Wer dauerhaft schlecht, oder zu wenig schläft, hat tagsüber nicht nur mit Müdigkeit, Konzentrationsschwäche und schlechter Laune zu kämpfen – sondern lebt auch kürzer, weiß Dr. Philipp Schendzielorz. Der Leitende Oberarzt des interdisziplinären Schlafzentrums der Universitätsklinik Würzburg (UKW) erklärt, dass es neben der täglichen Schlafdauer vor allem auf die Qualität des Schlafs ankommt – und räumt mit einigen Mythen rund um das Thema auf. Denn die Relevanz von gesundem Schlaf werde oft unterschätzt. Und das, obwohl wir rund ein Drittel unseres Lebens im Bett verbringen (sollten).
Der 39-Jährige hat in Mainz Medizin studiert und seine Facharztausbildung zum Hals-Nasen-Ohren Arzt (HNO) in Würzburg absolviert. Da Schlaf häufig mehrere Fachdisziplinen betrifft, arbeiten im interdisziplinären Zentrum für gesunden Schlaf Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Fachrichtungen, etwa aus dem HNO-Bereich, der Neurologie, aber auch der Verhaltenstherapie und der Psychologie zusammen.
Schlaf, so Schendzielorz, ist nicht nur für die Gedächtnisbildung und -konsolidierung wichtig. Auch leide das Immunsystem unter Schlafmangel: Betroffene sehen sich häufiger Infekten ausgesetzt. Der menschliche Körper benötige Schlaf zur Regeneration von Körper und Geist gleichermaßen.
Stimmt es, dass wir mindestens acht Stunden schlafen müssen, um fit zu sein?
Wie viel Schlaf eine Person benötigt, hängt laut Schendzielorz stark vom Alter ab: Zwischen sieben und neun Stunden sei die Norm bei Erwachsenen. Die Unterschiede seien allerdings individuell und könnten von Person zu Person stark abweichen.
So benötigten einige zehn Stunden, anderen reiche es wiederum aus, täglich nur vier bis fünf Stunden zu schlafen – ohne dabei tagsüber beeinträchtigt zu sein. Säuglinge hingegen benötigten etwa 15 Stunden Schlaf pro Tag, Grundschulkinder zehn bis elf Stunden. Wer sein natürliches Schlafpensum regelmäßig unterschreitet, merke das tagsüber, sagt der Schlafmediziner. Oftmals sei aber nicht eindeutig zu klären, ob das Müdigkeitsgefühl ausschließlich vom Schlafmangel herrührt.
Weshalb manche Menschen mit nur vier bis fünf Stunden Schlaf auskommen? Schwer ergründbar, meint Schendzielorz. Die Forschung gehe davon aus, dass die Schlafqualität bei diesen Personen im Vergleich höher ist.
Ist mein Schlaf noch gesund, wenn ich häufiger nachts aufwache?
Die Schlafdauer ist nur ein Aspekt, mindestens genauso wichtig ist die Qualität des Schlafs. Dabei sei es auch nicht schlimm, sagt Schendzielorz, hin und wieder nachts wach zu werden. Das Gegenteil sei der Fall: Kurze Wachphasen bleiben meist unbemerkt und gehören zu einem gesunden Schlaf dazu. Von einer Insomnie, also einer Durchschlafstörung, spricht man in der Medizin erst dann, wenn die Wachphasen häufiger auftreten und mindestens zehn bis 15 Minuten andauern.
Schlaf ist nicht geradlinig, sondern teilt sich in unterschiedliche Phasen auf, die sich zwischen vier- und siebenmal pro Nacht wiederholen, erklärt der Schlafmediziner. Hierbei ist zwischen leichtem Schlaf, Tiefschlaf und dem Traumschlaf, auch REM-Schlaf genannt, zu unterscheiden. Der REM-Schlaf (rapid-eye-movement) beträgt bei Erwachsenen rund 20 Prozent des Schlafs und dient insbesondere der kognitiven, also der geistigen Regeneration.
Der Tiefschlaf bestimmt rund 15 Prozent des Schlafs und tritt zumeist in der ersten Nachthälfte auf. Er sorgt insbesondere für die körperliche Regeneration. Den übrigen, überwiegenden Anteil, bestimmen Leichtschlafphasen, in denen Schlafende bis zu 30 Mal kurz aufwachen, ohne es zu merken.
Kann ich einfach mehr schlafen, um verpassten Schlaf nachzuholen?
Wird dem Körper einmal Schlaf entzogen, sei das unproblematisch, solange der Zustand nicht zur Regel wird, so Schendzielorz. Ein Irrglaube sei es, dass der Körper in der Folge auf einen längeren Ausgleichsschlaf angewiesen ist. Auch hier sei die Qualität des Schlafs wichtiger. Und die nehme bei Übermüdung – nach aktuellem Kenntnisstand der Forschung – automatisch zu.
Woher weiß unser Körper eigentlich, dass er einschlafen muss?
Dafür, dass der menschliche Körper zum Schlafen angeregt wird, gibt es laut dem Mediziner zwei Auslöser: Zum einen das Schlafhormon Melatonin, dessen Produktion tagsüber durch natürliches Licht unterdrückt und abends vermehrt angeregt wird. Zum anderen gehe die Forschung davon aus, dass es eine Art "Schlafstoff" gibt, der sich tagsüber in den Zellen ansammelt und einen "Schlafdruck" erzeugt – das Adenosin.
Kommt beides zusammen, ist der Schlafdruck am höchsten. Bekommt der Körper nachts keinen Schlaf - etwa durch das Arbeiten in der Nachtschicht - wird der Stoff in den Zellen nicht abgebaut und die Müdigkeit nimmt zu: "Deshalb ist auch ein zu langer Mittagsschlaf nicht förderlich, weil man Schlafdruck abbaut und abends nicht mehr einschlafen kann", warnt Schendzielorz.
Durch welche Ursachen werden Schlafstörungen überhaupt ausgelöst?
Ist der Schlaf so sehr gestört, dass es zu dauerhaftem Schlafmangel kommt, hat das oft einen psychischen Grund, sagt Schendzielorz. Depressionen können die Ursache sein, aber auch klassischer Stress, etwa durch den Beruf bedingt. Es gibt aber auch körperliche Ursachen, zu deren Analyse Betroffene meist nicht um das Schlaflabor herumkommen.
Etwa bei der obstruktiven Schlafapnoe – der häufigsten Schlafstörung – bekommen Betroffene beim Schlafen schlecht Luft und haben Atemaussetzer. Häufig gehe sie mit Schnarchen einher, sagt der Arzt. Schlimmer sei jedoch, dass die Sauerstoffversorgung abfällt, der Herzschlag angeregt und der Körper immer wieder zu kurzen "Wachreaktionen" getrieben wird.
Auch nach einem Acht-Stunden-Schlaf fühlten sich Menschen mit diesem Krankheitsbild nicht ausreichend erholt. Auf Dauer ist das gefährlich für den Körper. Mit einer Atemmaske sei das Krankheitsbild gut behandelbar, sagt Schendzielorz. Inzwischen kämen aber auch kieferorthopädische Methoden wie Schienen, in manchen Fällen auch Mandeloperationen infrage.
Bin ich undiszipliniert, wenn ich morgens schlecht aus dem Bett komme?
Ob jemand ein Frühaufsteher ist, oder morgens eher schwierig aus dem Bett kommt - das hat unter normalen Schlafbedingungen wenig mit Disziplin zu tun. In der Schlafmedizin spreche man hier von Eulen und Lerchen, erklärt der Arzt: "Manche gehen später ins Bett und wachen später auf. Unser endogener Rhythmus ist einfach so." Deshalb plädieren manche Schlafmediziner auch dafür, die Schule erst um 9 Uhr beginnen zu lassen.