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HAßFURT
Haßbergkreis: Wenn Eltern ihre Kinder lebensunfähig machen
Serie „Was würdest Du tun?“: Anni Köster ist 33 Jahre alt und arbeitet als Leiterin einer Kindertagesstätte. Dazu hat sie zwei Nebenjobs und verdient insgesamt 4172 Euro brutto. Sie hat Spaß an ihren Jobs, übt aber an manchen Eltern harte Kritik.
Kindergarten       -  Im Rahmen unserer Serie „Was würdest du tun?“ stellen wir die Leiterin einer Kindertagesstätte vor. Sie hat ihren Traumjob gefunden – wenn nicht manche Eltern das Bild etwas trüben würden.
Foto: SymbolJan-Philipp Strobel/DPA | Im Rahmen unserer Serie „Was würdest du tun?“ stellen wir die Leiterin einer Kindertagesstätte vor. Sie hat ihren Traumjob gefunden – wenn nicht manche Eltern das Bild etwas trüben würden.
Von Felix Schwarz
 |  aktualisiert: 29.03.2021 10:41 Uhr

Sie ist Leiterin einer Kita und hat zwei Nebenjobs: Anni Köster arbeitet 55 Stunden in der Woche und verdient insgesamt 4172 Euro brutto. Als größtes Problem sieht sie die Leistungsgesellschaft. In unserer Serie „Was würdest Du tun?“ stellen wir Menschen aus dem Landkreis Haßberge vor, die erzählen, wie sie arbeiten, was sie verdienen und was sie tun würden, wenn sie nicht arbeiten müssten. Hier berichtet 33-jährige Anni Köster.

Mein Job

Beruf: Ich habe die Leitung einer Caritas-Kita und einer Krippengruppe inne. Dabei entfallen jeweils vier Stunden pro Tag auf die Gruppenleitung und die Büroarbeit. Gerade die Bürokratie stellt mich jeden Tag vor neue Herausforderungen. Personalplanung, Kommunikation mit der Kommune und verschiedenen Behörden, Gespräche mit Eltern, Personal und die Vermittlung des Hausmeisters – das alles gehört zu meinem Alltag.

Mein Hauptziel besteht darin, gegen die Leistungsgesellschaft anzukämpfen. Berufstätige stehen heute unter enormem Druck und geben diesen leider immer häufiger an ihre Kinder weiter. Deshalb trete ich gegen Egoismus und für die Gemeinschaft ein.

Es geht darum, einen Rahmen zu schaffen, innerhalb dessen Kinder lernen, selbstständig ihr Leben zu gestalten. Wir als Kita sind dabei lediglich als familienunterstützendes und nicht als ersetzendes System zu betrachten. Empathie wird dadurch umso wichtiger.

Was sich im Laufe der Zeit geändert hat, ist vor allem die Arbeit mit den Eltern. Vor zehn Jahren machte die Arbeit mit den Kindern 70 Prozent aus, diejenige mit den Eltern 30 Prozent. Jetzt liegt das Verhältnis bei 50 zu 50.

Das ist in erster Linie auf die Verunsicherung der Eltern zurückzuführen. Das stetig wachsende Angebot an Einrichtungen und Konzepten führt zu einem Vergleichbarkeitswahn und überfordert viele Eltern. Ich rate dazu, auf das Bauchgefühl zu vertrauen und sich nicht durch äußere Umstände, wie beispielsweise das Internet, verunsichern zu lassen. Einige Eltern haben panische Angst, als schlechte Eltern dazustehen. Sie setzen somit ihre Kinder und sich selbst unter gewaltigen Druck.

Ich sehe jedoch ein weiteres Problem: Viele Grundkompetenzen werden zuhause nicht mehr vermittelt. Eltern wollen, dass ihre Kinder möglichst die beste Bildung genießen. Praktische Dinge bleiben daheim allerdings auf der Strecke. Natürlich lernen Kinder viele Dinge erst im Kindergarten, doch es stellt mittlerweile keine Ausnahme mehr da, wenn Kinder keinen Tisch decken können oder noch nie mit der Gabel gegessen haben.

Auf der einen Seite werden Kinder früh unter Druck gesetzt, viel zu lernen. Auf der anderen Seite lässt man ihnen in Alltagsangelegenheiten zu viel Freiheiten. In jedem Alter sind Regeln und Strukturen wichtig, weshalb man Kinder gezielt mitbestimmen lassen sollte. Statt eigenverantwortliches Handeln zu fördern, übernehmen Eltern oft einfachste Aufgaben oder scheuen Diskussionen und nehmen ihren Kindern damit wichtige Lernerfahrungen, die sie später einmal für ein Leben in Selbstständigkeit brauchen. Gemeinschaft funktioniert nur gemeinsam und das heißt, dass jeder seinen Teil dazu beitragen muss. Das Fundament für das Erwachsenenleben wird in der Kindheit gelegt.

Darüber hinaus werden die Ansprüche der Eltern individueller. Die einen wollen nur Biolebensmittel, die anderen beschweren sich, wenn es bei uns keine Fruchtzwerge gibt. Mal wird Kritik geübt, wenn wir mit den Kindern zu lange nur drinnen sind. Mal wird kritisiert, was uns einfällt, mit den Kindern in den Wald zu gehen. Bezüglich der Zeiten, die ein Kind bei uns verbringt, fordern die Eltern zudem eine hohe Flexibilität von uns ab. Grundsätzlich wird im Herbst für ein Jahr gebucht, doch die Anzahl der Kinder und die Stundenbuchungen können teilweise stark variieren. Das stellt die Erzieher und Kinderpfleger manchmal vor große Herausforderungen. Ich kenne Fälle, wo Angestellte viermal im Jahr ihre Wochenstunden anpassen mussten. Wenn das Einkommen unregelmäßig ist, wird es für die Betroffenen unter anderem sehr schwierig, einen Kredit von der Bank zu bekommen.

Außerdem verlangen Eltern mehr Transparenz und wollen vermehrt Einfluss auf das Erziehungskonzept der Kita nehmen. Das steht oft im Widerspruch zu ihrem tatsächlichen Handeln. Es gibt leider einige Eltern, die lieber einen finanziellen Ausgleich zahlen, als sich bei Veranstaltungen miteinzubringen.

Nichtsdestotrotz liebe ich meinen Beruf und gehe jeden Tag gerne auf die Arbeit. Besonders gefällt mir die Freiheit. Wir können den Arbeitsalltag weitgehend offen gestalten. Brauchen wir im Sommer eine Abkühlung, gehen wir raus in den Garten und schalten den Rasensprenger an. Wenn es im Winter schneit, nutzen wir das Wetter, um einen Schneemann zu bauen. Kinder gehen mit einer überwältigenden Leichtigkeit durch den Tag. Das färbt auch auf mich ab, was ich als unheimlich sinnstiftend und bereichernd empfinde.

Die Kleinen sind neugierig und stellen immer wieder Fragen. Da finde ich es wichtig, nicht sofort auf alle Fragen eine Antwort parat zu haben, sondern sich mit den Kindern gemeinsam auf die Suche nach einer Antwort zu begeben. Somit lerne ich auch jeden Tag etwas über mich selbst und hinterfrage mein Handeln auch viel stärker. Das Erziehungspersonal vereint Motivationshelfer, Forscher, Lehrer, Entdecker und Tröster in einer Person. Der Job ist auch deshalb wahnsinnig vielfältig. Ich darf Kinder in spannenden Lebenslagen begleiten.

Wer in einer Caritas-Kita arbeitet, muss das Menschenbild der Kirche akzeptieren und die Werte der katholischen Kirche vermitteln. Die Religionsangehörigkeit ist bezüglich der Einstellung jedoch nicht mehr entscheidend. Ich kenne Menschen, die nicht katholisch sind und trotzdem eine Caritas-Einrichtung leiten. Zudem war es vor zehn Jahren noch ein Kündigungsgrund, wenn man ein uneheliches Kind hatte. Heute wird meistens darüber hinweggesehen.

Mir ist es wichtig, dass Kinder überhaupt mit einem Glauben aufwachsen. Glaube gibt Halt und Orientierung. Wenn ein Kind allerdings nicht beten will, ist das auch in Ordnung. Religiöse Erziehung bedeutet für mich auch, andere Menschen kennenzulernen und zu achten. Deshalb besuchen wir unter anderem einmal im Jahr die Lebenshilfe. Religion gibt Halt, egal welche Religion. Sie bietet einen Ansatz, sich die Welt zu erklären.

„Kinder gehen mit einer überwältigenden Leichtigkeit durch den Tag“
Anni Köster, Erzieherin

Berufsentscheidung: Ich wollte immer Erzieherin werden. Mein Ziel war es, mit Menschen zu arbeiten und meinen Teil dazu beizutragen, Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu stärken. Das ist einzigartig. Ich wollte immer Leitung werden, weil man als Führungsperson auch seine eigenen Ideale und Visionen umsetzen kann.

Ausbildung: Meine Ausbildung zur Erzieherin dauerte fünf Jahre. Zwischendurch unterbrach ich die Ausbildung, um für ein Jahr als Au-pair auf Mallorca zu arbeiten. Im ersten Jahr erhielt ich 200 Euro Aufwandsentschädigung, im zweiten Jahr 250 Euro. In diesem Zeitraum war ich vier Tage die Woche in der Kita und einen Tag in der Schule. Im dritten und vierten Lehrjahr gab es überhaupt keinen Lohn, im fünften Jahr immerhin 750 Euro. Während der Schulzeit mussten wir zusätzlich Schulgeld zahlen. Aufgrund des wachsenden Personalmangels wurden in den vergangenen Jahren neue Wege der Ausbildung erschlossen, wie beispielsweise OptiPrax, eine Erzieherausbildung mit optimierten Praxisphasen.

Die Hauptgründe des Personalmangels liegen in der schlechten Bezahlung und dem schnell wachsenden Angebot an Kindertagesbetreuungsplätzen. Besonders schwierig ist es, Männer für den Beruf zu begeistern. Es gibt aber auch Eltern, die keine Männer im Kindergarten wollen. Gegenüber Männern herrschen nicht selten viele Vorurteile. Vereinzelt denken sich Eltern: Ein Mann, der mit Kindern arbeiten will, ist seltsam.

Kritisch sehe ich auch die Ausbildung von Führungspersonen. Obwohl ich von Anfang an klarstellte, dass ich eine Kitaleitung übernehmen will, musste ich mir vor allem kaufmännische Fähigkeiten selbst aneignen. Natürlich werden Fortbildungen angeboten, doch die Schulung von Führungspersönlichkeiten sollte bei Nachfrage bereits während der Erzieherausbildung stattfinden. Jedoch herrscht auch hier Personalmangel. Es gibt immer wieder Fälle, in denen Erzieher als Berufseinsteiger eine Leitung übernehmen. Ja, man wächst an seinen Aufgaben, aber ich finde das unverantwortlich.

Insgesamt lässt sich sagen, dass sich die Gesellschaft stark verändert, die Ausbildung dementsprechend aber zu wenig.

Tipps: Für den Beruf sollten junge Menschen auf jeden Fall Kommunikations- und Kritikfähigkeit mitbringen. Sie sollten zudem Menschen mögen und Teamwork beherrschen.

Wöchentliche Arbeitszeit: In der Kita verbringe ich 39 Stunden in der Woche. Seit ich 15 Jahre alt bin, arbeite ich nebenbei in einer Gastronomie. Bis vor einem Jahr half ich dort drei bis vier Tage wöchentlich aus. Nun habe ich das etwas reduziert und arbeite in der Wirtschaft maximal zwei Tage in der Woche. Somit kommen hier wöchentlich zehn Stunden zusammen.

Zudem habe ich eine private Betreuung für ein Kind übernommen. Hierauf entfallen sechs Stunden in der Woche. Darüber hinaus arbeite ich zwei Stunden in der Woche ehrenamtlich als Hospizbegleiterin. Für eine lange Zeit war ich auch als Vorsitzende in einem Verein aktiv. Dieses Ehrenamt habe ich allerdings vor Kurzem niedergelegt. Am Ende komme ich so auf 55 Arbeitsstunden pro Woche.

Bedingungsloses Grundeinkommen: Wenn ich 1500 Euro pro Monat ohne Gegenleistung erhalten würde, würde ich lieber in Teilzeit arbeiten. Ich würde vielleicht auch mein ehrenamtliches Engagement ausweiten. In erster Linie hätte ich aber gern mehr Freizeit und Zeit für die Familie. Mein Arbeitspensum ist enorm, da muss ich etwas ändern. Ich bin nicht gerne alleine, Bücher zu lesen ist nichts für mich. Ich arbeite auch deshalb so viel, weil ich beschäftigt sein will.

Meinen Job in der Gastronomie würde ich gerne aufgeben. Dabei geht es mir nicht ums Geld. Gerade das Ehrenamt, aber auch der Job in der Wirtschaft bedeuten einfach Leidenschaft für mich. Durch meine Tätigkeit im Hospizverein kann ich Menschen auf ihrem letzten Weg begleiten. Mit einem Grundeinkommen würde ich hierfür noch mehr Zeit finden.

Meine Einnahmen

Bruttoeinkommen: Mein Bruttogehalt aus der Kita beträgt 3772 Euro. 200 Euro kommen durch die Arbeit in der Gastronomie zusammen, das Trinkgeld muss ich an den Chef weitergeben. Durch die Kinderbetreuung erhalte ich 200 Euro pro Monat.

Nettoeinkommen: Mit allen drei Jobs komme ich auf 2420 Euro netto im Monat.

Meine Ausgaben

Wohnkosten: Für den Kredit meiner Eigentumswohnung zahle ich 780 Euro pro Monat. Aktuell wohne ich allerdings mit meinem Freund und seinen zwei Kindern in seinem Haus.

Lebensmittel: Für vier Personen fallen hier 200 Euro pro Monat an.

Handy und Internet: 40 Euro zahle ich im Monat für meinen Handyvertrag.

Mobilität: 200 Euro gebe ich monatlich für Sprit aus.

Versicherungen: Unter anderem besitze ich eine Lebens- und Privathaftpflichtversicherung. Zusätzlich spare ich für eine Riesterrente. Insgesamt gebe ich für alle Versicherungen knapp 442 Euro im Monat aus.

Kleidung und Körperpflege: Hier kommen circa 200 Euro im Monat zusammen.

Freizeit: Ich gehe gerne mal ins Restaurant und gebe dafür ungefähr 100 Euro im Monat aus. Ein größerer Urlaub und ein paar Tage in den Bergen pro Jahr sind für mich der kleine Luxus, den ich mir jährlich erfülle. Hier komme ich auf circa 2000 Euro jährlich.

So viel bleibt am Ende übrig: Am Ende des Monats bleiben mir circa 391 Euro.

„Was würdest Du tun?“

In unserer kleinen Sommerserie befragt Felix Schwarz Menschen aus dem Landkreis Haßberge, für welches Geld und unter welchen Umständen sie arbeiten und was sie tun würden, wenn sie nicht auf diese Art des Broterwerbs angewiesen wären.

Die Befragten bleiben auf Wunsch anonym, der Redaktion liegen aber die Namen und Adressen vor. In Teil eins unserer Serie kam eine Augenoptikerin zu Wort, in Teil zwei hat sich unser Reporter mit einer Ergotherapeutin unterhalten. Heute ist die Leiterin eines Kindergartens an der Reihe.

 
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