Eine Bürgermeisterin, die mit ihrem Hausrecht droht, ein Fraktionsvorsitzender, der seine Wut nur schwer zurückhalten kann, ein Investor, der sich nach wie vor größte Mühe gibt, unsichtbar zu bleiben. Mit einigem Getöse hat das umstrittene Wohnbauprojekt am Kitzinger Steigweg im Stadtrat eine weitere, vielleicht entscheidende Hürde genommen. Es gab Widerreden im Gremium, es kam zu Reaktionen auf der Besuchertribüne, und mancher suchte am Donnerstagabend tatsächlich nach pragmatischen Lösungen. Aber die Frage des Abends blieb unbeantwortet. Stadtrat Klaus Christof hatte sie im Laufe der zweistündigen Debatte gestellt: „Wer steckt hinter der ganzen Geschichte?“
Bislang ist in dieser Sache nur ein Projektentwickler auf den Plan getreten: die Firma J-Werk Vertriebs GmbH im Kitzinger Technolgiepark ConneKT. Sie entwickelt das Vorhaben für einen nicht näher bezeichneten Investor, eine „namhafte lokale Bank“, wie es im Juli aus der Führungsetage von J-Werk hieß. Aus einem einstündigen Gespräch der Redaktion mit dem Chef von J-Werk, Jürgen Wörz, darf man nicht zitieren. Wörz zog am Tag nach dem Treffen in seinem Firmensitz alle Aussagen zurück. In die Stadtratssitzung am Donnerstagabend hatte er seine Assistentin entsandt.
Noch am Abend konnte sie ihrem Chef freudig mitteilen, dass sich das Projekt auf gutem Weg befindet. Der Stadtrat stimmte mit 18 gegen zwölf Stimmen für eine Änderung des Bebauungsplans, der die Voraussetzung für das Vorhaben schafft. Was das nun bedeutet, hat SPD-Fraktionschef Manfred Paul in der Sitzung so skizziert: „Damit jedem klar ist, was wir heute beschließen: acht Gebäude mit 14 Metern Höhe.“ Die bis zu fünfstöckigen Wohnhäuser sollen zusammen mit einer Tiefgarage und einem Kindergarten auf dem 1,6 Hektar großen Areal am Steigweg entstehen, das der Kitzinger Schützengesellschaft gehört. Offenbar ist das Grundstück aber noch nicht verkauft. Bis heute ist weder klar, wer hinter dem Projekt steht noch was dort genau geplant ist. Für den Stadtrat war das aber kein Hindernis, den Weg dafür zu ebnen.
"Ausnahmsweise keine Einigkeit" im Stadtbeirat
Schon die Aussage von Stadtentwicklungsreferent Thomas Rank (CSU) zeigte, wie umstritten die Sache ist. Sonst sei man sich im Stadtentwicklungsbeirat immer einig. „Bei diesem Projekt gab es ausnahmsweise keine Einigkeit.“ Rank hielt das Ergebnis dennoch für einen „guten Kompromiss“, mit dem er leben könne. Auch bei Umweltreferent Uwe Hartmann (Bayernpartei) ging der Daumen hoch – das auf dem Gelände liegende Biotop bleibe ja entgegen erster Befürchtungen „großteils“ erhalten. Kein Wort davon, dass nahezu der komplette Baumbestand gerodet wird.
Dieser Hinweis kam schließlich von CSU-Fraktionschef Andreas Moser. Er blieb der einsame Rufer und Mahner; nur ein anderer aus der achtköpfigen CSU-Fraktion (Timo Markert) mochte sich seiner Sicht anschließen. Stephan Küntzer fiel nichts Besseres ein, als ein Horrorbild an die Wand zu malen. „Wenn der Stadtrat das Projekt jetzt ablehnt, würde ich als Investor dort einen Baumarkt hinstellen.“ Formal wäre das nach dem 1996 aufgestellten Bebauungsplan möglich gewesen.
Der Bauamtsleiter der Stadt, Oliver Graumann, wandte sich direkt an Moser. „Sie haben mit keiner Silbe erwähnt, welche Qualität das Grün dort hat.“ Viele Bäume seien längst nicht so vital, wie es scheine. Da hob Gelächter auf der Tribüne der Alten Synagoge an. Bürgermeisterin Astrid Glos (parteilos), die für den auf einer Tagung weilenden OB Stefan Güntner (CSU) die Sitzung leitete, warf einen strengen Blick nach oben und drohte mit Räumung der Tribüne. Etwa 30 Anwohnerinnen und Anwohner waren in die Sitzung gekommen, sie hatten ihre Einwände zuvor bereits schriftlich geltend gemacht, manche durch ihren Anwalt.
Sie fürchten Lärm, Hitzestau und eingeschränkte Sicht, argumentieren mit Umwelt- und Artenschutz, Stadtbild und Verkehr. Alle Einwände hat der Stadtrat im Rahmen des Bebauungsplanverfahrens von einem Fachbüro abwägen lassen; „fast 360 Seiten“ bekamen die Stadträte in die Hand, wie SPD-Stadtrat Paul sagte. Viel Bürokratie, viel Papier, „aber mir ist nicht klar, was da gebaut wird“, so Paul.
Viele Gutachten – und alle erstellt vom Investor selbst
Paul kam vor allem auf das Verkehrsgutachten zu sprechen. „Wir gehen sehenden Auges in ein Verkehrschaos“, sagte er. Das Grundsatzproblem sei ohnehin, dass man sich hier auf Gutachten stütze, die alle der Investor bestellt habe: Verkehrsgutachten, Lärmgutachten, Artenschutzgutachten, Belüftungsgutachten. „Die Stadt sollte so selbstbewusst auftreten, dass sie ein Flächennutzungskonzept auf Basis eigener Gutachten erstellt.“ Paul geht es darum, das Wachstum der Stadt „mit Sinn und Verstand“ zu steuern. Sein Appell: Die Stadt solle das Schützenhausgrundstück selbst kaufen und dort dann entweder Wohnhäuser oder die nötige dritte Grundschule bauen.
Klaus Sanzenbacher (Grüne) fand einen anderen Ansatz. Die geplante Umsiedlung der auf dem Gelände nachgewiesenen Fledermauspopulation weise auf einen „ganz klaren Verstoß gegen EU-Artenschutzrecht“ hin. Sein Antrag auf einen vorhabenbezogenen Bebauungsplan, mit dem sich das Wohnbauprojekt gezielt hätte steuern lassen, fiel mit 14 zu 16 Stimmen durch.
Für Klaus Christof (KIK) ist das Projekt ein weiterer Beleg dafür, dass die Entwicklung Kitzingens nicht mehr von Stadt und Verwaltung gesteuert wird, sondern von externen Investoren; wobei in diesem Fall noch nicht einmal klar sei, wer der Investor sei. Moser sprang Christof bei. „Was dort entsteht, ist völlig offen.“ Klar sei nur eines: „Es wird kein Wohnraum entstehen, den der Stadtrat will.“ Junge Familien könnten sich die Mieten wohl kaum leisten. Moser verlangte, die überbaute Fläche stärker zu begrenzen und auch die Gebäudehöhe auf drei Stockwerke zu limitieren.
Städtische Rechtsdirektorin widerspricht dem CSU-Stadtrat
Sein Antrag scheiterte, genau wie der auf namentliche Abstimmung. Moser schüttelte immer wieder den Kopf und war drauf und dran, den Saal zu verlassen. Jens Pauluhn (ÖDP) plädierte für „vernünftige Kompromisse“, verwahrte sich gegen „Fundamentalopposition“ und wies auch den Vorwurf mangelnder Transparenz zurück. Seit zwei Jahren rede man über das Projekt. Geschosswohnungsbau sei mit Blick auf den sparsamen Flächenverbrauch „ein Stück weit aktiver Naturschutz“.
Stephan Küntzer hielt den Zeitpunkt für zu spät, das Vorhaben im Stadtrat jetzt noch zu kippen. Doch die städtische Rechtsdirektorin Susanne Schmöger stellte fest, es sei sehr wohl möglich, den Aufstellungsbeschluss des Bebauungsplans „aus sachlich nachvollziehbaren Gründen“ abzubiegen. „Es ist völlig legitim, wenn der Stadtrat im laufenden Verfahren seine Meinung ändert.“ Doch das tat er nicht. Der Beschlussvorschlag aus dem Rathaus fand eine breite Mehrheit. Jetzt wird der Bebauungsplanentwurf erneut öffentlich ausgelegt. Einsprüche dagegen sind weiterhin möglich.