Führt eine winzige DNA-Spur nach 27 Jahren zu dem oder den Mörder(n) von Sabine B.? Kann nach so langer Zeit der gewaltsame Tod des 13-jährigen Mädchens aus Wiesenfeld im Landkreis Main-Spessart tatsächlich aufgeklärt werden? Dank verbesserter Analysemethoden bieten genetische Untersuchungen die Chance, jahrelang ungeklärte Kriminalfälle doch zu knacken und zu lösen. Wie aber funktioniert diese Technik?
Die legendäre Spur 2.45.44
Die Würzburger Mordermittler hoffen, dass sie im Mordfall von Wiesenfeld aus dem Jahr 1993 genauso viel Glück haben wie vor drei Jahren ihren Aschaffenburger Kollegen mit der legendären DNA-Spur 2.45.44 in einem scheinbar ähnlich aussichtslosen Fall: Fast 30 Jahre lang hatte man dort vergeblich nach dem brutalen Verbrecher gesucht, der eine 22-jährige Diskobesucherin stundenlang vergewaltigt hatte, um dann in mörderischer Absicht 16 Mal auf sie einzustechen.
Trotz des Phantombilds und der ausgeschriebenen Belohnung blieb der Aschaffenburger Fall von 1988 für die Ermittler lange ein Rätsel – und der Täter muss geglaubt haben, dafür nie mehr zur Rechenschaft gezogen zu werden. Doch 2015 nahmen sich unterfränkische Ermittler den ungeklärten Fall, im Fachjargon "Cold Case" genannt, noch einmal vor. Und plötzlich war er wieder brandheiß.
Mordversuch nach 30 Jahren geklärt: "Lebenslänglich" für den Täter
Denn eine vorher "wertlose" DNA-Spur auf der Rückbank des Wagens, in dem die Frau vergewaltigt worden war, ließ sich jetzt identifizieren. Und mehr noch, sie war bereits hinterlegt in der Datenbank der Polizei: Sie stimmte überein mit der DNA eines vorbestraften Vergewaltigers. Nun wurde er auch für den versuchten Mord in Unterfranken zur Rechenschaft gezogen. Das Urteil: lebenslänglich.
In Würzburg hatten im Jahr 2007 die Beweise gegen einen Ex-Manager nicht ausgereicht, um Mord an einer Anhalterin zu beweisen. Doch kaum hatte er die zehn Jahre für Totschlag und eine Erpressung abgesessen, schnappten ihn die Ermittler im vorigen Frühjahr erneut: Nach 35 Jahren führte eine winzige DNA-Spur plötzlich zum mutmaßlichen Mörder einer Frau in Sindelfingen, nach dem Ermittler ewig gesucht hatten. Der ehemalige Manager hatte bereits kurz nach der Tat als verdächtig gegolten, damals konnte man ihm jedoch nichts nachweisen. Jetzt sitzt er in Stuttgart wegen Mordes auf der Anklagebank.
Inzwischen eine "bessere" Spur
Auch im Fall Sabine B. haben die Würzburger Ermittler Spuren aus dem Jahr 1993, die sie mit der DNA der beiden aktuell Verdächtigen vergleichen. Im Freispruch für einen zunächst verdächtigen 15-Jährigen am Landgericht Würzburg 1994 hatte der Vorsitzende darauf hingewiesen: An der Kleidung des toten Mädchens hatten Spurensicherer im Dezember 1993 Haare gefunden, die damals noch nicht identifiziert und zugeordnet werden konnten.
In Ermittlerkreisen heißt es jetzt: Man habe inzwischen „bessere“ Spuren als Haare. Sie hätten nun zu den neuen Ermittlungen gegen zwei Verdächtige geführt. Um welche Art von Beweismaterial es sich konkret handelt - dazu wollen sich die Ermittler derzeit nicht detaillierter äußern. Nur dass sie an mehreren Asservaten unabhängig voneinander gefunden wurden und auf ein und den denselben Mann hinweisen.
Wo der genetische Fingerabdruck hilft
Die DNA-Analyse ist in vielen Bereichen hilfreich: Etwa bei der Identifizierung von Unfallopfern, bei Terroranschlägen oder einem Flugzeugabsturz. Oder bei Vaterschaftstests. Die Analyse der Erbinformationen hilft auch, die Unschuld von Tatverdächtigen zu belegen.
Vor allem aber werden mit Hilfe der DNA-Analytik bundesweit jetzt vermehrt bislang ungeklärte Kriminalfälle gelöst. Die Fortschritte in der Molekularbiologie seit Mitte der Achtziger Jahre machen es möglich. So war früher beispielsweise ein ausgerissenes Haar ohne Wurzel – wie etwa im Fall der in Australien getöteten Kindergärtnerin Simone Strobel aus dem Landkreis Würzburg – zunächst nicht identifizierbar. Dazu bestand das Risiko, dass eine gefundene Probe nach einem ersten Analyse-Versuch für weitere Tests nicht mehr verwendbar war.
Nicht codierende Bereiche des Erbguts werden untersucht
Für einen DNA-Test müssten Forensiker nicht aufwändig das komplette menschliche Erbgut analysieren, erklärt ein Gutachter, der häufig in Würzburg vor Gericht auftritt. Es reiche aus, in einem standardisierten Verfahren ausgewählte Bereiche zwischen den Genen zu untersuchen.
Sie stammen aus dem sogenannten nicht codierenden Bereich des Erbguts - damit aus Datenschutzgründen keine Rückschlüsse auf persönliche Merkmale oder das Aussehen des Spurenverursachers möglich sind. Die Gene selbst dürfen nicht für eine Analyse herangezogen werden.
Früher basierte die Auswertung in Deutschland auf fünf Merkmalen, also DNA-Bereichen. Später waren es acht, mittlerweile sind es 16. Sind diese 16 Merkmale bei verschiedenen Proben identisch, ist statistisch kein Irrtum möglich - außer der Getestete hat einen eineiigen Zwilling.
Jede Körperzelle eines Menschen enthält sein gesamtes genetisches Material. Doch sind nach Auskunft von Experten für eine Analyse normalerweise mindestens etwa zehn Zellen mit intaktem Zellkern nötig – je mehr, desto besser.
Geringste Mengen genügen - doch sie müssen intakt sein
Durch verbesserte Methodik benötigten Ermittler im Laufe der Jahre immer geringere Mengen an gesichertem Material. Inzwischen ist bereits weniger als ein Milliliter Blut für eine DNA-Probe ausreichend. Allerdings kann das DNA-Material durch Umwelteinflüsse wie Feuchtigkeit, Sauerstoff oder UV-Licht leicht Schaden nehmen. Auch deswegen ist es relevant, welche Art von Spuren Ermittler an einem Tatort finden.
In Blut- und vor allem Sperma-Spuren ist häufig noch ausreichend aussagekräftiges Genmaterial vorhanden. Aus Hautschuppen oder Haaren dagegen sind nach einiger Zeit für eine Analyse oft nur noch sehr fragmentierte Moleküle zu bekommen.
So läuft der Test ab
Finden die Tatort-Sicherer zum Beispiel eine Spur auf einem Kleidungsstück, wird ein Teil des relevanten Stoffes stark zerkleinert und in ein Röhrchen gefüllt. Dann geben die Analytiker eine Flüssigkeit dazu, die Proteine auflöst, anschließend wird alles mehrere Stunden erhitzt. Um die Substanzen voneinander zu trennen, wird die Probe in einer Zentrifuge geschleudert. Am Boden des Röhrchens setzen sich die Reststoffe ab, das wertvolle Erbmaterial "schwimmt" darüber.
Vor der Gen-Analyse muss dieses Material gereinigt werden. Dabei geht ein großer Teil der DNA verloren. Um doch ausreichend genetische Information zur Verfügung zu haben, wird das Material zunächst - in vitro, im Reagenzglas - vervielfältigt. Das Verfahren dazu heißt Polymerase-Kettenreaktion.
Anschließend durchlaufen die Moleküle ein elektrisches Feld, in dem sie der Größe nach sortiert werden. Das Muster, das dabei entsteht, können die Ermittler nun im Detail analysieren und anschließend mit bekannten DNA-Profilen abgleichen. Meist wird das Erbgut nicht nur einmal untersucht, sondern mehrfach, bevor es mit den hinterlegten Profilen aus der DNA-Datenbank verglichen wird.
Was mit den gespeicherten Daten passiert
DNA-Profile werden in Deutschland seit 1998 zentral gespeichert - in der vom Bundeskriminalamt betriebenen DNA-Analysedatei (DAD). Zugriff darauf haben alle Polizeibehörden über das zentrale Informationssystem der Polizei (Inpol).
In der DNA-Datei waren nach BKA-Angaben im März 2020 über 1,2 Millionen Datensätze gespeichert, davon 870.000 Personendatensätze und 358.000 Spurendatensätze. Im Jahr 2019 hatten bei den nationalen Recherchen laut BKA knapp 19.000 Spuren einem "Verursacher" zugeordnet werden können, mehr als 5100 Tatzusammenhänge, sogenannte Spur-Spur-Treffer, hätten die Daten-Vergleiche ergeben.
Wann gelöscht wird
Die Personendatensätze stammen von Beschuldigten sowie von Verurteilten. Denn wer freiwillig bei einem Massengentest mitmacht, dessen Profil wird nicht in der Datenbank hinterlegt. Es wird dann nur für den jeweiligen konkreten Einzelfall mit der entsprechenden Tatortspur verglichen.
Pro Monat kommen laut Bundeskriminalamt über 8000 Datensätze in der Datei dazu. Gelöscht werden können Daten auch. Das wird im Fall von Erwachsenen nach zehn Jahren geprüft, im Fall von Jugendlichen nach fünf Jahren.
Erweiterte Nutzung bringt mehr Informationen
Was im Mordfall Sabine B. den Ermittlern helfen könnte: Die DNA-Analyse kann theoretisch noch viel mehr Informationen liefern. So lässt die sogenannte Phänotypisierung unter bestimmten Umständen Aussagen über das Alter oder Haar-, Haut- und Augenfarbe sowie über die biogeografische Herkunft dessen zu, von dem die Probe stammt. Quasi ein Täterprofil aus dem DNA-Labor.
Doch in Deutschland gibt es dabei noch immer Bedenken, birgt diese Methode doch die Gefahr, Diskriminierung zu nähren - beispielsweise wenn die DNA -Analyse durch die Phänotypisierung auf die Herkunft aus einer ethnischen Minderheit hinweist.
In den Niederlanden ist dies dagegen eingeführt, seit 1999 in einem spektakulären Mordfall genau das Gegenteil passierte: Der Gentest entlastete drei unter Verdacht geratene Asylsuchende und führte zum wahren Täter, einem Einheimischen.
Hinweise auf Haar-, Augen- und Hautfarbe
Kriminalisten setzen indes auch in Deutschland große Erwartungen in den erweiterten DNA-Test, der erst vor gut einem Jahr - nach langem hin und her - vom Bundestag verabschiedet worden ist. Darin steht: "Ist unbekannt, von welcher Person das Spurenmaterial stammt, dürfen zusätzlich Feststellungen über die Augen-, Haar- und Hautfarbe sowie das Alter der Person getroffen werden."
Beim sogenannten Isar-Mord an einem italienischen Radfahrer in München beispielsweise hat die Polizei zwar den Täter noch nicht. Aber im vorigen Jahr ergab eine erweiterte Untersuchung der am Tatort gefundenen DNA-Spuren: Der Täter dürfte aus dem europäischen Raum stammen und wahrscheinlich braune Augen und Haare haben. Sein Alter zu bestimmen, sei wegen der zu geringen Menge an DNA-Spuren jedoch nicht möglich gewesen, teilte die Polizei mit.
Eine weitergehende Analyse - mit Hinweise auf das Alter - wäre auch im Wiesenfelder Fall hilfreich: Lässt sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit feststellen, ob einer der beiden aktuell Verdächtigen von Alter, Augen- und Haarfarbe der Person entspricht, die 1993 an Körper und Kleidung des Mädchens DNA-Spuren hinterlassen hat? Über Details dazu äußern sich die Ermittler derzeit nicht.
Die Panne, die 2016 den sicheren Ruf der DNA-Analyse erschütterte
Eine peinliche Panne erschütterte jedoch vor fünf Jahren den Glauben daran, dass die DNA-Probe als Beweis immer so "bombensicher" sei wie ein Fingerabdruck: Eine Sensation bahnte sich damals an, als Spurensicherer nach 15 Jahren am einstigen Fundort der Leiche der neunjährigen Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenfels eine spektakuläre DNA-Spur sicherten. Wilde Spekulationen begannen. War der mutmaßliche Rechtsterrorist Uwe-Böhnhardt in den Mord an dem kleinen Mädchen verwickelt?
Nach langer Suche stellte sich heraus: Schlampige Spurensicherer hatten die Fundstelle durch mitgeschlepptes DNA-Material selbst verunreinigt. Es stammte von einem ganz anderen Tatort in Eisenach, an dem sich der NSU-Terrorist in die Luft gesprengt hatte. Mit dem Peggy-Fall hatte er überhaupt nichts zu tun.