Die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister kannten die Idee eines gemeinsamen, koordinierten Ausbaus der erneuerbaren Energien schon von einem Treffen Anfang November. Nun hatten sie auch noch die Mitglieder ihrer Gemeinde-, Marktgemeinde- und Stadträte mitgebracht – erstmals in der Geschichte des Landkreises Kitzingen. Rund 250 Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker, unter ihnen Landrätin Tamara Bischof, waren der Einladung an alle 31 Kommunen in die Steigerwaldhalle Wiesentheid gefolgt.
Das Ziel dieses Novums war nicht weniger als der Abschied vom Kirchturmdenken beim Planen von Windrädern und von Photovoltaik-Anlagen auf Freiflächen. Damals, Anfang November, habe man entschieden, dass der heutige Abend eine "Wumms-Veranstaltung" für den Landkreis werden solle, sagte Iphofens Bürgermeister Dieter Lenzer in seiner Gastgeber-Funktion als Kreisvorsitzender des Bayerischen Gemeindetags.
In einem ausführlichen Vortrag erläuterte Rainer Kleedörfer von der N-Ergie dann die Idee bis hin zu einer Projektentwicklungsgesellschaft, die eben jenes Kirchturmdenken künftig verhindern soll. Das hörte sich stellenweise eher nach Ausbau-Bremse als nach "Wumms" an, aber der Kommunen-Verantwortliche des N-Ergie-Konzerns veranschaulichte, warum es notwendig ist, an einer Stelle auf die Bremse zu treten, um an anderer mehr Gas geben zu können.
Er sprach dabei auch für seine Kollegen Marek Zelezny von den Licht-, Kraft- und Wasserwerken (LKW) Kitzingen sowie Jürgen Kriegbaum und Benjamin Geßlein von der ÜZ Mainfranken. Dieses Trio an Energieversorgen ist auch für den Ausbau des Stromnetzes im Landkreis Kitzingen zuständig. Hier kommen die wichtigsten Fragen und Antworten aus einem langen Abend voller Informationen und anschließender Diskussionen.
Wozu braucht es überhaupt eine Koordination beim Ausbau der erneuerbaren Energien?
Grundsätzlich ist es so, das die Betreiber von Photovoltaik-und Windkraftanlagen auch Geld für denjenigen Strom bekommen, der wegen Überlastung nicht ins Netz eingespeist werden kann. Dieses Stromverteilnetz müsse, erläuterte Rainer Kleedörfer, dringend ausgebaut werden: 3500 neue Stromnetzkilometer sind im gesamten Gebiet der N-Ergie bis 2030 nötig. Allerdings brauche das Zeit: Fachkräftemangel, die Verfügbarkeit von Material und die Kostensteigerungen bei der Finanzierung führen dazu, dass das Netz nur nach und nach ausgebaut werden kann.
Wird also in Dorf A eine Freiflächen-Photovoltaikanlage gebaut, die nur einen Teil ihres Stroms in das (noch nicht ausgebaute) Netz einspeisen kann, zahlen über das Nutzungsentgelt alle Haushalte im Gebiet des Netzbetreibers die Kosten. Gleichzeitig könnte Dorf B die Anlage aber brauchen, der Strom dort würde nicht ins Nirvana fließen, die Kosten für alle würden sinken. Kleedörfers Schlussfolgerung: "Das ist eine gemeinsame Herausforderung, die wir nur gemeinsam lösen können."
Private PV-Anlagen auf Dächern nahm er davon übrigens ausdrücklich aus. Diese seien wegen des Eigenverbrauchs und der zunehmenden Speichermöglichkeiten auf jeden Fall sinnvoll.
Warum ist denn das Stromnetz nicht schon längst besser ausgebaut?
Erst 2022, im sogenannte Osterpaket, wurden die Ausbauziele der Bundesregierung neu festgelegt. Das Stromverteilnetz vorher vorausschauend auszubauen, sei nicht erlaubt gewesen, sagte Kleedörfer in seinem Vortrag. Er nennt diese Vorgehensweise, erst die erneuerbaren Energie und dann das dafür nötige Netz auszubauen, einen "systemischen Fehler" und betonte gleichzeitig, dass seine Kollegen und er das Osterpaket und genau diesen Ausbau unbedingt begrüßen.
Sollten wir uns trotz der höheren Kosten dann nicht über jede neue Anlage freuen?
Rainer Kleedörfer nannte die bisherige Vorgehensweise ein Wild-West-Prinzip, bei dem der Schnellste zum Zug kommt. Es herrschten "vollkommen unterschiedliche Interessenslagen", Projektrechte werden auf dem freien Markt veräußert. Und Projektentwickler, Grundstückseigentümer und Anlagenbetreiber verfolgten meist ihre eigenen Interessen, nämlich möglichst viel Geld zu verdienen.
Das führe neben unnötig viel gebauten Anlagen zur "falschen Technologie am falschen Standort zur falschen Zeit". Denn wichtig sei auch der passende Mix aus Windkraft und Solaranlagen, da sonst etwa zur Mittagszeit zu viel Solarstrom produziert werde, im Winter und nachts der Strom aber fehle.
Im Vortrag verwies Kleedörfer zudem auf die negativen Folgen dieses unkoordinierten Ausbaus: Die Sichtbarkeit der Anlagen im ländlichen Bereich nimmt zu, zudem konkurrieren sie beim Flächenbedarf mit Landwirtschaft, Naherholung und Tourismus. Kleedörfer warnte vor der Verbindung dieser Belastung ländlicher Gebiete mit dem höheren Nutzungsentgelt, weil es die Akzeptanz in der Bevölkerung zerstöre.
Wie ließe sich dieses Wild-West-Prinzip beim Ausbau stoppen?
Die regionalen Energieversorger hatten einen ganz konkreten Vorschlag in die kühle Steigerwaldhalle mitgebracht: Zuerst müsse der richtige Technologiemix (Wind, PV-Anlagen, Biomasse, Speicher) für den Landkreis Kitzingen ermittelt werden. Dann könne man die passenden Standorte dafür festlegen und sichern sowie gleichzeitig diesen Energie-Ausbau anpassen an den Ausbau des Stromverteilnetzes. Gelingen soll das mit einer gemeinsamen Projektentwicklungsgesellschaft aus den Kommunen des Landkreises mit den drei Energieversorgern LKW, N-Ergie und ÜZ. Ziel der Gesellschaft sei dann, "die Erzeugung und Nutzung erneuerbarer Energien zu stärken und die Versorgungssicherheit und die Bezahlbarkeit für die Kunden bestmöglich zu gewährleisten".
Was würde das konkret für die Kommunen bedeuten?
Der Vorschlag lautet, dass alle beteiligten Kommunen zusammen 250.000 Euro zur Finanzierung der Gesellschaft einbringen, genauso viel wie zusammen LKW, N-Ergie und ÜZ. Davon sollen jeweils 50.000 Euro Stammkapital sein und jeweils 200.000 Euro als Kapitalrücklage dienen. Zudem sollen die Kommunen die Gesellschaft beim Pachten von Flächen unterstützen und eigene Flächen einbringen. Für das Errichten und den Betrieb der Anlagen müssten eigene Zweckgesellschaften gegründet werden. Als Kriterien für die ausgewählten Projekte nannte Kleedörfer unter anderem die Netzverträglichkeit, Bürgerbeteiligungsmöglichkeiten und eine hohe Verträglichkeit hinsichtlich Ökologie und Landschaftsbild.
Der straffe Zeitplan sieht vor, dass ab sofort Vertragsentwürfe und die genaue Gesellschaftsstruktur ausgearbeitet werden sollen, so dass die 31 Kommunen bereits ab Mitte Dezember darüber abstimmen könnten. Gelingt das und mindestens zwei Drittel der Kommunen sind im Boot, könnte die Gesellschaft bereits im Januar 2023 starten.
Welche Kritik gab es an der Idee einer gemeinsamen Energie-Gesellschaft?
Mehrere Gemeinderatsmitglieder vermissten große Speichermöglichkeiten in dem Konzept. Diese seien, antwortete Kleedörfer, "zu teuer und zu risikobehaftet". Zudem müsste die Gesellschaft dafür "mit mehreren Millionen Euro" kapitalisiert werden, was niemand wolle.
Die deutlichste Kritik kam von Frank Ackermann (Gemeinderat Wiesenbronn), der es als "bedrückend" bezeichnete, was er gehört habe. Es sei "hart für Monopolisten, wenn sich andere schneller bewegen als man selber", aber so werde der Ausbau ausgebremst. Dieter Haag (Marktsteft) hingegen empfahl den Schritt zur Gesellschaft ebenso wie Otto Hünnerkopf (Wiesentheid), der angesichts enorm steigender Stromkosten fand: "Uns bleibt nichts anderes übrig."
Die Frage von Mainstockheims Bürgermeister Karl-Dieter Fuchs, wie die Sicherung der Flächen gelingen könne angesichts finanzstarker Investoren, beantwortete im Grund die Landrätin mit ihren Ausführungen. Die Ausweisung von PV-Anlagen auf der Freifläche haben Kommunen über einen Bebauungsplan selbst in der Hand. Für mögliche neue Windräder gilt das nicht, diese sind privilegiert und die Gemeinden können diese nur schwer verhindern.
Das Schlusswort nach über drei Stunden blieb Dieter Lenzer, der in der Idee einer gemeinsamen Gesellschaft "mehr Chancen als Risiken" sah. Er bat um ein Stimmungsbild aus der Halle – und das fiel eindeutig aus: Von den meisten Vertreterinnen und Vertreter aus den 31 Kommunen kam Applaus.