Am Tag nach dem mutmaßlichen Wolfsangriff ist das Damwild von Manfred und Sonja Wolf in Mittelsinn noch immer schreckhaft. Scheu drückt es sich am anderen Ende des Geheges herum. "Normalerweise stehen die hier vorne in einer Reihe", sagt Sonja Wolf. Ein größeres Kalb liegt abgesondert vom Rudel apathisch am unteren Ende des Geheges am Zaun. "Vielleicht trauert es, vielleicht ist seine Mutter getötet worden", mutmaßen die Tierhalter. Doch am Tag darauf müssen sie auch dieses Tier erlösen, es war, was sie erst nicht gesehen hatten, ebenfalls beim Übergriff verletzt worden.
Vier tote Hirsche fand Manfred Wolf am Donnerstag, als er morgens bei den Tieren vorbeischaute – zwei Kälber, ein Jungtier vom vergangenen Jahr und ein Muttertier. Eines der Tiere hatte sich im Zaun erhängt, die anderen waren vom bislang unbekannten Angreifer mit einem Biss in die Kehle getötet und angefressen worden. Ein Biss in die Kehle gilt als wolfstypisch. Ein weiteres Tier musste gleich mit einem Schuss erlöst werden, drei männlichen Junghirschen (Spießer) ist es offenbar gelungen, durch den Zaun nach draußen zu fliehen.
Die Wolfs gehen von einem langen Kampf aus
Die Wolfs berichten, dass nach dem Übergriff auf das über 40-köpfige Rudel reihenweise Zaunpfähle locker waren. "Folglich ist die ganze Herde in Panik da reingehüpft", sind sie sich sicher. "Das waren nicht nur zehn Minuten, das war ein langer Kampf", vermutet Sonja Wolf anhand der Spuren. Sie heiße zwar Wolf, sei aber kein Wolfsfreund, sagt die Mittelsinnerin. Der Wolf als Hintergrundbild auf ihrem Handydisplay sei auch nur aufgrund des Namens, sie könne nicht nachvollziehen, warum es Menschen gibt, die sich über die Rückkehr des Wolfs freuen.
Ob es wirklich ein Wolf war, wissen die Wolfs noch nicht, "aber was soll's sonst gewesen sein?". Sie hätten auf Versammlungen von Damwildhaltern schon öfter Bilder von Wolfsrissen gesehen - und da hätte es so wie jetzt bei Ihnen ausgesehen. Auch dass der Angreifer sich unter einem Zaun durchgegraben hat, spreche etwa gegen einen Luchs. Der Wolfsbeauftragte des Landkreises sei am Donnerstag schnell gekommen und habe mehrere Proben genommen. In ein paar Tagen haben sie Gewissheit. Auf ihren Wildkameras hätten die Jäger der umliegenden Reviere nichts gesehen.
Die Wolfs hängen an ihren Tieren
Seit 35 Jahren sind die Wolfs täglich bei ihren Tieren. Sie haben drei Gehege, insgesamt 14 Hektar, zwei mit insgesamt gut 70 Stück Damwild und seit ein paar Jahren zusätzlich eines mit 40 Rothirschen. Christbäume habe der Vater beziehungsweise Schwiegervater, der früher Schafe hatte, damals nicht gewollt. Aber zugleich sollte die Landschaft sauber bleiben. So habe er mit Hirschen angefangen. "Wir fahren nicht in Urlaub", erzählen die Wolfs, "wir verbringen unsere Zeit hier." Oft säßen sie auf dem Hochsitz, schauten einfach nur auf ihre Hirsche und plauderten über die Tiere, die sie bei Gelegenheit schießen und selbst zerlegen.
Der bestehende Zaun mit mindestens 1,80 Meter Höhe ist nicht wolfssicher, zumal er am Hang von oben leicht zu überspringen wäre. Auch sie hätten sich schon Gedanken um einen Wolfszaun gemacht, aber 120.000 bis 140.000 Euro Investitionen für alle drei Gehege, die sie auf jeden Fall hätten vorstrecken müssen, hätten sie abgeschreckt. Eine Firma hätte innen rundherum 50 Zentimeter tief ausgegraben, um dort Stahlmatten einzubringen, damit der Wolf sich nicht durchgraben kann. Oben auf den bestehenden Zaun wären Elektrolitzen angebracht worden. Um eine Förderung zu bekommen, hätten sie die Gehege mindestens zehn Jahre weiterbetreiben sollen – aber sie seien ja jetzt schon Anfang beziehungsweise Mitte 60.
"Die Angst ist jetzt da", sagt Sonja Wolf. Die Angst, dass der Angreifer wieder kommt und weitere Tiere erlegt. Einmal sei vor ein paar Jahren ein Schäferhund ins Gehege eingedrungen, aber der habe nur ein Tier gerissen, indem er es in die Ecke getrieben und dann von hinten angefallen habe.
Hat in Mittelsinn wieder die Wölfin GW3092f zugeschlagen?
Der Verdacht liegt nahe, dass in Mittelsinn erneut die Wölfin mit der Bezeichnung GW3092f zugeschlagen hat, die schon seit Monaten im Spessart Schafe, wie in Habichsthal, und Hirsche aus Wildgehegen reißt. Diese Woche kam der Nachweis, dass die Wölfin am 6. September ein Schaf im nahen hessischen Sinntal gerissen hat, außerdem am 8. September fünf Damhirsche in Zeitlofs-Weißenbach.
Am Montag fand zudem Schafhalter Armin Heil in Aura ein gerissenes Schaf auf einer Weide, die mit einem funktionsfähigen Elektrozaun umzäunt war. Ein Luchs nage keine Knochen an, so Heil. 200 Meter entfernt nahm eine Wildkamera um die vermutete Tatzeit am Montagmorgen offenbar einen Wolf auf. Die Bilder wurden zur Einschätzung ans Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) gesendet, heißt es aus Auraer Jägerkreisen.
Bald dürften die Wolfs in Mittelsinn Gewissheit haben, ob bei ihnen der Wolf war. Wenn die Probenqualität, anders als bei den acht gerissenen Lämmern an Pfingsten in Rengersbrunn, für eine eindeutige Identifizierung ausreicht, erfahren sie auch, ob es wieder besagte Wölfin war.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, in Weißenbach habe die Wölfin ein Schaf gerissen. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen.
Sein ursprünglicher Lebebsraum und wir haben ihr vertrieben. Jetzt kommt er zurück, na und?