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Würzburg
Angstforscher über Corona: Wie das Virus unsere Psyche infiziert
Die Pandemie zerrt an den Nerven, stresst, zermürbt. Welche Folgen hat sie langfristig für die Seele? Der Würzburger Psychologe Paul Pauli erklärt, was wirklich Angst macht.
Die Seele leidet: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit? Würzburger Wissenschaftler untersuchen es in einer Langzeitstudie.
Foto: Getty Images | Die Seele leidet: Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die psychische Gesundheit? Würzburger Wissenschaftler untersuchen es in einer Langzeitstudie.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 08.02.2024 10:42 Uhr

Keine Frage: Corona belastet alle. Lockdown, Lockerung, erneuter Lockdown, keine Kontakte, soziale Distanz, Angst um den Arbeitsplatz, Sorge um Angehörige und natürlich die Furcht davor, selbst zu erkranken: Seit einem Jahr ist die Pandemie Alltag. Welche Auswirkungen aber wird Corona wohl langfristig auf die psychische Gesundheit haben? Diese Frage untersucht der Würzburger Psychologe Professor Paul Pauli mit Kollegen in einem Forschungsprojekt. Im Gespräch erklärt er, welche Ergebnisse er erwartet - und wie Angst und Panikstörungen entstehen.

Psychologie-Professor Paul Pauli in seinem Büro im Institut für Klinische Psychologie in Würzburg. 
Foto: Patty Varasano | Psychologie-Professor Paul Pauli in seinem Büro im Institut für Klinische Psychologie in Würzburg. 
Herr Professor Pauli, ist die Pandemie ein Risiko für unsere Psyche? Sie haben eine Langzeitstudie gestartet. Welche Erkenntnisse erwarten und erhoffen Sie?

Prof. Paul Pauli: Wir haben Daten von großen Stichproben, die wir deutlich vor und während der ersten Corona-Welle erhoben haben. Durch eine Förderung der VW-Stiftung haben wir jetzt die Möglichkeit, diese Personen in ihrem Verlauf, also über die Zeit weiterverfolgen zu können. Die Frage ist: Was verändert sich bei ihnen aufgrund der Corona-Erfahrung. Was ganz wichtig und das große Glück ist: Wir haben mehr als 2000 Personen relativ genau psychologisch untersucht, bevor es Corona überhaupt gab. Wir können also untersuchen: Wer sind diejenigen, die diese psychische Belastung relativ gut überstehen? Wer sind die, die die soziale Distanz, das Eingeschränkt-Sein schlechter überstehen. Das sind unsere Hauptfragen.

Das heißt: Sie befragen diese 2000 Personen noch einmal?

Pauli: Genau, wir haben die Erlaubnis, sie noch einmal zu kontaktieren und weiter zu untersuchen. Das macht es so einmalig. Wir hatten schon genau untersucht: Wer ist ängstlicher? Wer neigt mehr zu Depression? Wer hatte traumatische Erlebnisse in der Kindheit. Jetzt gehen alle durch diese Corona-Zeit durch – und wir können schauen: Wie sind die Veränderungen durch Corona? Kann man Vorhersagen machen, wer psychisch gesund bleibt und wer psychische Probleme entwickelt?

Was erwartet der Angstforscher?

Pauli: Natürlich, dass die Pandemie und die damit einhergehenden Konsequenzen für uns eine Belastung sind. Dass ein Großteil sich belastet und schlecht fühlt, aber dies bei den meisten nicht in Richtung einer psychischen Erkrankung geht. Ich will das aber nicht kleinreden, Corona ist eine Belastung,  und es wird eine Gruppe geben, die infolge der Pandemie eine psychische Krankheit entwickelt. Diese Menschen haben vermutlich eine Disposition: Kann sein, dass sie besonders vulnerabel sind, weil sie vorher schon sehr stark belastet waren oder ein traumatisches Erlebnis durchgemacht haben oder dass sie wenig soziale Unterstützung hatten oder haben. Um diese Risikogruppe müssen wir uns ganz besonders kümmern, sie müssen wir rechtzeitig auffangen.

Wie fängt man auf?

Pauli: Die einfachste Möglichkeit: Sie nicht allein zu lassen, ihnen die Unterstützung zu geben, die sie brauchen. Sie müssen wissen: Da sind Ansprechpartner, an die du dich wenden kannst, wenn es dir schlecht geht. Du kannst dich an jemand wenden, wenn deine Angst so stark wird, dass du sie nicht mehr bewältigen kannst. Wir wissen: Wenn man gleich am Beginn der Entwicklung einer psychischen Störung eingreift, kann man sie auffangen, damit sie nicht chronisch wird. Rechtzeitige niederschwellige Angebote sind wichtig: angefangen von Telefonberatung bis Hilfe übers Internet bis hin zu einer tatsächlichen Psychotherapie.

Was ist Angst? Was löst sie aus?

Pauli: Angst ist, wie man so schön sagt, eine Grundemotion. Eine Emotion, die jeder Mensch kulturunabhängig erleben kann. Was bedeutet, dass sie eine besondere biologische Funktion hat. Angst signalisiert, dass eine Gefahr droht. Und sie bereitet mich darauf vor, diese Bedrohung zu bewältigen. Deswegen ist uns das Gefühl erst einmal unangenehm und negativ und es geht mit körperlicher Erregung einher. Also eine sehr, sehr sinnvolle Reaktion. Das entscheidende ist, dass bei einem lernenden Organismus diese Angst nicht erst entsteht, wenn die Bedrohung tatsächlich da ist. Sondern auch, wenn ich diese Bedrohung erwarte. Die Angst signalisiert dann: Sei besonders vorsichtig, hier könnte eine Bedrohung sein.

"Das Virus ist etwas sehr diffuses, die Gefahr ist vielschichtig, der Feind ist für uns nicht sichtbar."
Angstforscher Prof. Paul Pauli
Und wann ist dies nicht mehr gesund?

Pauli: Was passieren kann: Dass sich diese Angst immer mehr von der tatsächlichen Bedrohung löst und in Situationen entsteht, in denen man denkt, da könnte eine Bedrohung sein. Wenn einen diese Angst dann im Leben so stark einschränkt, dass man viele Dinge gar nicht mehr macht und darunter auch leidet, sprechen wir von einer Angststörung. Angst ist wichtig und eine sehr sinnvolle Reaktion, wir wollen keine angstfreien Menschen. Der Angst nachzugeben, ist erst einmal sinnvoll. Aber wenn die Angst anhält und die Überhand gewinnt, obwohl die Bedrohung gar nicht oder nicht mehr da ist, kann es zur Pathologie kommen.

Wir sind ja alle seit einem Jahr in einer Situation, die wir so noch nicht erlebt haben. Wir haben keine oder kaum Erfahrung mit dieser Art von Pandemie-Bedrohung. Wie also umgehen mit Befürchtungen und schlimmen Erwartungen?

Pauli: Was bei Corona noch dazu kommt und das Ganze problematischer macht: Das Virus ist etwas sehr diffuses, die Gefahr ist vielschichtig, der Feind ist für uns nicht sichtbar. Das bedeutet auch, dass wir uns selten wirklich sicher fühlen können, selten entspannen können. Das macht es aus psychologischer Sicht so schlimm. Wir sehen die Gefahr nicht – selbst wenn wir zuhause sind und die Türe zumachen, können wir uns nicht wirklich ganz sicher fühlen. Die Belastung ist dauerhaft.

Erwarten Sie langfristige Folgen, auch für die Zeit nach der Pandemie?

Pauli: Eigentlich nicht. Natürlich werden die Belastungen uns eine Weile nachhängen. Aber ich glaube, dass der Mensch doch sehr schnell und gerne in seinen bisherigen Alltagsrhythmus, in seine Gewohnheiten zurückfällt. Für den Großteil der Menschen wird sich die Situation hoffentlich schnell entspannen und auch das Sicherheitsgefühl und Vertrauen wird zurückkommen. Der Mensch neigt ja – zum Glück – auch ein wenig zum Optimismus. Leider wird es aber auch Menschen geben, für die das nicht ganz so einfach sein wird, eventuell steigt die Häufigkeit psychischer Erkrankungen um ein, zwei oder auch drei Prozent. Um die Personen müssen wir uns kümmern. –

Was ist mit jenen, die die Situation scheinbar überhaupt nicht kümmert? Die scheinbar sorglos und unbelastet mit der Pandemie umgehen?

Pauli: Ganz grundsätzlich: Es wäre nicht sinnvoll, wenn alle Menschen gleich reagieren. Es ist wichtig, dass unser Verhalten einen gewissen Spielraum hat. Es ist bei Corona wohl nichts anderes: Es gibt Menschen, die mehr auf der sicheren Seite stehen. Und die, die trotz der Angst etwas ignorieren und riskieren. Das ist eine Art Normalverteilung. Es gibt einfach Menschen, die weniger ängstlich sind.

Wovon hängt das ab? Kindheit, Gene, Umwelt?

Pauli: Es gibt bestimmt eine Art Disposition, Veranlagung zur Ängstlichkeit. Aber der größere Anteil ist wohl durch meine eigene Erfahrung geprägt. Wie haben mir es meine Eltern vorgelebt? Wie bin ich in der Schule informiert worden? Wie haben sich Menschen aus meinem näheren Umfeld verhalten? Da werden Verhaltensmuster übernommen.

Aus Ihrer Erfahrung als Forscher: Welche Angst ist am größten? Welche Art Angststörung ist besonders gravierend?

Pauli: Was sicher ist: Panikstörungen mit Panikattacken sind das, worunter Betroffene am massivsten leiden. Weil die Panik mit extremer Angst einhergeht - bis hin zu der Angst, jetzt zu sterben. Und sie geht einher mit starken körperlichen Veränderungen: mit einem Gefühl der Atemnot, starkem Herzschlag, starkem Schweißausbruch. Und das Ganze „explodiert“ innerhalb kürzester Zeit. Innerhalb von zwei Minuten entsteht diese extreme, existentielle Angst, vergleichbar mit einem Gefühl des Erstickens. Viele rufen dann den Notarzt. Aber außer einem beschleunigten Puls und vielleicht einem leicht erhöhten Blutdruck ist körperlich alles ganz normal.

Wieso diese extremen Erstickungsgefühle – wenn doch körperlich eigentlich alles okay ist? Wie entsteht so was?

Pauli: Körperliche Belastung ist nicht untypisch. Vielleicht gab es anfänglich etwas Körperliches. Man war besonders gestresst, hat vielleicht zwei, drei Tage schlecht geschlafen, vielleicht zu viel Kaffee getrunken und zu viel geraucht. Der Körper war also belastet – und dann kommt etwas dazu, man spürt sein Herz und bekommt Angst. Und diese Angst beschleunigt den Herzschlag weiter – dann eskaliert es bis zur Panikattacke. Das Problem ist dann die Angst vor der Angst. Die Angst verselbständigt sich.

"Viele Menschen haben so eine Panikattacke irgendwann einmal."
Psychologe Prof. Paul Pauli über Panik, die nicht zur Krankheit wird
Kann das jeden treffen?

Pauli: Das eine ist die Statistik. Die besagt, dass Frauen ungefähr zwei bis drei Mal häufiger betroffen sind als Männer. Das Zweite ist: Viele Menschen haben so eine Panikattacke irgendwann einmal. Ungefähr 30 Prozent der Bevölkerung erleben so einen Moment einmal. Aber deswegen entwickeln sie noch keine Panikstörung. Es wiederholt sich nicht und sie verändern ihr Verhalten nicht aus Angst vor weiteren Panikattacken, beginnen zum Beispiel also nicht, Treppen oder Sport aus Angst vor der Belastung zu vermeiden. Es gibt einen nicht zu unterschätzenden Anteil in der Bevölkerung, die Panik einmal erleben. Aber bei den wenigsten wird es zur Krankheit.

Wie behandelt man Störungen?

Pauli: Das entscheidende ist: Die meisten Betroffenen verändern ihr Verhalten dramatisch. Sie vermeiden vermeintlich bedrohliche Situationen ganz exzessiv. Das ist die Falle, in die man kommt: Dass man nie überprüft, ob es stimmt, was ich befürchte. Und dass man sein Leben immer stärker einschränkt. Der Schritt einer Psychotherapie wäre also, mit dem Betroffenen genau das zu bearbeiten. Was sind die Auslöser-Situationen? Was erwartest du, was passiert? Man muss klar machen: Die Angst kann entstehen durch die eigenen Gedanken. Es geht darum, so eine Situation zu erzeugen. Dass der Betroffene sagt: Okay, ich will es jetzt wissen – passiert es oder passiert es nicht? Die Situation zu bewältigen, ist dann für die meisten Patienten ein tolles Erlebnis.

Das einmalige tolle Erlebnis reicht dann aber nicht, oder?

Pauli: Nein, das ist ein lebenslanger Prozess. Es ist schwer vorstellbar. Aber wenn man einmal diese massive Angst hatte – die vergisst man nicht.

Zurück zu Corona. Kann es sein, dass wir die Pandemie nicht vergessen? Dass wir auch nach der Bewältigung nicht mehr so unbefangen im Umgang miteinander sind wie vorher?

Pauli: Man muss differenzieren: Was ist eine sinnvolle Angst und was eine krankhafte? Angst ist keine Krankheit! Die meisten haben jetzt eine sinnvolle Angst: Man will sich selber schützen. Diese Angst wird auch wieder vergehen  und den Umgang miteinander nicht langfristig belasten.

Bleibt die Frage, wieso haben die einen trotzdem so viel krankmachende Angst . . .

Pauli: Das ist das große Rätsel. Es ist schwer vorherzusagen. Die einen erleben extrem Fürchterliches und entwickeln keine Angststörung. Bei den anderen führt weniger Schlimmes zu einer Störung. Wenn wir wüssten, was die Ursache ist, was die Weiche stellt, könnten wir sie schützen. Vollständig ergründen werden wir das wohl nie.

Professor Paul Pauli

Seit 2001 hat der Wissenschaftler an der Universität Würzburg den Lehrstuhl für Psychologie I - Biologische Psychologie, Klinische Psychologie und Psychotherapie inne. Paul Pauli stammt aus Biberach an der Riß, studierte Diplom-Psychologie an der Universität Tübingen und arbeitete am Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München sowie am Institut für Psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Medizinische Psychologie der TU München. Er habilitierte 1997 im Fach „Medizinische Psychologie“ am Tübinger Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Angststörungen, Schmerzen und Sucht.
Im Oktober 2020 wurde der 60-Jährige vom Universitätsrat zum Nachfolger von Universitätspräsident Alfred Forchel gewählt. Pauli tritt sein Amt am 1. April 2021 an.
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  • ralfestenfeld@aol.com
    Sehr interessanter Ansatz und gute Untersuchungsbasis. Wichtig ist für mich, dass neben dem INDIVIDUELLEN Fokus auf den Einzelnen auch in die Studie einbezogen wird, was Corona an Auswirkungen auf den Umgang MITEINANDER hat - unabhängig von der Frage der Entwicklung von Angst und Angststörungen.
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