alpträume und mehr Weckreaktionen.
Ist es in Ordnung, auch mal ein Schlafmittel zu nehmen?
Wenn jemand, der nicht zu Süchten neigt, gelegentlich ein gut verträgliches Schlafmittel nimmt, würde ich das nicht dramatisch sehen. Aber Vorsicht, bei regelhafter Einnahme kann es zu Abhängigkeiten kommen. Schlafmittel sind keine kausale Therapie, sie sind im eigentlichen Sinne auch Beruhigungsmittel. Besser lernt man wieder, seine eigene Schlaftablette zu werden und sich selbst zu beruhigen.
Viele Leute nicken ausgerechnet vor dem Fernseher ein...
Weeß: Ganz Deutschland schläft vor dem Fernseher am besten. Das Erstaunliche ist, dass dort trotz der widrigen Verhältnisse - es ist ja hell, laut und nicht so bequem wie im Bett - sogar Schlafgestörte wunderbar schlafen können.
Warum denn das?
Weeß: Wenn man den Fernseher anschaltet, schaltet man sich selbst ab - man ist von seinen eigenen Sorgen und Nöten abgelenkt. Meist war man auch lange genug wach, sodass genügend Schlafdruck da ist. Außerdem versucht man nicht, krampfhaft zu schlafen. Das alles sind optimale Voraussetzungen zum Einschlafen. Daher rate ich: Sei dein eigener Fernseher! Mach deine eigenen Geschichten!
Was für Geschichten können das sein?
Weeß: Geschichten, die mit einem guten Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit einhergehen. Sie fördern die für den Schlaf notwendige Entspannung. Ich persönlich denke zum Beispiel an schöne Erlebnisse mit meinem Sohn zurück. Als er klein war, standen wir oft abends zusammen im Keller und haben etwas gebaut. Das waren immer sehr dichte Vater-Sohn-Momente, wo man sich einander nah gefühlt hat. Das bringt mich eigentlich immer auf entspannende und gute Gefühle.
Und wenn es mit dem Einschlafen trotzdem oft nicht klappt: Wann sollte man zum Arzt gehen?
Weeß: Wir haben die Faustregel: Wenn der Schlaf dreimal pro Woche so stark gestört ist, dass man auch am Tag beeinträchtigt ist und das über einen Zeitraum von vier Wochen, sollte man den Hausarzt konsultieren.
Dr. Hans-Günter Weeß ist psychologischer Psychotherapeut, Schlafforscher und Buchautor. Er leitet die Schlafmedizinische Abteilung des Pfalzklinikums Klingenmünster und lehrt an der Uni Koblenz-Landau. Außerdem ist er Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Sein neues Buch heißt: Schlaf wirkt Wunder. Alles über das wichtigste Drittel unseres Lebens.
Sex entspannt, Alkohol nicht – ein paar Tipps
Nicht zu früh ins Bett: Menschen, die zu Schlafproblemen neigen, gehen nach der Erfahrung von Schlafforschern oft zu früh ins Bett. Wer sich abends erst dann hinlegt, wenn er richtig müde ist, schläft in der Regel leichter ein und überhaupt besser. Deshalb sollte man insgesamt nicht zu lange schlafen und auf längere Nickerchen tagsüber verzichten.
Abendliche Rituale: Von Einschlafritualen (etwa Bettlektüre oder ein warmes Bad) profitieren nicht nur Kinder. Sie helfen dem Körper, auf Entspannung umzuschalten. Kurz vor dem Zu-Bett-Gehen noch fernzusehen, sollte man besser vermeiden. Wer dabei einnickt, hat später im Bett oft Probleme beim Einschlafen. Dagegen können Spazierengehen, Musikhören oder Entspannungsverfahren dazu beitragen, zur Ruhe zu kommen. Auch Sex halten Schlafforscher für entspannend und letztlich schlaffördernd.
Wenig Alkohol, kein Koffein: Ein Glas Wein am Abend kann zwar dabei helfen, schneller einzuschlafen. Insgesamt verschlechtert Alkohol die Schlafqualität aber gravierend. Außerdem reagieren manche Menschen sehr empfindlich auf Koffein. Wer dazu gehört, sollte ab etwa 13 Uhr weder Kaffee noch Schwarztee trinken
Nicht mit vollem Bauch ins Bett: Nach umfangreichen Menüs schläft es sich schlecht. Besser ist es, abends in Maßen zu essen und zu trinken. Manchen Menschen hilft es, tryphtophanreiche Kost wie dunkle Schokolade, Nüsse oder Milch zu sich zu nehmen. Wenig empfehlenswert sind größere Mengen Salz (z.B. Chips, Knabberstangen), weil sie den Blutdruck in die Höhe treiben können.
Weg mit dem Wecker: Uhren in der Nähe des Bettes können stören. Wer nicht einschlafen kann und ständig nachschaut, ärgert und verkrampft sich. Braucht man zum Aufwachen einen Wecker, stellt man ihn zum Beispiel unters Bett.
Viel Bewegung: Wer regelmäßig Sport treibt, schläft insgesamt besser und ist entspannter. Empfehlenswert ist vor allem, sich bei Tageslicht an der frischen Luft zu bewegen.
Nicht im Bett herumliegen: Kann man längere Zeit nicht mehr einschlafen und wird deshalb unruhig, sollte man besser aufstehen und einer ruhigen Tätigkeit nachgehen (z.B. Bügeln, Musik hören). Sich im Bett herumzuwälzen und zu ärgern, ist eher kontraproduktiv.