"Es war ein wunderschönes Frühjahr", erinnert sich Schmitt an die letzten Kriegsmonate. 17 Jahre war er damals alt, der Jahrgang über ihm war noch an die Front eingezogen worden. Schmitt selbst gehörte an jenen Tagen im März 1945 dem Rechtenbacher Volkssturm an, trug die Uniform der Hitlerjugend. Am Vortag seines "Schicksalstages" war er zum "Panzerwarndienst" eingeteilt.
Panzerwarndienst in Rechtenbach
Gemeinsam mit dem gleichaltrigen Adolf Rosenberger stand er deshalb in der Rechtenbacher Hauptstraße. Die Front befand sich damals in Aschaffenburg. Falls dennoch ein feindlicher Panzer auftauchen sollte, so Schmitts Auftrag, hätte er sofort nach Lohr eilen und dort Alarm schlagen sollen.
Statt feindlicher Panzer fuhr gegen Abend jedoch der Rechtenbacher Albin Geist mit einem Lastwagen vor. Er fragte die beiden jungen Männer, ob sie mit ihm nach Würzburg fahren wollten. Dort müsse er einige Möbel abholen, die ein Mann vor der Zerstörung durch weitere Bombenangriffe retten wolle. Schmitt und sein Volkssturm-Kollege überlegten nicht lange. "Wir wollten halt mal wieder Auto fahren, da hatten wir eine mords Freude", erinnert er sich.
Der Lastwagen war eine Kriegsbeute aus französischen Armeebeständen. Angetrieben wurde er per Holzvergaser. Auf der Hinfahrt saß Schmitt ganz rechts außen, direkt neben dem Holzkessel. Weil der sehr heiß war, war ausgemacht, dass Schmitt auf der Rückfahrt mit seinem Kollegen tauschen und dann neben dem Fahrer sitzen durfte. "Da konnte man mal ins Lenkrad greifen, das war ein großer Spaß", erzählt Schmitt, weshalb der Platz neben dem Steuer so begehrt war.
In Würzburg angekommen, wurden die Möbel aufgeladen. Als es gegen Mitternacht an die Rückfahrt ging, kam der Moment, von dem Schmitt heute sagt, dass "höhere Kräfte im Spiel waren". Aus für ihn unerklärlichen Gründen habe er wieder den Platz direkt neben dem Holzvergaser gewählt. "Ich weiß bis heute noch nicht, warum", schüttelt Schmitt über die Entscheidung, die ihm das Leben gerettet hat, den Kopf. Neben ihm saß der Besitzer der Möbel, dann folgte Schmitts Kollege Adolf Rosenberger und schließlich der Fahrer Albin Geist.
Durch brennendes Würzburg
Durch das nach Luftangriffen brennende Würzburg ging die Fahrt zurück. Weil der Lastwagen permanent kontrolliert wurde, kam man erst kurz nach fünf Uhr an der damals einzigen Lohrer Mainbrücke in Sendelbach an. In der Mitte der Brücke befand sich bereits ein Loch, in dem eine Bombe lag, mit der die Brücke beim heranrücken der Amerikaner gesprengt werden sollte. Deswegen wollten die an der Brücke postierten deutschen Soldaten den Lastwagen nicht durchfahren lassen. Erst als der Fahrer Albin Geist lange mit Engelszungen auf die Soldaten eingeredet hatte, legten sie eine Bohle über das Loch und ließen den Lastwagen passieren.
"Dass ich überlebt habe, war Schicksal"
Karl Schmitt, im März 1945 Augenzeuge der Task Force Baum
Am heutigen Gasthaus Felsenkeller, so erinnert sich Schmitt, waren einige damals dort stehende große Bäume bereits angesägt, um sie als Panzersperre auf die Straße fällen zu können. Die dazu notwendigen Mitglieder des Volkssturms seien jedoch verschwunden gewesen. Der Lastwagen setzte seine Fahrt Richtung Rechtenbach fort. Er kam dort jedoch nie an.
In der so genannten Kellerkurve, also dort, wo sich heute an der B26 zwischen Rechtenbach und Lohr der Parkplatz befindet, war ein weiterer Posten des Volkssturms eingerichtet. Auch hier, so Schmitt, seien etliche große Bäume angesägt gewesen. Vom Volkssturm selbst, der die Bäume beim Anrücken der Amerikaner hätte fällen sollen, sei jedoch auch hier nichts mehr zu sehen gewesen. Gedacht hat sich die Besatzung des Lastwagens laut Schmitt dabei nichts. "Man war ja so jung und unbedarft."
Wenig später erkannte Schmitt, weswegen sich der Volkssturm bereits in Luft aufgelöst hatte. "Plötzlich sahen wir in der Dämmerung vor uns einen Panzer um die Kurve fahren", erzählt der 77-Jährige. Der Volkssturm musste den herannahenden Konvoi der Task Force Baum gehört und sich verdrückt haben, vermutet Schmitt heute. Im Lastwagen sei es jedoch so laut gewesen, dass man die herannahenden 16 Panzer, 27 Halbkettenfahrzeuge und sieben Jeeps nicht habe hören können.
Von Querschlägern getroffen
Kaum hatte Schmitt an den Helmen der Soldaten erkannt, dass es "keine Deutschen" waren, prasselten auch schon die ersten Schüsse durch die Frontscheibe des Lastwagens. Mit einem Maschinengewehr "hielt ein Schütze vom ersten Panzer voll drauf", schildert Schmitt dramatische Szenen. In voller Fahrt sei der Panzer an dem Lastwagen vorbeigefahren. Selbst als er schon vorbeigewesen sei, hörten die Schüsse nicht auf. "Das Gesicht des Soldaten, der im Panzerturm stand und auf uns schoss, sehe ich heute noch vor mir", sagt Schmitt. Ein schlanker, weißer Soldat mit rotblonden Haaren, "ein junger Kerl".
Schmitt selbst kauerte sich nach den ersten Schüssen in den Fußraum des Lastwagens. Dort spürte er heftige Schläge gegen den Brustkorb, glaubte zwischenzeitlich, nicht mehr atmen zu können. Später, als "nach vielleicht einer Minute, die uns wie eine Ewigkeit vorkam", der Konvoi vorbeigefahren und wieder Ruhe eingekehrt sei, habe er eine ganze Handvoll Querschläger von seiner Uniformjacke gesammelt, erzählt Schmitt.
Kurz darauf sprang er als erster aus dem mittlerweile brennenden Fahrzeug. Ihm folgte zunächst der Besitzer der Möbel. Er hatte einen Streifschuss am Kopf. Noch schlimmer hatte es Albin Geist erwischt. "Bei ihm waren Arme und Beine zerschossen."
Ein Begleiter tödlich getroffen
Adolf Rosenberger stieg nicht mehr aus dem Auto. Ihn hatte eine der Kugeln in den Kopf getroffen - auf dem Platz, an dem der Abmachung zu Beginn der Fahrt folgend eigentlich Karl Schmitt hätte sitzen müssen.
Die drei Überlebenden flüchteten sich die steile Böschung hinauf in den Wald. "Wir wussten ja nicht, was noch kommt", sagt Schmitt. Nach gut 200 Metern im Wald stießen sie auf die Mitglieder des Volkssturms, die sich vor den herannahenden Amerikanern versteckt hatten. Gemeinsam machten sich die nun gut 15 Mann auf den Weg Richtung Rechtenbach. Dort, so erinnert sich Schmitt, hätten er und der Möbelbesitzer den Eltern des getöteten Adolf Rosenberger die traurige Nachricht überbracht.
"Danach bin ich nach Hause gegangen, habe mich ans Fenster gesetzt und hinaus auf die Straße geschaut", blickt Schmitt zurück. Wenig später sei ein alter Mann vorbeigekommen und habe ihn geschimpft, "weil ich noch eine Uniform trug". An einem der folgenden Tage kehrte Schmitt noch einmal zu dem ausgebrannten Lastwagen zurück, der noch immer in der Kellerkurve stand. "Ich wollte nach den Querschlägern suchen, die ich bei der Flucht aus der Hand verloren hatte." Schmitt fand sie nicht. So bleibt ihm heute nur die Erinnerung und die feste Überzeugung, dass es "unbedingtes Schicksal war, dass ich überlebt habe".
Den heutigen Konvoi zur Erinnerung an die damaligen Ereignisse sieht Schmitt verständlicherweise mit gemischten Gefühlen. Wut oder Hassgefühle gegenüber denjenigen, die ihn damals beschossen und seinen Kollegen getötet haben, hegt Schmitt nicht. "Man kann es denen nicht verdenken. Die haben uns als Gegner eingeschätzt, vielleicht haben sie gedacht, wir wollen an die Front". Dennoch ist die Erinnerungen an jene Tage im März 1945 für Schmitt "nichts, worüber man sich freut".
Wunsch nach Begegnung mit Baum
Gespannt ist der Rechtenbacher auf Major Abraham J. Baum, der die damalige Task Force anführte. Vielleicht kann er von ihm auch erfahren, wer der Mann war, der im Turm des Panzers das Maschinengewehr bediente. Schmitt ist für den heutigen Samstag um 12 Uhr zum Bischborner Hof eingeladen, wo der Konvoi Station machen wird. Er hofft: "Vielleicht kann ich ja mal mit Abraham Baum sprechen."
Der Konvoi historischer Militärfahr-
zeuge startet am heutigen Samstag
in Nilkheim bei Aschaffenburg. Um
12 Uhr soll er am Bischborner Hof
eintreffen, um 13 Uhr in Lohr.
Während einer einstündigen Pause
stehen die Fahrzeuge dort auf dem
Schlossplatz.