Begonnen hat es in der Redaktion mit einer journalistischen Zwickmühle, als für den Bericht vom Tod eines 82-Jährigen kurz nach dessen Erstimpfung die Überschrift gefunden werden musste. . Das Ergebnis dieser redaktionellen Suche nach einem zutreffenden Titel stand am 13. März über einem dreispaltigen Artikel am Fuß der Seite in der Zeitung: "Nach Erstimpfung gestorben". Darunter erklärte die kleinere Unterzeile zur Überschrift: "Vermutlich natürlicher Tod eines 82-Jährigen im Würzburger Impfzentrum".
Leser reagiert kritisch
Auf die Hauptüberschrift hat Leser G.M. aus dem Spessart kritisch reagiert. Er schrieb mir, bei „einer derart aufgemachten Überschrift“ gehöre nicht viel Fantasie dazu, dass danach "dieser oder jener Impfskeptiker eine Impfung noch weniger in Betracht zieht und schon gar nicht mit dem Impfstoff von Biontech/Pfizer". Dessen Erwähnung (im Text) sei überflüssig gewesen, zumal die Todesursache unklar sei und erst überprüft werde.
Zurückhaltung angemahnt
G.M. schrieb besorgt, dass sich viele Leser (in manchen Fällen auch er) mit der Überschrift zufriedengeben und den Artikel nur überfliegen. Aus diesem Grund mahnt er bei der der Redaktion für Aufmachungen etwas mehr Zurückhaltung an.
Die kritische Zuschrift habe ich der gesamten Redaktion zur Kenntnis gegeben. Jetzt wurde die Zwickmühle deutlich. Grundsätzlich kann sie immer dann entstehen, wenn bestätigte Fakten - wie im vorliegenden Fall - entgegen journalistischer Gewohnheit in der Überschrift nicht herausgestellt werden oder gar wegbleiben sollen. Denn diese Fakten können sich in ihrer Verbindung (Impfung und Todesfall) auf flüchtige Leser eventuell nachteilig auswirken - hier auf die wichtige Impfbereitschaft. Diese Gefahr ergab sich bei Leuten, die nur die Überschrift wahrgenommen haben. In diesem Beitrag hatte man alles, was auch wichtig ist, weil es aufklärt, erst danach in der Unterzeile und im Artikel mitgeteilt: Dass bei dem Verstorbenen erhebliche Vorerkrankungen vorlagen, dazu dass er wohl eines natürlichen Todes starb. Und: Ein Todesermittlungsverfahren werde eingeleitet.
Die flüchtigen Leser
Es gibt sie ja tatsächlich, die „flüchtigen Leser“, die nur Titel wahrnehmen. Die Rechtsprechung setzt sie gerne dann ein, wenn alleine eine Überschrift oder eine Kurzfassung einen Eindruck erweckt, der Dritten zum Nachteil gereichen kann. Solche Rechte wurden im vorliegenden Fall aber nicht verletzt, es geht lediglich um die Möglichkeit, dass Leute, die nur die Überschrift gelesen hatten, von der Impfung abgeschreckt werden konnten. Das wäre nicht gut. Schließlich ist das Impfen der entscheidende Weg aus der Pandemie.
Angesichts der Bedeutung und des öffentlichen Interesses kann man gegenwärtig wahrscheinlich sogar davon ausgehen, dass unter Überschriften, die das erkennen lassen, jede Zeile zur Corona-Impfung aufmerksam gelesen wird. Herr G.M. kann als ein Beispiel für Lesen und Mitdenken stehen.
"Eindeutig und zweifelsfrei"
Seine Kritik blieb nicht wirkungslos. Am 16. März erschien in der Zeitung ein Artikel mit einer sehr klaren Überschrift. Er stand als Aufmacher über sechs Spalten ganz oben auf einer Zeitungsseite. Der Titel: "'Eindeutig und zweifelsfrei' Natürliche Todesursache". Mit dieser Überschrift sollten letzte Zweifel beseitigt werden. Das Ergebnis der Obduktion, dass inzwischen vorlag, war Anlass für den Beitrag mit dieser Überschrift.
Der Grund für den Bericht
Ein Blick zurück: Warum stand denn die Erstimpfung überhaupt in der Überschrift des ersten Beitrages? Dafür spricht, dass die zeitliche Nähe zur Impfung entscheidend dafür ist, dass über diesen Todesfall überhaupt berichtet wurde. Wäre der Mann irgendwann zuhause oder im Krankenhaus gestorben, wäre das redaktionell überhaupt nicht wahrgenommen worden.
Vorbeugung gegen Gerüchte
Die Möglichkeit, erst das Ergebnis der Obduktion abzuwarten und danach über einen Bericht zu diesem Todesfall zu entscheiden, wurde in der Redaktion verworfen. Der Grund: Man wollte mit Fakten etwaigen Gerüchten vorbeugen, die zwischenzeitlich in Umlauf gebracht werden könnten, solche, die wirklich Schaden anrichten. Gerade Impfskeptiker hätten sich eine unklare Situation zunutze machen können. Die Redaktion hätte sich danach dem Vorwurf stellen müssen, dass sie nicht berichtet und Klarheit geschaffen hat.
Herrn G.M. bin ich dankbar, dass er auch mir Gelegenheit zu dieser Erklärung gegeben hat.
Anton Sahlender, Leseranwalt.
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
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