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Haßfurt
Haßfurt: Wenn der Beruf zur Zerreißprobe wird
Die 29-jährige Johanna Städtke arbeitet als Ingenieurin für eine Baubehörde. Im Herzen ist sie Naturschützerin. So wird ihr Beruf immer wieder zu einer Zerreißprobe.
Baumpflegearbeiten zu koordinieren gehört zu den Hauptaufgaben von Johanna Städtke. Sie ist Ingenieurin der Landschaftspflege an einer Baubehörde. Unser Symbolfoto zeigt eine Fachfirma bei Baumpflegearbeiten. 
Foto: Daniel Karmann, dpa | Baumpflegearbeiten zu koordinieren gehört zu den Hauptaufgaben von Johanna Städtke. Sie ist Ingenieurin der Landschaftspflege an einer Baubehörde. Unser Symbolfoto zeigt eine Fachfirma bei Baumpflegearbeiten. 
Felix Schwarz
 |  aktualisiert: 16.12.2021 12:00 Uhr

In unserer Serie "Was würdest du tun?" stellen wir regelmäßig Menschen aus dem Landkreis Haßberge vor, die erzählen, wie sie arbeiten, was sie verdienen und was sie tun würden, wenn sie nicht arbeiten müssten. Hier berichtet die 29-jährige Johanna Städtke.

Mein Job

Beruf: Ich arbeite als angestellte Ingenieurin der Landschaftspflege für eine Baubehörde. Meine Aufgaben gliedern sich in zwei Bereiche: Zum einen kümmere ich mich um die Baum- und Heckenpflege. Hierbei erledigen unsere Bauhöfe die meiste Arbeit - ich selbst greife bei Spezialfragen ein und bin unterstützend tätig. Umfangreiche und speziellere Pflegearbeiten vergebe ich an eine Fremdfirma, übernehme die Bauleitung und rechne sie ab. Es gibt zudem jährlich wiederkehrende Maßnahmen, wie das Absaugen des Eichenprozessionsspinners.

Die ökologischen Ausgleichmaßnahmen stellen den zweiten großen Bereich meines Berufs dar. Bei Bauarbeiten kommt es unweigerlich zu Eingriffen in die Natur. Zum Beispiel kann es notwendig werden, dass Waldrandstücke gerodet werden, wenn eine Straße ausgebaut werden soll – als Ausgleich muss an anderer Stelle eine Aufforstung stattfinden. Zudem müssen vor Baubeginn Ersatzhabitate bereitgestellt und geschützte Tierarten rechtzeitig umgesiedelt werden, beispielsweise per Fledermauskästen. Auch die langfristige Pflege von Grünland gilt als Ausgleichmaßnahme. Hierfür finde ich geeignete Landwirte und schließe Verträge mit strengen Naturschutzauflagen ab.

"Natürlich muss ich im Interesse des Bauamts agieren. Jedoch versuche ich, in dem mir abgesteckten Rahmen so viel Naturschutz wie möglich herauszuschlagen."
Johanna Städtke, Ingenieurin der Landschaftspflege an einer Baubehörde

Zuerst habe ich bei einer Naturschutzbehörde gearbeitet, die so viel Naturschutz wie möglich durchsetzen will. Ein Bauamt hingegen möchte möglichst schnell möglichst viel bauen und dabei naheliegenderweise nur die Mindestanforderung an Naturschutzauflagen erfüllen. Natürlich muss ich im Interesse des Bauamts agieren. Jedoch versuche ich, in dem mir abgesteckten Rahmen so viel Naturschutz wie möglich herauszuschlagen. Ich würde sogar behaupten, dass ich im Bauamt mehr Einfluss auf Naturschutz habe als in einer Naturschutzbehörde. Einerseits ist das der Grund, warum mir mein Job so wahnsinnig gut gefällt, andererseits fühlt es sich manchmal etwas schizophren an, "auf der andere Seite" zu stehen.

Trotz mancher Widerstände macht mich mein Beruf sehr zufrieden, da ich ihn als unheimlich sinnstiftend empfinde. Zudem ist die Mischung aus Bürotätigkeiten und Außendienst echt ideal. Ich finde es darüber hinaus sehr angenehm in einer männerdominierten Branche tätig zu sein – ich habe die Erfahrung gemacht, dass das Zusammenarbeiten mit Männern oft unkomplizierter und entspannter ist.

Der Verwaltungskram ist ein notwendiges Übel, auf das ich mich zwar von vornherein eingestellt habe, was aber dennoch zu den Schattenseiten meiner Tätigkeit gehört. Viele Formalitäten sind unnötig aufgeblasen – das kostet viel Zeit und Nerven. Zudem funktioniert die IT nicht immer so, wie sie sollte. Beides liegt jedoch in der Verantwortung des Ministeriums in München. Dass meine Arbeit auch von der Politik abhängt, nervt mich manchmal - gerade, wenn Zeitdruck an Stellen entsteht, wo Zeitdruck nichts zu suchen hat. Vielleicht soll das potentielle Wähler beeindrucken.

Berufsentscheidung: Mir war immer klar, dass ich in den öffentlichen Dienst und nicht in die freie Wirtschaft will. Zunächst habe ich in einer Naturschutzbehörde am Bodensee gearbeitet. Die Distanz zwischen Arbeitsort und Heimat war auf Dauer aber nichts für mich. Außerdem habe ich schnell gemerkt, dass mir die Arbeit mit Bäumen auf dieser landwirtschaftlichen Arbeitsstelle zu gering ausfällt. Mein aktueller Arbeitgeber bietet mir die perfekte Kombination: Ich arbeite mit Bäumen und trotzdem weiterhin im Flächenmanagement. Auf Landwirte und Pflegetreibende zu treffen, gefällt mir besonders gut. Dass ich damals auf die Stellenausschreibung gestoßen bin, ist meiner intensiven Internetrecherche zu verdanken, da sie in den einschlägigen Portalen nicht veröffentlicht war.

Ausbildung: Zunächst habe ich eine handwerkliche Ausbildung als Maler/Lackierer/Verputzer mit Auszeichnung absolviert. Ich würde sie nicht nochmal machen, aber ich habe in der Zeit auf dem Bau unter anderem gelernt, mich als Frau zu behaupten – davon profitiere ich auch in meinem jetzigen Job. Danach habe ich mein Abitur nachgeholt.

Nach dem Abitur habe ich an der HAWK in Göttingen studiert und den Bachelor of Science in Arboristik (Baumwissenschaften) erreicht. Das Studium war richtig cool. Als ich im Motorsägenkurs meinen ersten Baum gefällt habe, war ich vollends beeindruckt, wie schwer und mächtig so ein Koloss zu Boden fällt. Andere Dinge wie die Gehölzbestimmung, Pilze und Baumkrankheiten sowie Seilklettern im Baum und der Hubsteigerschein haben mir eine ganz neue Welt eröffnet und mich schwer begeistert. Das Studium war sehr praxisnah und die Atmosphäre familiär.

Tipps: Für diesen Job sollten Berufseinsteiger Selbstbewusstsein, Durchsetzungsvermögen und Eigeninitiative mitbringen. Tieferes Interesse und Überzeugung für Natur und Umwelt kommen automatisch. Wenn es hart auf hart kommt, braucht man ein gewisses Stehvermögen, um sich als "Anwalt der Natur" zu behaupten.

Wöchentliche Arbeitszeit: Zunächst wurde ich auf zwei Jahre befristet eingestellt und arbeitete 20 Stunden pro Woche. Nach einem halben Jahr habe ich jedoch eine unbefristete Vollzeitstelle bekommen. Seit Februar arbeite ich nur noch 32 Stunden pro Woche – vier Tage Arbeit reichen mir.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Wenn ich jeden Monat ohne Voraussetzungen 1500 Euro erhalten würde, würde ich vielleicht wieder nur noch 20 Stunden in der Woche arbeiten. Auf jeden Fall würde ich meine Hobbies stärker ausleben: Malen, Zeichnen, Handwerkern sowie Basteln sind feste Bestandteile meines Lebens. Vor allem hätte ich Lust darauf, kleine Kunstprojekte zu realisieren. Darüber hinaus würde ich noch mehr Yoga betreiben, mich vermehrt mit Star Wars beschäftigen und mehr Spaziergänge unternehmen. Allgemein würde ich meinen Tag noch mehr danach ausrichten, was mir neben der Erfüllung im Job Sinn stiftet. Ein beruflicher Wechsel kommt für mich aktuell nicht infrage. Prinzipiell wäre aber auch die Anstellung bei einem Pflanzenschutzdienst sehr reizvoll.

Meine Einnahmen

Bruttoeinkommen: Aktuell verdiene ich 3532 Euro brutto.

Nettoeinkommen: Netto bleiben mir etwa 2099 Euro.

Meine Ausgaben

Wohnkosten: Ich zahle monatlich 370 Euro Warmmiete für eine 31-Quadratmeter-Wohnung. Für den Strom fallen 40 Euro an, für die Rundfunkgebühren 17,50 Euro.

Lebensmittel: Da mir eine nachhaltige Lebensweise enorm wichtig ist, gebe ich gerne viel Geld für Lebensmittel aus: 400 Euro monatlich.

Handy und Internet: Dafür zahle ich jeweils 20 Euro im Monat.

Mobilität: Für den Sprit fallen lediglich 20 Euro monatlich an – überwiegend laufe ich zur Arbeit oder benutze das Fahrrad. Die Kfz-Steuer beträgt 70 Euro im Jahr, die Versicherung circa 320 Euro jährlich.

Versicherungen: Ich tilge monatlich 380 Euro meines privaten Studien-Kredits. Hinzu kommen eine private Haftpflichtversicherung in Höhe von 50 Euro pro Jahr, eine Diensthaftpflichtversicherung in Höhe von 50 Euro jährlich sowie 40 Euro vermögenswirksame Leistungen, die monatlich automatisch vom Brutto abgehen. 250 Euro lege ich monatlich auf mein Sparbuch.

Kleidung und Körperpflege: Für Kleidung gebe ich rund 50 Euro monatlich aus, auf Körperpflege entfallen etwa 20 Euro im Monat. Friseurbesuche kosten mich etwa 120 Euro pro Jahr.

Freizeit: Für Kunstmaterialien und andere Projekte zahle ich durchschnittlich 40 Euro pro Monat, für Raumausstattung durchschnittlich 50 Euro und für Thai-Massagen etwa 60 Euro pro Monat. Auf Saunabesuche entfallen 25 Euro monatlich. Ich finde es sehr wichtig, mir auch mal was zu gönnen. Daher gebe ich 150 Euro pro Monat für Restaurant- und Cafébesuche aus. Für Konzerte, Kinobesuche und anderes Kulturelles zahle ich durchschnittlich zusammen 40 Euro monatlich, symbolische 5 Euro fallen pro Monat für Spenden an den Bund für Umwelt und Naturschutz an. Duftöle nehmen eine gewichtige Rolle in meinen Leben ein - dafür gebe ich 20 Euro pro Monat aus. Zudem fallen 15 Euro im Monat für Kerzen und 25 Euro monatlich für Balkonbegrünung sowie Zimmerpflanzen an. Hinzu kommen 12 Euro für Netflix, 10 Euro für Spotify und mein Yogakurs, der mich 180 Euro im Jahr kostet.

So viel bleibt am Ende übrig: Am Ende des Monats bleiben mir rund 5 Euro und mein Nettoweihnachtsgehalt in Höhe von 1404 Euro.

"Was würdest Du tun?"
In unserer kleinen Serie befragt Felix Schwarz Menschen aus der Region, für welches Geld und unter welchen Umständen sie arbeiten und was sie tun würden, wenn sie nicht auf diese Art des Broterwerbs angewiesen wären.
Die Befragten bleiben auf Wunsch anonym, der Redaktion liegen aber die Namen und Adressen vor.
In Teil eins der Serie kam eine Augenoptikerin zu Wort, in Teil zwei hat sich unser Reporter mit einer Ergotherapeutin unterhalten. Dieser folgten die Leiterin eines Kindergartens und ein Zerspanungsmechaniker, ein Polizist, ein Verwaltungsbeamter, ein Mechatroniker, ein Sozialpädagoge, eine Produktdesignerin und eine Einzelhandelskauffrau. Im elften Teil hat sich Felix Schwarz mit einer Ingenieurin der Landschaftspflege getroffen.
 
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