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"Hängt sofurt die weiße Fohne naus!"
Redaktion
 |  aktualisiert: 03.12.2006 22:29 Uhr
Weickersgrüben (lies) Für die MAIN-POST berichtet Peter Domes (Arbeitsgruppe Task Force Baum) über die Ereignisse in Weickersgrüben, als das gleichnamige US-Kommandounternehmen dort am 27. März 1945 gegen 1230 Uhr eintraf. Die Arbeitsgruppe dankt ausdrücklich den jetzigen und einstigen Einwohnern von Weickersgrüben für hilfreiche Informationen über das Geschehen. In Auszügen geben wir den Bericht hier wieder:

"Der damals 13-jährige Leo Döll konnte aus einem Kellerversteck heraus gegen Mittag die von Michelau kommenden Panzer erkennen. Sie hielten vor dem Ortsschild und richteten die Kanonen drohend gegen die Häuser. Der auf dem vordersten Panzer mitfahrende Schäfer Anton Försch aus Gräfendorf rief mit lauter Stimme den erschreckten Einwohnern zu: "Hängt sofurt die weiße Fohne naus und dos mer jo kenner schierst! Die moche uns alle hie sust." (Hängt sofort die weiße Fahne hinaus, und dass mir ja keiner schießt! Die machen uns sonst alle hin!).

Anton Försch musste dem Bürgermeister klar machen, dass jedes Haus eine weiße Fahne herauszuhängen habe, anderenfalls würden die Amerikaner den Ort in Schutt und Asche legen. Die Einwohner leisteten der Aufforderung sofort Folge.

Auch ein 13-jähriger Hitlerjunge und seine Cousine besahen sich von der Treppe ihres Anwesens den Einmarsch der Amerikaner. Ein paar Tage zuvor hatte der Junge in weggeworfener deutscher Ausrüstung eine Handgranate gefunden - die trug er nun für alle Fälle immer bei sich. Er sah, wie zwei hünenhafte Amerikaner einen deutschen Leutnant durch das Dorf trieben. Der Junge war über diesen Anblick sehr erbost und war im Begriff, von der Handgranate Gebrauch zu machen. Da kam einer der beiden US-Soldaten auf die beiden Kinder zu, lächelte sie an und stimmte auf eutsch das bekannte Lied an: "Oh du lieber Augustin, alles ist hin . . ."

Er wollte freundlich zu den Kindern sein. Daraufhin ließ der Junge von seinem mörderischen Vorhaben ab. Er rannte vielmehr ins Haus, holte einen Kopfkissenbezug und hängte ihn über den Blumenkasten an der Treppe.

Kurze Zeit später kam ein Freund vorbei und zusammen gingen sie zur Fahrzeugkolonne. Ein Panzer war zur Seite gefahren. Die Besatzung machte sich gerade daran, ihre persönliche Ausrüstung aus dem Fahrzeug zu holen. Einer der Soldaten gab den beiden Jungen Schokolade und bedeutete ihnen, dass im Panzer noch mehr davon sei. Sie kletterten in den Panzer und entdeckten auf dem Beifahrersitz ein totes Besatzungsmitglied.

Die beiden fanden amerikanische Einsatzverpflegung, C-Rations. Allerdings jagte sie ein älterer Weickersgrübener weg mit den Worten: "Mocht äeuch furt, wann die Amis des sann, schierse se äeuch roh (Macht euch fort, wenn das die Amerikaner sehen, schießen sie euch herunter)!"

Es war dies der Sherman-Panzer von Sergeant Kenneth J. Smith, der mit Motorschaden auf der Fahrt nach Weickersgrüben liegen geblieben war. Den Ausfall vermochte der Beifahrer offenbar nicht zu verkraften: Er schoss sich in den Kopf! Der junge Soldat hatte während der gesamten Fahrt reichlich Alkohol getrunken und war mit den Nerven am Ende gewesen. Erschöpft waren ohnehin alle, hatten sie doch in den vergangen drei Nächten nur in einer etwas Schlaf gehabt.

Der damals zehnjährige Ingo Volkert und andere Jungen besahen sich den Panzer, der ungefähr zehn Meter von der Straße entfernt im Wald und etwa 100 Meter vor der Einfahrt zur Rossmühle stand. Die Besatzung hatte die Kanone unbrauchbar gemacht. Ein Schraubendreher war im Rohr verkeilt worden, und der Verschlusskeil der Kanone fehlte. Das tote Besatzungsmitglied wurde später von Dorfbewohnen aus dem Panzer geborgen und daneben begraben. Nach der endgültigen Besetzung des Ortes zwei Wochen später mussten zwei Dorfbewohner auf Anordnung der Amerikaner den Soldaten exhumieren.

Vor der Weiterfahrt der Task Force machte sich Anton Försch Gedanken, wie er aus der Sache mit heiler Haut herauskommen könnte. Das Glück kam ihm zu Hilfe: Die Amerikaner fragten ihn nach dem Weg nach  OS-SCHEN-STALL  (gemeint war wohl der Ort Ochsenthal in der Nähe von Weickersgrüben in Richtung Morlesau). Das brachte Anton Försch auf die Idee, sich dumm zu stellen. Die Panzerkolonne setzte sich wieder in Bewegung, und Försch ließ sie in der Ortsmitte links abbiegen. Ein Stück ging's zum Tannenberg hinauf, dann erkannten die Soldaten den Fehler.

Etwas zurück lag der Gasthof "Zum grünen Baum". Försch kannte den Inhaber und wurde dorthin gebracht. Beim Wirt angekommen rief er dem zu: "Dou gieh har und fohr mit! Mir langt's (Da komm her und fahr mit! Mir langt es)!" Der Wirt Karl Stürzenberger war Soldat und vermutlich auf Urlaub zu Hause, seine Frau lag zu der Zeit gerade in den Wehen. Unter den drohenden Blicken der Feinde blieb diesem nichts anderes übrig, als auf einem der Panzer Platz zu nehmen. Der Panzerkommandant gab ihm zu verstehen, dass die Fahrt in Richtung Hammelburg weitergehen sollte. Stürzenberger und Försch wurden dann freigelassen, letzterer erhielt noch drei Armeewolldecken.

An der Kreuzung Hochstraße Aschenroth/Reichsstraße 27 hatte Stürzenberger noch Captain Baum geraten, direkt nach Osten über den Truppenübungsplatz zu marschieren. Das sei der schnellste Weg. Baum aber misstraute diesem Rat und folgte mit der Kolonne weiter der Reichsstraße 27 nach Hammelburg - die Panzerkolonne fuhr somit direkt vor die Rohre deutscher Panzerjäger, die in der Saale-Aue auf sie warteten . . ."

 
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