Die Aussage klingt drastisch: "Um Europa auszuschalten, braucht China keine Atombombe. Das Land braucht nur einfach aufzuhören, Antibiotika zu liefern!" Das sagt Professorin Dr. Ulrike Holzgrabe, Seniorprofessorin am Lehrstuhl für Pharmazie und Medizinische Chemie. Vor Lieferengpässen bei Arzneimitteln warnt die renommierte Wissenschaftlerin, die bis vor kurzem Lehrstuhlinhaberin war und seit Sommer emeritiert ist, schon seit einem Jahrzehnt.
Professorin Ulrike Holzgrabe: Ja, das muss man so sagen. Die Zahl der Medikamentenengpässe ist im letzten Jahrzehnt immer weiter gewachsen. Wir sind jetzt an dem Punkt angekommen, an dem jeder merkt, was los ist. Es ist keine unerwartete, aber eine gefährliche Entwicklung: Um Europa auszuschalten, braucht China als wichtiger Arzneiproduzent keine Atombombe – dieses Land braucht einfach nur keine Antibiotika zu liefern. Das klingt zwar jetzt sehr provokativ, aber die Situation ist in den letzten Jahren eskaliert. Von Reportern wird das zwar berichtet – aber unsere Politiker haben nichts gemacht.
Holzgrabe: Die Ursachen sind vielfältig, aber eine der Ursachen ist die Gier nach günstigen Medikamenten. Noch in den 70-er Jahren war Deutschland sozusagen die 'Apotheke der Welt'; wir haben viele Medikamente im Land produziert. Dann haben wir angefangen, die Herstellung von Wirkstoffen immer billiger haben zu wollen – weil die Krankenkassen größere Rabatte anstrebten. Damit ist die Produktion von Deutschland und Europa nach China und Indien gewandert. Und damit hat sich Deutschland von diesen Ländern abhängig gemacht und kann nur hilflos zusehen, wenn es etwa wegen Lockdowns zu Engpässen kommt.
Holzgrabe: Dieser berühmte Fiebersaft enthält Paracetamol. Paracetamol wird von vier indischen und vier chinesischen Firmen hergestellt, auch von Firmen in Frankreich, den USA und in der Türkei. Wirkstoff gibt es also genug. Wenn jetzt trotzdem Lieferengpässe bei Paracetamolsaft auftreten, dann deshalb, weil in diesem Jahr etwa die große deutsche Pharmafirma 1APharma die Weiterverarbeitung dieses Wirkstoffs zu Saft oder Zäpfchen als nicht rentabel eingestuft hat. Und die Produktion gestoppt hat. Allerdings können Apotheker den Wirkstoff selbst einkaufen, um Paracetamolsaft herzustellen. Das wird auch gemacht.
Holzgrabe: Die Wirkstoffe werden zum Teil noch in Europa hergestellt. Im österreichischen Kundl etwa produziert die Firma Sandoz, nur als Beispiel, das Standardmedikament Amoxicillin, das Kinder etwa bei Lungenentzündungen kriegen. Mit dem russischen Krieg sind aber die Energiekosten für dieses Werk immens gestiegen und die Firma kann diese Kosten nicht mehr selbst tragen. Wenn jetzt das Land Österreich oder auch die EU diese Firma nicht unterstützen, dann wird dieses Werk die Produktion einstellen müssen. Da kann man mit Geld tatsächlich etwas machen; und ich hoffe, da wird auch etwas gemacht.
Holzgrabe: Viele Medikamente, Blutdrucksenker etwa, kann man ersetzen. Während die Belastung für Apotheker und Ärzte sicher gestiegen ist, besteht bei uns immer noch Therapiesicherheit für die Patienten. In den meisten Fällen jedenfalls: Bei Antibiotika, speziell bei Penicillinen, ist die Lage am unsichersten.
Holzgrabe: Wir werden das Problem nicht schnell lösen können. Allerdings halte ich die Vorschläge, die SPD-Gesundheitsminister Lauterbach jetzt gemacht hat, für richtig, wenn auch schwer umsetzbar: Man muss mehr Geld für Medikamente ausgeben. Das gilt insbesondere im Generika-Bereich, wo Patente abgelaufen sind und die Preise sehr niedrig sind. Ich stimme Herrn Lauterbach auch insofern zu, als die Rabattverträge der Krankenkasse mit Pharmafirmen aufgeweicht werden müssen. Das System der Rabattverträge an sich muss man überdenken und ändern. Ganz wichtig ist auch, die Produktion in Europa zu befördern, hier Produktionsstätten aufzubauen. Allerdings ist das langwierig, denn diese Produktionsstätten müssen nicht nur errichtet, sondern auch genehmigt werden. Das ist speziell in Deutschland sehr schwierig – eine Sache von Jahren.
Holzgrabe: Bleiben wir beim Paracetamol. Wir kaufen Vorprodukte, die über längere Synthesewege aus Erdöl hergestellt werden aus China. Das heißt, selbst wenn wir eine eigene deutsche Produktion aufbauen, sind wir nicht unabhängig von China. Wenn wir aber versuchen würden, die Syntheseschritte zum Vorprodukt von Paracetamol auch in Europa zu machen, hätten wir das Problem, dass diese Schritte umwelttechnisch kritisch sind. Das heißt, viele unserer wichtigsten Medikamente brauchen Produktionsbedingungen, die mit unserer Umweltgesetzgebung nicht mehr vereinbar sind. Entweder muss also für die Produktion unsere Umweltgesetzgebung aufgeweicht werden oder wir machen uns weiter von Ländern wie China abhängig, in denen auf die Umwelt weniger geachtet wird als bei uns.
Holzgrabe: Bloß nicht. Einen Medikamenten-Flohmarkt, wie ihn Ärztekammer-Präsident Klaus Reinhardt gerade vorgeschlagen hat, halte ich für nicht praktikabel. Die Vorstellung, dass dann bei sonntäglichen Kaffeekränzchen Medikamente ausgetauscht werden, macht mir wirklich Angst. Denn die Gefahr, dass dann die Dosierungen nicht stimmen oder es zu Unverträglichkeiten kommt, ist einfach zu groß.
https://www.news.com.au/lifestyle/health/health-problems/major-medicine-shortage-flagged-before-christmas/news-story/30ed86b1f980e64ee733f2cf879b8412
Die Politik muss immer nur einspringen wenn die Kacke am dampfen ist und irgendwem die Kosten davonlaufen und das Defizit wächst!
Es gibt wohl kein armes Pharmaunternehmen, welches staatliche Hilfe bedarf. Es ist nun mal auch so, dass Deutschland als Forschungsstandort und auch als Produktions Standort im weltweiten Vergleich viel zu teuer ist. Es sind in erster Linie die viel zu hohen Personalkosten, die uns also begibt man sich in die Hände andere. Die diktieren dann Preise, die die Apotheken dann am Ende bezahlen und verlangen. Bedanken Sie sich nicht bei der Politik, sondern zu einem Teil auch bei den Gewerkschaften und vor allem bei Geiz ist geil.
Denn das verstieße gegen alle Wettbewerbsregeln der EU.