zurück
Kitzingen
Das Drama am Kitzinger Steigweg in sieben Akten: Vom leisen Protest zum organisierten Widerstand
Das gescheiterte Wohnbauprojekt auf dem Areal der Schützen ist auch eine Geschichte von den Machtmöglichkeiten der Bürger. Was ein gezielt dosierter Einsatz bewirken kann.
Stillstand auf dem Gelände der Kitzinger Schützengesellschaft: Die Bebauung des 16.000 Quadratmeter großen Areals ist vorerst gescheitert.
Foto: Eike Lenz | Stillstand auf dem Gelände der Kitzinger Schützengesellschaft: Die Bebauung des 16.000 Quadratmeter großen Areals ist vorerst gescheitert.
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 10.05.2023 09:49 Uhr

Die Bebauung des Kitzinger Schützengeländes am Steigweg ist vorerst gescheitert. Noch ist nicht klar, ob die Geschichte damit schon zu Ende ist oder eine Fortsetzung erfährt. Ein Drama in sieben Akten mit wütenden Bürgern in den Hauptrollen.

Ende 2019: Alles klingt zunächst nach einer Formalie: Die Schützen wollen ihr rund 16.000 Quadratmeter großes Grundstück am Steigweg verkaufen und umziehen. Ein Investor, so heißt es, stehe bereit, um Mehrfamilienhäuser auf dem Gelände zu errichten. Dazu muss allerdings der Bebauungsplan geändert werden. Eine Kleinigkeit für den Bauausschuss des Stadtrats, der die Änderung im Dezember 2019 auf den Weg bringt. Wohnraum sei knapp und das Vorhaben zu begrüßen, wenn auch nicht in der Dimension von sechs Stockwerken. Fünf reichten auch, befinden die Räte.

Juni 2021: Es ist ein verregneter Sommer, aber hitzig geht es in Kitzingen trotzdem zu. Als in der Stadt erste Bauentwürfe für das Schützengelände bekannt werden, ist die Aufregung groß. Wuchtige Wohnblocks sind darauf zu sehen, die mit fünf bis sechs Stockwerken aus einem Wäldchen in den Oberen Anlagen wachsen. Das übersteigt den Horizont etlicher Anwohner. Sie laufen von Beginn an Sturm gegen die Pläne, die ein Projektentwickler namens J-Werk für einen nicht genannten Investor vorlegt, und sehen Mensch und Natur beeinträchtigt, wenn das Vorhaben so umgesetzt wird.

Juli 2021: Acht Häuser, 155 Wohnungen, 355 Tiefgaragenplätze – unter dem Eindruck dieser Zahlen gründet sich die "Bürgerinitiative für Bauen im Einklang von Mensch und Natur". Sie hat zunächst 38 Mitglieder und wächst in den Tagen danach rasch. Ihre Kernforderungen: die massive Bebauung des Schützengeländes stoppen, die Zerstörung von Natur verhindern und den Bebauungsplan in seiner ursprünglichen Form mit maximal zweistöckigen Gebäuden erhalten.

Oktober 2021: Der Stadtrat tagt in der Alten Synagoge, auf der Tribüne etwa 30 Anwohnerinnen und Anwohner, deren Häuser in der Nachbarschaft des Schützengeländes stehen. Sie werden Zeugen einer hitzigen, emotionalen Redeschlacht, in der sich zwei Lager unversöhnlich gegenüberstehen. Das eine argumentiert mit der Notwendigkeit von Wohnraum im Stadtgebiet und einer echten Chance, das andere verweist auf irreversible Schäden für Umwelt, Natur, Verkehr und Stadtbild. Am Ende spricht sich der Stadtrat mit 18 zu 12 Stimmen dafür aus, den Bebauungsplan zu ändern und den Weg für die Wohnblocks frei zu machen. Die entscheidenden Fragen bleiben an diesem Abend weiter ungeklärt: Was genau soll auf dem Schützengelände entstehen? Und: Wer steht als Investor hinter dem Projekt?

Ende 2021: Die Bürgerinitiative (BI) spürt Rückenwind; sie kündigt an, ein Bürgerbegehren anzustrengen und damit alle Kitzingerinnen und Kitzinger über die Bebauung am Steigweg abstimmen zu lassen. Das Projekt gerät erstmals ins Wanken. Kurz vor Weihnachten reicht die BI eine Sammlung von mehr als 2500 Unterschriften im Rathaus ein, die Quote ist damit übererfüllt. Gebraucht hätte es nach der Gemeindeordnung nur etwa 1350. Jetzt ist der Stadtrat am Zug.

Januar 2022: Der Stadtrat stellt die Rechtmäßigkeit des Bürgerbegehrens fest und macht damit den Weg für einen Bürgerentscheid frei. Als Datum der Abstimmung wird der 22. Mai festgelegt – viel Zeit also für Wahlkampf, wie ihn einzelne Räte schon zu dieser Zeit kritisieren. Selbst abräumen möchte der Stadtrat das Thema nicht. Hätte er sich mehrheitlich gegen die Pläne des weiterhin unbekannten Investors gestellt, wäre der Bürgerentscheid hinfällig.

März 2022: Wieder tagt der Stadtrat, wieder geht es um das Projekt am Steigweg – diesmal um dessen vorläufiges Ende. Der Projektentwickler hat seine Pläne überraschend zurückgezogen, verweist in einem formlosen Schreiben an die Stadt auf "geänderte Rahmenbedingungen" und "andere Entwicklungsinteressen". Damit hat sich der Bürgerentscheid erledigt. Unklar ist, wie es an dieser Stelle weitergeht. Neue Planungen, so heißt es von J-Werk, seien "noch nicht abschließend abgestimmt". Es ist das vorerst letzte Lebenszeichen des verantwortlichen Projektbüros in dieser Sache.

 
Themen & Autoren / Autorinnen
Kitzingen
Eike Lenz
Bauen und Wohnen in der Region Kitzingen
Bürgerinitiativen
Mehrfamilienhäuser
Stadt Kitzingen
Stadträte und Gemeinderäte
Lädt

Damit Sie Schlagwörter zu "Meine Themen" hinzufügen können, müssen Sie sich anmelden.

Anmelden Jetzt registrieren

Das folgende Schlagwort zu „Meine Themen“ hinzufügen:

Sie haben bereits von 50 Themen gewählt

bearbeiten

Sie folgen diesem Thema bereits.

entfernen
Kommentare
Aktuellste
Älteste
Top
  • info@baumann-hsb.de
    Herzlichen Dank Herr Lenz für diesen übersichtlichen und sorgfältig recherchierten Bericht über das Wohnungsbauprojekt am Steigweg in Kitzingen.
    Dieser Artikel gehört zur Pflichtlektüre eines jeden Gemeinde- oder Stradrats. Es kann und darf nicht sein, dass ein Stadtrat ohne ausführliche Kenntnis der Hintergründe und insbesondere ohne jegliche Kenntnis über einen Investor Beschlüsse in dieser Tragweite erlässt. Allein die Kenntnis über die undurchsichtigen Verflechtungen des Projektbüros hätten gleich zu Beginn zu einem Ablehnen der Baupläne führen müssen.

    Die Kitzinger Einwohner selbst müssen über ein Bürgerbegehren letztlich dafür Sorge tragen, dass nicht russische Oligarchen in naher Zukunft maßgeblich an wichtigen Kitzinger Entscheidungen teilhaben. Die Tür dazu stand schon sehr weit offen. Ordentliche Ratsarbeit der gewählten Vertreter im Stadtrat hätte das schon im Vorfeld verhindern müssen. Nein - man streitet lieber ausgiebig über die Zulässigkeit von Dachgauben.
    • Bitte melden Sie sich an Gefällt mir () Gefällt mir nicht mehr ()
    • Antworten