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Kitzingen
Kitzingen hat die Wahl: Warum jetzt der Bürgerentscheid kommt
Der Stadtrat delegiert die Abstimmung über das umstrittene Wohnbauprojekt auf dem Schützengelände an die Bürgerinnen und Bürger. Aber worüber entscheiden die überhaupt am 22. Mai?
Das Kitzinger Schützengelände am Steigweg. Wie viel Grün wird bleiben, wenn die Wohnbaupläne eines Investors verwirklicht werden?
Foto: Barbara Herrmann | Das Kitzinger Schützengelände am Steigweg. Wie viel Grün wird bleiben, wenn die Wohnbaupläne eines Investors verwirklicht werden?
Eike Lenz
 |  aktualisiert: 10.05.2023 10:03 Uhr

Drohen jetzt vier Monate Wahlkampf? Erst am 22. Mai, einem Sonntag, wird die Frage geklärt werden, ob und wie es mit dem umstrittenen Wohnbauprojekt auf dem Kitzinger Schützenareal weitergeht: in einem Bürgerentscheid. Der Stadtrat hat am Donnerstagabend mit großer Mehrheit von 21:8 Stimmen eine eigene Festlegung vermieden und die Entscheidung quasi an die gut 16 000 Wahlberechtigten delegiert. Etliche Räte mahnten die Beteiligten zu Sachlichkeit und wünschten sich eine objektivere Sicht auf das Vorhaben. Klar wurde allerdings auch: Eine Mehrheit im Stadtrat ist – trotz des mit knapp 2300 Unterschriften unterstützten Bürgerbegehrens – offenbar weiterhin entschlossen, das Projekt auf dem rund 16 000 Quadratmeter großen Gelände der Kitzinger Schützengesellschaft durchzuziehen.

Die Phalanx der Befürworter – CSU, Freie Wähler, ProKT, UsW, ÖDP, AfD, Bayernpartei, die fraktionslose Astrid Glos und neu auch die KIK – lehnte es strikt ab, sich die Ziele des Bürgerentscheids zu eigen zu machen und die Abstimmung im Mai hinfällig zu machen. Nur SPD, Grüne und der kürzlich als CSU-Fraktionschef zurückgetretene Andreas Moser waren gewillt, das Thema abzuräumen.

Kritische Worte kommen vom Stadtheimatpfleger 

Manfred Paul (SPD) sagte, ein Bürgerentscheid koste Zeit und Geld. Beides könne sich der Stadtrat sparen, wenn er jetzt selbst entscheide und den Weg frei mache für eine Stadtentwicklung mit „Sinn und Verstand“. Moser sagte, es solle zu denken geben, wenn selbst Stadtheimatpfleger Harald Knobling sich mit deutlichen Worten gegen das Vorhaben richte. In einem Schreiben an OB Stefan Güntner und alle Stadtratsmitglieder hatte Knobling unter anderem erklärt, die Stadt verlöre mit der geplanten Bebauung ihr Gesicht.

Auf der anderen Seite waren da die Befürworter des Projekts. Manfred Freitag (FW-FBW) und Jens Pauluhn (ÖDP) sahen in dem Geschosswohnungsbau, wie er auf dem Gelände geplant ist, die einzige Chance, bezahlbaren Wohnraum in der Stadt zu schaffen. In einer Erklärung „in eigener Sache“ kritisierte Freitag den Stil der Debatte, der von den Projektgegnern gepflegt werde. Ihnen warf er Spekulationen bis zu bewusster Irreführung vor.

Auch Uwe Hartmann (Bayernpartei) sprach von „gezielten Halbwahrheiten“. Der neue CSU-Fraktionschef Stephan Küntzer erklärte, nicht der, der am lautesten schreie, habe recht, sondern die Mehrheit der Kitzinger Bürger, in deren Sinne man nun entscheiden müsse. Längst verhallt war da der Satz von Stadtentwicklungsreferent Thomas Rank (CSU), heute sei der „Tag der rechtlichen Beurteilung“.

Ihr erstes großes Ziel hat die Bürgerinitiative erreicht 

Formaljuristisch gibt es aus Sicht der Verwaltung, namentlich Rechtsdirektorin Susanne Schmöger, an dem Bürgerbegehren nichts auszusetzen, es erfülle alle wesentlichen Kriterien. Und auch inhaltlich hat die Stadt ein paar interessante Feststellungen getroffen, von denen noch zu reden sein wird. Die im Sommer 2021 gegründete „Bürgerinitiative für Bauen im Einklang von Mensch & Natur“ hat damit ihr erstes großes Ziel erreicht.

Zuversichtlich hatte sich kurz vor Weihnachten eine kleine Delegation auf den Weg ins Rathaus gemacht, um Oberbürgermeister Stefan Güntner 378 Listen mit insgesamt rund 2700 Unterstützer-Unterschriften zu überreichen. Die Verwaltung erklärte zwar nur 2288 für gültig – das waren aber immer noch fast 70 Prozent mehr, als laut Bayerischer Gemeindeordnung nötig gewesen wären.

Das langgestreckte Schützenhaus auf einer Aufnahme vom Sommer 2021. Zu dem weitläufigen Gelände gehören rund 16 000 Quadratmeter Grund.
Foto: Eike Lenz | Das langgestreckte Schützenhaus auf einer Aufnahme vom Sommer 2021. Zu dem weitläufigen Gelände gehören rund 16 000 Quadratmeter Grund.

Ein Bürgerentscheid gilt im Freistaat als niederschwelliges Angebot der direkten Demokratie. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof achtet penibel darauf, dass von Behörden und Verwaltung keine zu hohen Hürden eingezogen werden, damit auch juristische Laien das Instrument erfolgreich nutzen können. Dennoch lauern manche „Fallstricke“, wie Schmöger sagt.

Würde die BI etwa darauf abzielen, jegliche Bebauung des Schützenareals zu verhindern, wäre dies als Eingriff in die Planungshoheit der Stadt zu werten und als solcher unzulässig. Das sei jedoch nicht zu erkennen, heißt es von der Verwaltung. Dem Bündnis gehe es nur darum, die „beabsichtigte massive Bebaubarkeit des Gebietes“ zu verhindern, was „bauplanungsrechtlich zulässig“ sei. Eine Gemeinde dürfe bis zu einem gewissen Stadium ein Projekt aufgeben.

Interessant ist die inhaltliche Bewertung der BI-Aussagen. Während ihre Kritiker der Initiative immer wieder Falschinformationen vorhalten, liest sich das bei der Stadt so: „Die Tatsachenbehauptungen der Begründung (…) sind richtig bzw. nicht unwahr und keinesfalls irreführend in Bezug auf das Abstimmungsverhalten.“ Das gilt etwa für die Aussagen zu den geplanten neun Wohnblocks mit einer Höhe von je 14,60 Metern und für die Zahl von 364 Tiefgaragen- Stellplätzen.

Die Angabe, dass das Gelände zu 90 Prozent versiegelt würde, sei „in dieser Pauschalität zumindest nicht falsch“. Und: „Die Rodung des bekannten Baumbestands ist auch richtig; die Aussagen zu den Biotopen und dem Lebensraum der Tiere sind nicht falsch.“

Die BI sieht die Gefahr eines "Verkehrsinfarkts"

Was die „übrigen Aussagen“ angeht, so sieht die Stadt darin „persönliche Befürchtungen und Wertungsfragen, die zulässig sind“. So sieht die BI die Gefahr eines „Verkehrsinfarkts“ wegen der „vielen zusätzlichen Fahrzeuge“ oder wendet ein, das Projekt schaffe nicht den dringend nötigen bezahlbaren Wohnraum in der Stadt, sondern diene hauptsächlich den wirtschaftlichen Interessen eines bislang nicht bekannten Investors.

Der Steigweg mit dem Knotenpunkt Westtangente ist schon heute stark befahren. Bei einer Bebauung des Schützenareals wird der Verkehr weiter zunehmen.
Foto: Ralf Dieter | Der Steigweg mit dem Knotenpunkt Westtangente ist schon heute stark befahren. Bei einer Bebauung des Schützenareals wird der Verkehr weiter zunehmen.

Einige Stadträte verwiesen in der Sitzung darauf, dass das Gelände auch dann gerodet und bebaut werden könnte, wenn der Bürgerentscheid erfolgreich sei – und zwar in den Grenzen des 1996 aufgestellten Bebauungsplans mit deutlich niedrigeren Gebäuden und weniger verdichtet.

Dass die BI dies in der Begründung nicht explizit erwähnt habe, ist laut Verwaltung keine Irreführung. Es genüge der Hinweis, dass es für das Gebiet einen Bebauungsplan gebe. Die BI braucht nun im Mai die Mehrheit von mindestens 3361 Stimmen (20 Prozent der Stimmberechtigten), damit der Bürgerentscheid gültig ist und sie ihr Ziel erreicht hat. Das Ergebnis ist für den Stadtrat dann ein Jahr bindend.

 
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