Erst die Ärzte, immer wieder die Bahn und jetzt die Apotheker: Am 14. Juni sollen bundesweit quasi alle Apotheken geschlossen bleiben, die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) hat zum Protest aufgerufen. Lieferengpässe bei Medikamenten, Personalmangel, zu wenig Geld und zu viel Bürokratie – die Liste der Ärgernisse ist lang. "Sogar für die geduldigsten Apotheker ist das Maß voll", sagt Bernward Unger, unterfränkischer Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes. Ein Gespräch über ausgebrannte Mitarbeiter, drohendes Apothekensterben und den fatalen Satz, "das ist so nicht lieferbar".
Bernward Unger: In meiner über 30-jährigen Berufslaufbahn weiß ich bisher von keinem Streik. Eigentlich widerstrebt es uns auch zu streiken, denn das bedeutet Nachteile für unsere Patientinnen und Patienten. Bislang haben wir versucht, alle Probleme intern zu lösen, so dass kranke Menschen trotzdem bestmöglich versorgt werden. Aber es reicht!
Unger: Die Liste der Probleme ist lang. Wir haben die Lieferengpässe bei Medikamenten, uns fehlt Personal, die Bürokratie nimmt völlig überhand. Und: Unser Honorar ist seit zehn Jahren nicht mehr angepasst, sondern zu Jahresbeginn noch gekürzt worden – sogar für die geduldigsten Apotheker ist jetzt das Maß voll.
Unger: … dass es so nicht weitergeht. Wir reiben uns hier auf. Nicht nur die Apotheker, sondern auch unsere Angestellten. Hinter den Kulissen ist es täglich ein Kampf, um Medikamente zu beschaffen. Zig Telefonate mit Ärzten, die andauernde Suche nach alternativen Wirkstoffen oder anderen Dosierungen. Unsere Teams sind ausgebrannt – und es laufen mehr und mehr Mitarbeitende davon.
Unger: Im Moment ist die Lage vor allem bei Antibiotika in Saftform für Kinder dramatisch. Auch Fieber- und Schmerzsäfte fehlen nach wie vor. Wir haben Glück, dass gerade keine Erkältungssaison ist. Aber einige Wirkstoffe sind schlicht nicht zu beschaffen.
Unger: Nein. Es gibt gewisse Importerleichterungen, aber das ist keine Dauerlösung. Bei einzelnen Wirkstoffen verbessert sich die Situation zwar immer wieder kurzzeitig, aber insgesamt rechne ich damit, dass sich die Engpässe noch verschärfen.
Unger: Das ist ein bundesweites Problem. Fast überall müssen Apotheken schließen, weil keine Leute mehr da sind. Ich kenne Kollegen, die in letzter Zeit bereits halbe Tage zusperren mussten. Andere haben seit Jahren keinen Urlaub gemacht, weil sie keine Vertretung finden.
Unger: Das ist ein Problem, das man aus anderen Bereichen des Gesundheitswesens kennt: Die Menschen haben bei mäßiger Bezahlung einfach keine Lust mehr, Nachtschichten zu schieben und sonn- oder feiertags zu arbeiten. Letztlich ist es auch ein wirtschaftliches Problem. Wir würden unser Personal gerne besser bezahlen.
Unger: Wir haben den gesetzlich festgelegten Auftrag der ordnungsgemäßen Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln, mit dazugehörigen Pflichten wie etwa Nacht- und Notdiensten, Mindestbevorratung oder Mindestöffnungszeiten. Deshalb gibt es eine Fixvergütung für verschreibungspflichtige Medikamente. Allerdings ist dieses sogenannte Fixum seit Jahren nicht mehr angepasst worden. Genau das ist nun dringend nötig. Zudem muss die Bürokratie abgebaut und die Zeit vergütet werden, wie wir benötigen, um die Lieferengpässe zu managen.
Unger: Da sind wir schon dabei. In Bayern ist die Zahl der Apotheken seit 2012 von insgesamt 3347 auf 2882 im vergangenen Jahr zurückgegangen. Unterfranken ist da keine Ausnahme. Und besonders auf dem Land, in kleineren Gemeinden, schlägt es eine Lücke in der Versorgung, wenn die Apotheke zu macht. Noch deutlicher zurück geht übrigens die Zahl der selbstständigen Apotheker. Viele Apotheken werden nur noch als Filialen betrieben, weil sich immer weniger Nachwuchskräfte selbstständig machen wollen. Wenn man dann politische Stimmen hört, die Apotheken noch mehr Gelder kürzen wollen, muss man fassungslos den Kopf schütteln.
Unger: Ja, wir schließen zu. Generell gibt es bei den Kolleginnen und Kollegen in Unterfranken wie auch bundesweit eine überwältigende Bereitschaft, sich an dem Streik zu beteiligen.
Unger: Wir kündigen streikbedingte Schließungen vorab an. Menschen, die Medikamente brauchen, können sich darauf einstellen. Der Notdienst wird natürlich aufrechterhalten und wer am 14. Juni akut krank wird, muss sich an die Notdienst-Apotheken wenden. Dabei hoffen wir auf Verständnis in der Bevölkerung. Denn sicher haben die meisten Patientinnen und Patienten in letzter Zeit in ihrer Apotheke schon den Satz "das ist so nicht lieferbar" gehört. Bei mir kommen sogar manchmal Kunden und fragen, welche Hiobsbotschaft ich heute habe. Und das kann nicht sein.