Am Ende der etwas zähen Veranstaltung mit von den langen Wahlkampfwochen sichtlich ermatteten Bundestagskandidatinnen und Kandidaten ist das Publikum wohl vor allem in einem Punkt schlauer: Die "Klimawende vor Ort", so ist die vom Verein "Wir gestalten Heimat" organisierte Diskussionsrunde betitelt, muss auch von den Menschen vor Ort bewerkstelligt werden. Und damit ist in der Tat jeder Einzelne gemeint.
Genau das aber macht es am letzten Freitag vor der Wahl den Zuschauern im Rudolf-Winkler-Haus in Zeil schwer, etwas Greifbares mit nach Hause zu nehmen: Wie geht denn nun die Klimawende vor Ort? Wie und wo können die Menschen selbst anpacken? Wer hier konkrete Antworten oder gar Neues erwartet hat, wird enttäuscht: Denn die Politikerinnen und Politiker auf dem Podium - die Direktkandidaten ihrer Parteien für Berlin - sind sich in einem Punkt einig: Der Bund steckt die Rahmenbedingungen ab, "aber niemand sonst kann die Klimawende durchführen als die Menschen vor Ort". So fasst es irgendwann die inzwischen wiedergewählte Bundestagsabgeordnete Sabine Dittmar (SPD) zusammen, die anderen nicken.
Es ist nicht so, dass die Diskussionsteilnehmer nicht Beispiele aus der Praxis anführen könnten. Manuela Rottmann von den Grünen zum Beispiel, auch sie hat den Sprung ins Parlament erneut geschafft, erklärt zum Thema Verkehrswende und den schwierigen Rahmenbedingungen für den ÖPNV auf dem Land: "Es gibt doch schon funktionierende Konzepte, etwa im Odenwald oder in Südtirol. Da könnte ich Ihnen viel erzählen" - nur tut sie es nicht, weil an diesem Freitag im Rudolf-Winkler-Haus dafür keine Zeit ist.
Die Politiker kennen die Praxis sehr wohl, aber...
Freier Wähler Frank Helmerich, der sich seit Jahren für regionale Wertschöpfung im Raum Bad Königshofen stark macht, kann ebenfalls nur grob anreißen, welche Vorteile das Einkaufen im eigenen Ort für Klima und die heimische Wirtschaft hat. Auch Karl Graf Schenk von Stauffenberg, der für die FDP ins Rennen gegangen ist, kennt das Ringen um die Energie- und Klimawende nicht nur aus der Theorie. Nicht jeder habe einen Keller, um Hackschnitzel zu lagern, da müsse es eben in Gemeinden die Möglichkeit geben, beispielsweise Container aufzustellen, findet er. Und aus eigener Erfahrung: Er hätte gerne die Wirtschaftsgebäude seines Gutes mit Fotovoltaik bestückt. Nur macht da der Denkmalschutz nicht mit.
Hier neue Wege zu finden, die Interessen neu abzuwägen und Gesetze anzupassen, das ist die Aufgabe von Landes- und Bundespolitikern. Und wird die Aufgabe der neuen Regierung sein. So kommt die Klima-Diskussion in Zeil einerseits vielleicht zu spät, weil die Aufnahmefähigkeit der Bürgerinnen und Bürger in Sachen politischer Diskurs zwei Tage vor der Wahl inzwischen erschöpft ist. Die Mehrheit der pandemiebedingt ohnehin reduzierten Sitzplätze im Rudolf-Winkler-Haus jedenfalls bleibt leer.
Die Veranstaltung: Zu früh oder zu spät?
Andererseits aber kommt das Auf-den-Zahn-Fühlen bei der hohen Politik zu früh, weil sich erst eine neue Bundesregierung zusammenfinden muss, die dann die neuen klima- und energiepolitischen Richtlinien festzuzurren hat. Dann erst ließe sich anhand belastbarer Fakten darüber streiten, was das für die Umsetzung vor Ort bedeutet. Wobei das Ei des Kolumbus auch danach noch länger auf Entdeckung warten dürfte: "Das ist kein Problem, das wir von heute auf morgen lösen können", sagt etwa Claus Scheeres von der Linken zum ÖPNV und der Tatsache, dass sich für viele Bürger jenseits der Ballungszentren einfach keine Alternative zum eigenen Pkw abzeichnet.
So aber driftet die Diskussionsrunde immer wieder in alte Streitigkeiten ab, die keine Lösungen anbieten. Reizwort "10-H-Regel" zum Beispiel. Steffen Vogel (CSU), der seine Parteifreundin Dorothee Bär vertritt, hält Manuela Rottmann vor, im grün regierten Baden-Württemberg sei der Windkraftausbau noch stärker zum Erliegen gekommen als in Bayern, wo diese Minimalabstandsregelung von Windkraftanlagen zur Wohnbebauung gilt. Einigkeit herrscht hingegen über alle Parteigrenzen hinweg, dass es einen massiven Rückstand bei der energetischen Ertüchtigung öffentlicher Gebäude gibt. Doch wer ist dafür verantwortlich?
Das Zeitfenster zum Handeln wird immer kleiner
Welch fundamentale Bedeutung das Stemmen gegen die globale Erwärmung für die Politik jetzt und für kommende Generationen hat, das führt Moderator Dietram Oppelt, Geschäftsführer von HEAT, einem unabhängigen Beratungsunternehmen in Sachen Klimawandel (Frankfurt) und ehemaliger Schüler des Friedrich-Rückert-Gymnasiums in Ebern, allen Anwesenden anhand einer kurzen Präsentation vor Augen. Fazit: Es existiert nur noch ein kleines Zeitfenster, um die Temperaturerhöhung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken. Jenseits dieses Wertes werden Kipppunkte auftreten, die ins Klimachaos führen.
Dem widerspricht niemand auf dem Podium, bei dem Michaela Reinhardt (ÖPD) krankheitsbedingt fehlt. Es wird Konsens signalisiert, dass die Politik jetzt handeln muss und dass es eher fünf nach als fünf vor Zwölf ist - so wie es alle Parteien tun in den letzten Monaten, mit Ausnahme der AfD.
Eine Selbstverpflichtung zum Schutze des Klimas und zum Wohle aller
Oliver Kunkel, Vorsitzender des Vereins "Wir gestalten Heimat", nimmt am Ende der Veranstaltung den Kandidatinnen und Kandidaten die Selbstverpflichtung ab, gemeinsam und vernetzt mit vielen anderen Akteuren für die Einhaltung der Klimaziele zu kämpfen, egal wie sie persönlich und ihre Parteien abschneiden. Dem zuzustimmen gebietet, wenn nicht die Überzeugung, so doch die Höflichkeit - und ist zudem eine leichte Übung, denn die Überprüfung des eher vagen "Commitments" dürfte sich schwierig gestalten.
Das muss doch nicht immer die Regierung regulieren.😅
Einfach mal machen 💪🏻🔆
Liebe Grüße aus der Redaktion, Martin Sage