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Main-Spessart
Hammelburg-Vorstoß der Amerikaner 1945: Selbstmörderisches Himmelfahrtskommando zog durch Main-Spessart
Aus der Geschichte Main-Spessarts (125): Ein US-Kampfverband sollte Ende März 1945 hinter den deutschen Linien von Aschaffenburg aus bis nach Hammelburg vordringen, um dort den Neffen von General Patton zu befreien.
Ein letztes Relikt der Task Force Baum, ein Sherman-Panzer mit Artilleriegeschütz, der im Lager Hammelburg 40 Jahre lang als Ziel für Mörser diente und jetzt im dortigen Infanteriemuseum steht.
Foto: Martin Heinlein | Ein letztes Relikt der Task Force Baum, ein Sherman-Panzer mit Artilleriegeschütz, der im Lager Hammelburg 40 Jahre lang als Ziel für Mörser diente und jetzt im dortigen Infanteriemuseum steht.
Björn Kohlhepp
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:36 Uhr

Was ein amerikanischer Kampfverband Ende März 1945 vorhatte, konnte getrost als Himmelfahrtskommando bezeichnet werden. Er sollte, was ein bisschen an den Spielberg-Film "Der Soldat James Ryan" erinnert, auf Befehl von George S. Patton, General der dritten US-Armee, von der bei Aschaffenburg verlaufenden Front aus hinter die feindlichen Linien stoßen und die amerikanischen Soldaten aus dem Kriegsgefangenenlager Hammelburg befreien.

Der wahre Hintergrund der letztlich desaströs verlaufenden Aktion war jedoch die Befreiung von Pattons Schwiegersohn Lieutenant-Colonel John K. Waters. Das Kommandounternehmen "Task Force Baum" unter dem jungen Captain Abraham J. Baum schaffte es tatsächlich bis nach Hammelburg, wurde aber auf dem Rückweg bei Höllrich in einem Hinterhalt aufgerieben. Das halsbrecherische Unternehmen verursachte viel Wirbel auf deutscher Seite und der anschließende deutsche Versuch, wieder für "Ordnung" in der Bevölkerung zu sorgen, führte unter anderem zur Erschießung russischer Kriegsgefangener in Rieneck.

Peter Domes (Hafenlohr) und Martin Heinlein (Obereschenbach) haben das Geschehen in ihrem Buch "Alarm! Die Panzerspitze kommt" (2008) gut dokumentiert ist. Der bei dem Vorhaben schwer verwundete und gefangen genommene Abraham J. Baum (gestorben 2013), fuhr 2005 in einem Konvoi mit rund 50 Teilnehmern in originalgetreuen Jeeps und Uniformen noch einmal die Route von damals ab.

Ursprünglich sollten 4000 Mann zum Lager Hammelburg vorstoßen

Ursprünglich wollte Patton sogar eine komplette Brigade in Richtung des als OFLAG XIII-B bezeichneten Kriegsgefangenenlagers oberhalb von Hammelburg schicken. "Eine Brigade hat 4000 Mann und 150 Fahrzeuge – wie hätten denn die über den Spessart kommen sollen?", sagt Martin Heinlein dazu. Wenn da der erste angekommen wäre, wäre der letzte noch in Aschaffenburg gestanden.

Der kommandierende General des XII. US-Korps, ein Untergebener Pattons, konnte diesem den Plan in der Größenordnung jedoch wieder ausreden. Also schickte der ungeduldige Patton Baum am Abend des 26. März 1945 nach nur zweistündiger Vorbereitung von Nilkheim bei Aschaffenburg aus nur mit einer Task Force mit gut 300 Mann und 53 Fahrzeugen, darunter zehn schwere und sechs leichte Panzer, los. Laut Heinlein wurden die Teilnehmer dem Kriegstagebuch zufolge von der 4. US-Panzerdivision schon auf die Verlustliste geschrieben, bevor sie überhaupt losgefahren waren, als so gering wurden deren Chancen eingestuft.

Abraham J. Baum bei seiner Nostalgie-Tour entlang der Task-Force-Baum-Route 2005 in Lohr.
Foto: Wolfgang Dehm | Abraham J. Baum bei seiner Nostalgie-Tour entlang der Task-Force-Baum-Route 2005 in Lohr.

Erst in den frühen Morgenstunden gelang dem Trupp bei Schweinheim der Durchbruch, und die Operation konnte beginnen. Auf der Reichsstraße 26 kam der Kampfverband gut durch den Spessart, verlor aber einige Soldaten und in Laufach den ersten Stuart-Panzer. Der damals 17-jährige Rechtenbacher Karl Schmitt erzählte der Main-Post 2003, dass er in einem Holzvergaser-Lkw sitzend der Task Force in der "Wasserhauskurve" zwischen Rechtenbach und Lohr entgegenkam. Im Lkw sei es so laut gewesen, dass man die herannahenden 16 Panzer, 27 Halbkettenfahrzeuge und sieben Jeeps nicht habe hören können. Der Führungspanzer eröffnete das MG-Feuer auf den Lkw. Der Fahrer wurde dabei schwer verletzt, ein mitfahrender 16-jähriger Hitlerjunge kam ums Leben.

Auf dem Weg der Task Force wurden die überraschend auftauchenden Fahrzeuge zunächst oft für deutsche Panzer gehalten oder für die Spitze eines größeren Verbandes. Weil die Leitung des Wehrkreises XIII in Nürnberg zwar schon seit vier Uhr morgens über das Vorrücken amerikanischer Panzer informiert war, aber dachte, die ganz dritte US-Armee sei da unterwegs, reagierten die Deutschen nur zögerlich. Unterwegs baten die Amerikaner an Haustüren um Essen, weil sie keine Feldküche dabei hatten.

Einem Heerlager glich der Hof des Gemündener Huttenschlosses, als die Teilnehmer der historischen Task-Force-Baum-Fahrt dort 2005 eintrafen.
Foto: Eo Borucki | Einem Heerlager glich der Hof des Gemündener Huttenschlosses, als die Teilnehmer der historischen Task-Force-Baum-Fahrt dort 2005 eintrafen.

In Lohr bestrichen die Panzer die Hauswände vorsorglich mit Maschinengewehr-Feuer. Am Hotel "Krone" wurde eine Luftwaffenhelferin erschossen, am Lohrer Sportplatz kamen beim Beschuss eines Lastwagens der Organisation Todt sechs Männer, eine Frau und ihr achtjähriges Töchterchen ums Leben. Zwischen Sackenbach und Gemünden wurden einige Eisenbahnzüge, die deutsche Verbände für die Front bei Aschaffenburg aufnehmen sollten, und ein Flakzug zusammengeschossen.

Amerikaner konnten nicht wie geplant Gemünden durchqueren

Durch den schweren Luftangriff auf Gemünden am Tag zuvor war man dort ahnungslos, dass sich die Panzerkolonne näherte. Gegen 6.30 Uhr kam der Verband in Gemünden an. Er musste über die Saalebrücke, um auf dem schnellsten Weg nach Hammelburg zu kommen. Im Gleisdreieck wurde ein in der Nacht abgestellter Truppenzug beschossen, wobei sieben deutsche Marineangehörige fielen. Der Beschuss des Truppenzugs und das Dröhnen der Panzermotoren schreckte die in der Stadt liegenden deutschen Soldaten auf.

Als die Amerikaner die Auffahrt zur am Tag zuvor sprengfertig gemachten Brücke erreichten, ließen deutsche Soldaten sie hochgehen. Der Sherman an der Spitze wurde abgeschossen. In Kleingemünden verlor die Task Force Baum durch Beschuss aus den Häusern auf beiden Seiten der Frankfurter Straße insgesamt drei Panzer. Drei US-Soldaten wurden getötet, 18 verwundet und 37 kamen in deutsche Gefangenschaft. Sie hätten damals nur "weg aus dieser Hölle" gewollt, sagte Abe Baum, als er 2003 schon einmal die Route abgefahren war.

Da Baum nun der direkte Weg nach Hammelburg versperrt war, entschloss er sich, über Burgsinn und Gräfendorf dorthin zu gelangen. Weil das Kartenmaterial nicht ausreichte, griff sich Baum Deutsche, die Fremdenführer spielen mussten. In rascher Fahrt wurde Rieneck gegen 8.30 Uhr erreicht. Um ganz sicher zu gehen, schnappte sich Baum einen Mann der Gendarmerie, setzte ihn auf den führenden Panzer und zwang ihn, der Kolonne den Weg nach Hammelburg zu zeigen. In Burgsinn fand man eine intakte Brücke vor, und auf Feldwegen ging es nach Gräfendorf. Dort befreite Baum eine Kolonne mit mehreren Hundert sowjetischen Kriegsgefangenen.

Deutsches Aufklärungsflugzeug alarmierte deutsche Führung

In Gräfendorf ließ Baum einen seiner unfreiwilligen deutschen Führer frei und ersetzte ihn durch den Schäfer Anton Försch. Die Task Force folgte der Saale und der Eisenbahnstrecke Gemünden–Hammelburg. Plötzlich tauchte ein deutsches Aufklärungsflugzeug, eine Fieseler Storch, auf und zog seine Kreise über der Kampfgruppe. Es überbrachte der deutschen Abwehr in Hammelburg wichtige Informationen. Die deutsche Führung leitete einen Richtung Meiningen fahrenden Truppenzug bei Ebenhausen nach Hammelburg um. Jagdpanzer vom Typ "Hetzer" gingen in der Saaleaue in Stellung.

Abbraham J. Baum vor dem abgeschossenen Sherman-Panzer auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. Auf dem Panzer erläutert der Mitorganisator der Tour, Martin Heinlein (neben ihm Peter Domes), das Schlussgefecht vor 60 Jahren.
Foto: Herbert Hausmann | Abbraham J. Baum vor dem abgeschossenen Sherman-Panzer auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. Auf dem Panzer erläutert der Mitorganisator der Tour, Martin Heinlein (neben ihm Peter Domes), das Schlussgefecht vor 60 ...

Schäfer Försch leitete den Kampfverband um 14 Uhr mit Bauernschläue in Weickersgrüben in eine Sackgasse. Es dauerte geraume Zeit, die Kolonne im Rückwärtsgang auf die richtige Route zurückzubringen. Der Wirt vom "Grünen Baum", Karl Stürzenberger, dessen Frau gerade in den Wehen lag, wurde gezwungen, nun den richtigen Weg nach Hammelburg zu weisen. Die Panzer erreichten bei der Hainbuche die Reichsstraße 27 – ihren ursprünglichen Weg. Als der erste Panzer die Siebenschläferkapelle bei Hammelburg erreichte, eröffneten die deutschen Jagdpanzer das Feuer. Es kam zu einem längeren Gefecht.

Baum verlor seine Fahrzeuge mit dem Extra-Benzin. Die Kolonne fuhr unter Beschuss den Lagerberg hinauf. Serbische Kriegsgefangene im OFLAG XIII-B wurden irrtümlich für Deutsche gehalten und beschossen. Tragischerweise wurde ausgerechnet Pattons Schwiegersohn beauftragt, um Feuereinstellung nachzusuchen und hierbei von einem übereifrigen deutschen Wachtposten angeschossen und schwer verletzt. Nach einem fast einstündigen Kampf konnte der Lagerzaun von einem Panzer durchbrochen werden.

Die Befreiung des Lagers erbrachte große Probleme: Anstatt der vermuteten 300 Gefangenen waren dort fast 1500 US-Offiziere, die ihre Befreier jubelnd umringten. Ein Teil der Befreiten kam auf die noch vorhandenen Fahrzeuge. Die Männer der Task Force Baum waren nach insgesamt 36 Stunden Kampf am Ende ihrer Kräfte. Viele hatten seit drei Tagen so gut wie nicht geschlafen. Um 0.30 Uhr traten sie den Rückmarsch an, der sie zunächst nach Heßdorf und Höllrich führte, nicht ahnend, dass man ins Verderben fuhr.

Mit solchen Sherman-Panzern (Bild von 1945) rückte die Task Force Baum vor.
Foto: US National Archives | Mit solchen Sherman-Panzern (Bild von 1945) rückte die Task Force Baum vor.

Baum bemerkte nicht, dass sein Trupp eingekreist war. Höllrich wurde gegen 2 Uhr erreicht. Der führende Panzer hatte eben das Gasthaus vor der Kirche passiert, als der Fahrer vor einer Sperre bremsen musste. Im selben Augenblick feuerten von beiden Seiten der Straße Panzerfäuste auf das eiserne Ungetüm, eine Granate explodierte in einer Gruppe befreiter Kriegsgefangener. Ein zweiter Panzerfahrer versuchte vergeblich zu wenden, das Gefährt wurde ebenfalls von einer Panzerfaust zerstört.

Das deutsche MG- und Gewehrfeuer wurde immer heftiger. Abgesessene GIs erwiderten zwar hinter drei brennenden Shermans das Feuer, aber Baum musste das Gefecht abbrechen. Er bog rechts ab und sammelte auf dem Reußenberg. Auf der Reußenburg saß jedoch ein deutscher Beobachter. Die Panzerjäger hatten sich bei Hundsfeld gesammelt, und eine 300 Mann starke deutsche Kampfgruppe war ebenfalls eingetroffen. Als Baum den Rückmarsch antreten wollte, eröffneten die Deutschen das Feuer. Etliche Fahrzeuge wurden getroffen und begannen zu brennen. Kriegsgefangene und Infanteristen traten die Flucht an. Es war das Ende des wagemutigen Unternehmens.

Die Deutschen wussten nicht, dass Baum der Anführer war

Wer die Katastrophe überlebte, geriet in Gefangenschaft, auch Baum, der – erneut verwundet – vergeblich versucht hatte zu entkommen. Die Deutschen wussten nicht, dass er der Anführer der Task Force war. Die meisten Befreiten traten unter weißer Fahne den Rückweg nach Hammelburg an. Nur 30 GIs glückte die Flucht zu den amerikanischen Linien.

Weil wohl auch in Rieneck beim Durchmarsch von Baums Truppe weiße Flaggen gehisst worden waren, bekam der Würzburger SA-Brigade- und Volkssturmführer Hans Olpp den Auftrag, in der kleinen Stadt wieder für Ruhe und Ordnung zu sorgen. Zwei Tage nach dem Durchmarsch der Amerikaner, am 29. März 1945, ließ er fünf unbekannte russische Kriegsgefangene, angeblich Plünderer, außerhalb der Stadt in einem Steinbruch willkürlich durch fünf Rienecker Hitlerjungen erschießen.

Eines der bekanntesten Fotos von der Aktion der 'Task Force Baum' ist diese Aufnahme, die das Eintreffen des Kampfkommandos im Lager Hammelburg am 27. März 1945 zeigt.
Foto: US National Archives | Eines der bekanntesten Fotos von der Aktion der "Task Force Baum" ist diese Aufnahme, die das Eintreffen des Kampfkommandos im Lager Hammelburg am 27. März 1945 zeigt.

In Burgsinn wurden – angeblich von einer SS-Einheit aus Wildflecken – drei Tage nach dem Rienecker Verbrechen öffentlich elf weitere, bis heute unbekannte russische Kriegsgefangene erschossen. Diese hatten im Ort versucht Hilfe oder Essen zu bekommen. Wahrscheinlich hatten sie zu dem Transport der sowjetischen Kriegsgefangenen gehört, die das US-Kommando am 27. März zwischen Burgsinn und Gräfendorf befreit hatte.

Für Baum war der Aufenthalt im Lager von kurzer Dauer. Schon am 6. April, neun Tage nach der missglückten Befreiung, kamen reguläre amerikanische Truppen. Die wunderten sich, hinter den Linien abgeschossene US-Fahrzeuge vorzufinden, so geheim war das Vorhaben gewesen. Pattons schwer verwundeter Schwiegersohn war zusammen mit den meisten anderen fast 1500 US-Offizieren nach Süden verlegt worden. Für sie dauerte der Krieg also noch länger, erst am 29. April 1945 wurden sie in Moosburg befreit.

Literatur: Peter Domes/Martin Heinlein: "Alarm! Die Panzerspitze kommt"; Main-Post-Archiv; Richard Baron/Abe Baum/Richard Goldhurst: "Raid - The Untold Story of Patton's Secret Mission"

 
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Kommentare
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  • U. A.
    Sehr interessanter Artikel. Danke. Deutlich über dem üblichen MP-Niveau.
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  • L. W.
    Hoffen wir,

    dass die Abwärts für Deutschland und nahestehende Organisationen nicht wieder so viel Einfluss in Deutschland wie die Nazis im letzten Jahrhundert bekommen.

    Sonst drohen uns solche Erlebnisse, die keiner haben will, vielleicht noch mal.
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  • Veraltete Benutzerkennung
    Echt un Wahr.
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  • H. S.
    schöne Geschichte, danke
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