So mancher Städter würde sich den Blick als Panorama-Tapete wünschen: Schaut Holger Seidel morgens beim Frühstück aus dem Fenster sieht er Natur – nichts als Natur. 2008 hat der 48-Jährige zusammen mit seiner Frau das Haus im ökologischen Baumhof-Baugebiet am Rande von Marktheidenfeld gebaut. An diesem Tag dient es als Ausgangspunkt für eine Themen-Tour durch Marktheidenfeld. Nicht mit Holger Seidel, dem Lehrer und Privatmensch, sondern dem Bürgermeisterkandidat der Freien Wähler.
1998 ist der geborenen Fuldaer nach Marktheidenfeld "nei'gschmeckt"
Und doch braucht es ein paar persönliche Hintergründe, um den Mensch hinter dem Politiker kennenzulernen. Nach Marktheidenfeld "nei'gschmeckt" ist der geborene Fuldaer 1998. Der Gymnasiallehrer für Latein, Geschichte und Religion bekam eine Stelle am Balthasar-Neumann-Gymnasium. Ein Gedanke, an den sich seine Frau Isabel erst gewöhnen musste. Die Esselbacherin ging selbst dort zur Schule, kannte einige seiner neuen Kollegen noch als Lehrer. Holger Seidel akklimatisierte sich schnell – sein Wohnort gefiel ihm: "Die kurzen Wege, es ist alles vorhanden, was man braucht und es gibt gute Freizeitmöglichkeiten mit Schwimmbad und Kino", zählt er auf.
Als "Nei'Gschmeckter" fühlte er sich nie. "Marktheidenfeld lebt von Zugezogenen", sagt er. Das sei auch ein Vorteil, bereits über den Tellerrand geschaut zu haben. Mittlerweile engagiert sich Seidel an vielen Stellen, etwa in der Kirche und im Vereinsleben: 2010 wurden er und seine Frau Faschingsprinzenpaar bei den Lorbsern: Seine Antrittsrede? Die hielt er auf Latein.
2014 kam er zu den Freien Wählern. Erste Überlegungen zur Bürgermeisterkandidatur kamen auf, als klar war, dass Helga Schmidt-Neder nicht mehr antritt. Kritische Punkte, vor allem für den Familienmensch Holger Seidel, waren die Arbeitszeiten, die sich zwangsläufig auf die Abende und das Wochenende verlagern. Schließlich hat Holger Seidel zwei Söhne im Alter von neun und dreizehn Jahren.
Aber auch die Tatsache, dass Mandatsträger zunehmend angefeindet werden, beschäftigte ihn. Doch überwogen hat letztlich die Lust auf ein neues, spannendes Feld. "Ich habe gemerkt, dass man in der Politik mit den richtigen Leuten viel bewegen kann", sagt er. Kritik? Der versuche er sachlich zu begegnen. Am dicken Fell, die Dinge nicht persönlich zu nehmen, will er noch arbeiten.
Schullandschaft Marktheidenfeld: Hier muss jetzt bald etwas geschehen
Ortswechsel: Mittlerweile steht Holger Seidel vor seiner Arbeitsstätte: Dem Balthasar-Neumann-Gymnasium. Hier muss jetzt bald etwas geschehen, das merkt er täglich. "In die Aula dringt Wasser ein, die Fenster sind undicht", nennt er nur zwei Dinge. Die Schullandschaft ist vornehmlich Kreissache. Aber die Stadt müsse einwirken. "Die Sanierung wird teuer und es stehen große Kreis-Bauprojekte an, wie das Klinikum", sagt er. Da gebe es Bedenken, dass das Marktheidenfelder Projekt aufgeschoben wird. Was er sich vorrangig wünschen würde? "Wenn die MSP-Halle neu gemacht wird, sollte sie möglichst zur einer Multifunktionshalle werden, dass wäre die Chance", sagt er.
Welche Bedürfnisse haben junge Menschen in der Stadt? Schließlich ist Seidel nah dran, ist nicht nur Lehrer, sondern auch im Jugendbeirat der Stadt. "Die jungen Leute wünschen sich zum Beispiel einen Platz, wo sie sich aufhalten können, ohne Betreuung", sagt er. Ein anderer Wunsch sei ein Jugendfestival. Bei allem sei man auf Leute mit Ideen angewiesen. "Man darf nicht alles am Lichtspielhaus und einer fehlenden Disco festmachen", so Seidel.
- Das müssen Sie wissen: Die Kommunalwahl 2020 in Bayern
- Lesen Sie auch: Was heißt Panaschieren, Kumulieren und Listenwahl?
- Bürgermeister: Unterschiede zwischen Ehrenamt und Hauptamt
- Wie funktioniert eigentlich die Briefwahl?
- Die Ergebnisse der Kommunalwahlen 2014 in Unterfranken
Eine halbe Stunde später steht Holger Seidel auf einer Anhöhe bei Altfeld und schaut auf das bestehende Gewerbegebiet. Kürzlich erst hat er hier die Firma Hilite besucht. Gerade die Facharbeiter wohnten im unmittelbaren Umfeld und schätzten die Nähe zu Marktheidenfeld. Deswegen sei es wichtig, immer wieder neuen Wohnraum zu erschließen oder eben im Stadtgebiet zu verdichten, die Lücken zu schließen. Haus- oder Grundstücksbesitzer von leer stehenden Objekten immer wieder anzusprechen.
"Man muss die Anbindung zur Autobahn in die Waagschale werfen, Nutzen daraus ziehen."
Das neue Gewerbegebiet Söllershöhe findet er gut. "Man muss die Anbindung zur Autobahn in die Waagschale werfen, Nutzen daraus ziehen." Das machten die Esselbacher mit ihrem Gewerbegebiet schließlich auch. Kritischen Stimmen, zum Beispiel, was die Konkurrenz durch ein geplantes Einkaufszentrum angeht, entgegnet Seidel: Bäcker und Metzger aus dem innerörtlichen Handel können mit rein und von dem Zentrum profitieren.
Auch wenn er bereits viele Gespräche geführt hat – fachlich habe er in Sachen Wirtschaft sicherlich noch Nachholbedarf. "Das geht schon sehr tief", sagt er. Er selbst beschreibt sich als vielseitig. Was er noch lernen müsse, sei das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden, sich nicht zu verzetteln. Ungewohnt für ihn: Die Vorstellung, eine Verwaltung zu führen. "Da habe ich Respekt vor", sagt er. Hier gelte es sensibel zu sein, und genau zu schauen, wo muss man was verändern.
Wie viel Pädagoge steckt im Bürgermeisterkandidat Holger Seidel? Er sei schon sehr kritisch. Und manchmal müsse er sich den erhobenen Zeigefinger des Oberlehrers verkneifen, sagt er auf dem Weg zurück in die Stadt und lacht. "Aber ich bin ein guter Zuhörer." Vor allem auch die Arbeit bei "Jugend debattiert", das er seit vielen Jahren am Gymnasium organisiert, hätten ihn geprägt, Argumente aus dem Gesagten herauszufiltern und darauf zu reagieren.
Insofern würde er auch noch einmal reinhören wollen in die Meinungen zum Mainkai-Parkplatz, sollte er nun entscheiden: Zu oder auf? Er findet den Parkplatz entbehrlich. "Der Mainkai-Parkplatz ist von den Laufwegen nicht ideal", erläutert er. Für die Autofahrer, die aus den Grunddörfern kommen, sei der Brückenparkplatz besser erreichbar. Und auch die Parkplätze am Rathaus und in der Tiefgarage seien zentral und gut anzufahren – aber kostenpflichtig.
Generell sieht er, ähnlich wie sein Konkurrent Thomas Stamm, den Bedarf an einem Verkehrskonzept: "Wo sind die Ströme und wie wollen wir sie lenken?" Auch bei der Baustraße ist er tendenziell für eine Schließung. "Es gab einen Mehrheitsbeschluss im Stadtrat 2018." Die Wende in der Diskussion sei erst durch die Einsprüche der Anwohner gekommen. Deren Kritik kann er nachvollziehen. Allerdings sei es für die Jugendlichen und den Jugendbeirat frustrierend, so kurz vor dem Ziel ausgebremst zu werden.
"Es ist wichtig, manchmal mit einer verrückten Idee anzufangen und daraus etwas zu entwickeln."
Der neuen Idee, die geplante Erweiterung ans JUZE zu verlegen, will er sich nicht grundsätzlich verschließen. Eigentlich aber solle der Charakter des Mehrgenerationen-Spielpatz verbindend sein und die jungen Leute nicht "möglichst weit weg verlegt werden". Wenn es nur um die Lautstärke ginge: "Da sind wir gesprächsbereit."
Abgesehen von den Diskussionen rund um den Mainkai-Parkplatz und den Spielplatz ist ihm das gesamte Mainufer ein Anliegen. Hier die Naherholung mit einer attraktiven Gastronomie zu verbinden wäre sein Traum. Oder: Oben einen Stadtbalkon mit Aufenthaltsmöglichkeit zu schaffen, darunter Parkmöglichkeiten. "Es ist wichtig, manchmal mit einer verrückten Idee anzufangen und daraus etwas zu entwickeln", sagt er. Am Alten festhalten? Sei immer der einfachere Weg, aber nicht immer der beste.