Kaum zu ertragen waren für Olaf und Bettina Neun aus Weißenbach bei Zeitlofs (Landkreis Bad Kissingen) die Bilder, mit denen sie am 8. September in ihrem Damwild-Gehege konfrontiert waren: Fünf tote Kälber lagen ziemlich zerfleischt im Gras, zwei weitere sind seitdem spurlos verschwunden.
Wie schnell mit DNA-Tests nachgewiesen wurde, war in der Nacht zuvor der Gw 3092f in das Gehege eingedrungen, der in der Region zuvor schon etliche Weidetiere getötet hatte.
Dem Ehepaar Neun ist die Betroffenheit über das Schicksal ihrer Tiere bei einem Besuch der Redaktion Wochen später noch anzumerken. "Man baut ja eine Beziehung zu den Tieren auf", beschreibt Olaf Neun den Verlust. Man lerne über die Zeit, die Tiere auseinander zu halten.
"Der große Hirsch ist der Hansi", drückt Neun die Vertrautheit aus. "Ich schlafe seitdem schlecht", so der 53-Jährige zu seiner Gemütslage nach dem Übergriff. Mit gemischten Gefühlen schaut er nun zwei bis drei Mal täglich an dem Gehege etwa einen Kilometer außerhalb des Dorfes vorbei.
Das Damwild fasst erst allmählich wieder etwas Vertrauen
Dass etwas nicht stimmte, hatte Neun am Tag nach dem nächtlichen Wolfsriss bei seiner Annäherung an das drei Hektar große Gehege schnell gemerkt. Verstört hätte sich das Wild in einer Ecke des drei Hektar großen Geländes zusammengedrückt. Erst langsam fasst es wieder etwas Vertrauen.
"Das brauche ich nicht noch einmal", erinnert sich Bettina Neun mit Schrecken an den Zustand, in dem sie die zerfleischten Tiere vorfand. An jenem Tag hatte es fast 30 Grad Celcius. Überall auf den den Kadavern hab es vor Maden und Fliegen gewimmelt.
Schwer wiegt auch die Sorge um die vermissten Tiere. "Das ist bitter", sagt Olaf Neun. Die Herde ist von einem Tag auf den nächsten um sieben Tiere auf jetzt 18 reduziert worden.
"Wir fühlen uns von den Behörden alleingelassen", so die Neuns
Wie geht es nun weiter? Die Familie spielt nach 30 Jahren mit dem Gedanken, die Damwildhaltung aufzugeben. "Wir fühlen uns von den Behörden alleine gelassen", sagt er enttäuscht.
Einerseits sei die extensive Tierhaltung im Freien zur Fleischerzeugung erwünscht. Andererseits führe die Bedrohung durch den Wolf dazu, dass viele Weidetiere nicht rausgelassen werden. Das sei paradox: "Naturnäher geht es kaum", sagt Neun mit einem Fingerzeig auf die Einbettung seines Geheges zwischen Wiesen und Wäldern.
Tiere wachsen ohne Zufütterung und Medikamente auf
Zugefüttert werde in trockenen Jahren allenfalls etwas Getreide, wenn nicht genügend Gras wächst. Medikamente brauchen die Tiere überhaupt nicht.
Jetzt ist das Idyll in Gefahr. "Das Thema hat jetzt eine unwahrscheinliche Dynamik entwickelt", sagt Olaf Neun sorgenvoll mit Blick auf die sich häufenden Vorfälle, auch im nahen Mittelsinn und in Völkersleier. "Man weiß ja nicht, was da noch kommt", beschreibt er seine Verunsicherung. Zumal in diesem Jahr sieben neue Wolfswelpen auf dem Truppenübungsplatz Wildflecken registriert wurden.
Fleischverkauf dieses Jahr hinfällig: Rund 1500 Euro materieller Schaden
Bereits jetzt sei der Fleischverkauf dieses Jahr vor Weihnachten hinfällig. "Ich muss meinen Kunden absagen", bedauert er. Er geht von einem materiellen Schaden in Höhe von etwa 1500 Euro aus. In Gefahr sei jetzt auch seine Förderung für extensive Tierhaltung. Gemessen an der Größe des Geheges muss er dafür 21 Tiere vorhalten.
Kein großes Vertrauen setzt Olaf Neun in eine Optimierung des Schutzzaunes um das Gehege. Die bestehende Drahtkonstruktion war kein Hindernis für den Eindringling. Den Spuren nach hatte sich der Wolf unter dem Schutzzaun durchgewühlt.
Schutzzaun schwer zu installieren
Um dieses Untergraben zu erschweren, müsste zur Ergänzung ein engmaschigerer Schutzzaun von der Senkrechten in die Waagerechten auslaufend installiert werden. An der Grundstückgrenze sei das aber unmöglich, gibt Neun zu bedenken.
Zwar würde dieser Zaun zu 100 Prozent bezuschusst. Vor dessen Anbringung müsste Neun den bestehenden, 30 Jahre alten Zaun auf 750 Metern Länge aber komplett ertüchtigen.
Erschwerend komme hinzu, dass es finanzielle Unterstützung überhaupt nur gebe, wenn der neue Zaun mindestens zehn Jahre bleibt. "Ich bin jetzt 53 Jahre alt und weiß nicht, ob ich mir das noch so lange antue", sagt Neun.
Ein weiteres Problem sei, dass Zäune aktuell kaum zu bekommen seien. Für einen erfolgreichen Förderantrag brauche er mindestens drei Angebote. Auch vom Vorschlag bei einem Ortstermin, als Hindernis für den Wolf alle 15 Zentimeter einen Metallbügel in den Boden zu rammen, hält Neun wenig. "Das wären ja 15.000 Bügel", rechnet er vor.
Für kaum zu verwirklichen hält Neun auch einen Elektrozaun, weil das Gehege gemäß Auflagen mit einer Sichtschutzhecke umgeben ist. Die vertrage sich schlecht mit dem Stromleiter. Zudem müsse die restliche Trasse wieder freigemäht werden. "Dabei ist unklar, ob der Aufwand überhaupt etwas nutzt", macht er Zweifel geltend.
Kinder haben Tiere in ihr Herz geschlossen
Keine Zweifel gibt es dagegen, dass auch der örtliche Kindergarten eine Aufgabe des Damwildgeheges betrauern würde. Jede Woche pilgern die beiden Kindergartengruppen bei Wind und Wetter in die Natur, um zu schauen, wie es "ihren" Tieren geht. "Das ist immer ein Highlight", sagt Kindergärtnerin Lisa Berkl.
Mit Kastanien lassen sich die Tiere bis an den Zaun locken. Wie sie sich über die Jahreszeiten entwickeln sorgt bei den Kleinen für aufgeregten Gesprächsstoff. Auch deshalb hat Familie Neun bisher Freude am Damwild. Wenn da nicht die neuen Sorgen wären. Neun ist überzeugt: Das Idyll hat nur eine Zukunft, wenn der Wolf in die Schranken gewiesen wird.
Olaf Neun würde den Wolf nur in Schutzgebieten tolerieren
"Ich habe grundsätzlich nichts gegen den Wolf", sagt Olaf Neun. Zu tolerieren sei er allenfalls in Schutzgebieten, wie etwa auf Truppenübungsplätzen. Nahe der Zivilisation sollte er besser zum Abschuss freigegeben werden. Zu lange habe die Politik zugeschaut, kritisiert Neun, und verweist auf einen Schaden von insgesamt 63 Millionen Euro, den Wölfe allein in diesem Jahr in Deutschland verursacht hätten.