Verantwortungsloser jugendlicher Leichtsinn wird in Ihrer Zeitung mit der Überschrift 'Junger Rennfahrer' belohnt.“ Das schreibt mir Leser E.K., der das „völlig unbegreiflich“ findet. Ich kann den Mann verstehen. Der Straßenverkehr ist kein Raum für junge Rennfahrer.
Zum Glück niemand verletzt
Mit "Junger Rennfahrer" und der Unterzeile „Unfall im Kreisverkehr“ war am 19. Januar in einem Lokalteil der Zeitung die Meldung überschrieben, dass ein 19-jähriger BMW-Fahrer absichtlich das ESP-System seines Fahrzeuges abgeschaltet hatte, um mit starker Beschleunigung in der Ausfahrt aus einem Kreisverkehr sein Fahrzeug zum Driften zu bringen. Dabei hat er die Kontrolle über den Wagen verloren. Es entstand erheblicher Sachschaden, nicht nur am Fahrzeug. „Verletzt“, so liest man, „wurde zum Glück niemand“. - Siehe angefügt die Artikelkopie.
Hier noch die digitale Fassung mit sachlicher Überschrift: "ESP im Kreisverkehr ausgeschaltet und Unfall gebaut."
Anmerkung: ESP-System heißt die Elektronische Stabilitätskontrolle, die dem Ausbrechen des Wagens entgegenwirkt.
Nicht auf die leichte Schulter nehmen
Herrn E.K. habe ich geantwortet, dass die kritisierte Überschrift verharmlost – trotz erklärender Unterzeile. Der Vorfall ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, selbst wenn es "nur" zu einem Sachschaden kam. Solches Fahrverhalten könnte schlimmere Folgen haben. Man denke nur an das schreckliche Unglück, das ein noch junger Autofahrer auf einer Nebenstraße bei Hettstadt verursacht hat. Im Sinne der verharmlosenden Überschrift hätte man diesen Unfallfahrer auch als "jungen Rennfahrer" bezeichnen können – wäre es „nur“ zum Sachschaden gekommen.
Mehr Gedanken machen
Vorbeugend und mit Rücksicht auf alle Menschen, die selbst oder deren Angehörige im Straßenverkehr Schaden genommen haben, sollten verharmlosende oder gar spaßige Unfall-Überschriften vermieden werden. Erklären kann ich die vorliegende nur damit, dass zuweilen in Redaktionen zu wenig Zeit bleibt, sich auch bei alltäglichen Unfallmeldungen mehr Gedanken zu machen. – Das zu ändern, dazu mögen diese Zeilen beitragen.
Persönliche Empfindlichkeiten
Dagegen harmlos sind persönliche Empfindlichkeiten. So ekelt sich Frau E.B. vor Fotos von Ratten oder Mäusen. Bereits einmal (Sept 2017: „Die Maus im Brot und der Horror einer Leserin“) habe ich davon berichtet. Sie hat sich nun bedankt, dass am 20.1. gleich vorne auf dem Zeitungsteil „Einblicke“ verraten wurde, um was es im Inneren gehen würde: „Was Ratten mögen“ . Das sei hilfreich gewesen.
Kontrollierter Grusel
Oder ein Leser, der das
Zombie-Bild auf der Marktplatzseite (Siehe Kopie) vom 13.1 . auf „Bildzeitung-Niveau, reißerisch, geschmacklos, widerlich und beschämend“ gefunden hat. Es illustriert einen Bericht über Auszubildende im Freizeitpark, die bei ihrer Maskerade fürs Foto sogar verschmitzt dreinblicken. Da muss man halt genau hingucken. Dann sieht man das. Der Leser hat sich von meiner Erklärung überzeugen lassen, dass kontrollierter Grusel unterhaltend sein kann.Frühere Leseranwalt-Kolumnen zu Unglücksberichten:
"Online-Tipp unter einem Unfall war ein Missgriff" (2009)
"Leichentuch und Metallsarg schockieren" (2009)
"Nicht Sensationsgier - Zukunft im Internet" (2009)
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de
Ihre Erklärung
"Erklären kann ich die vorliegende nur damit, dass zuweilen in Redaktionen zu wenig Zeit bleibt, sich auch bei alltäglichen Unfallmeldungen mehr Gedanken zu machen."
könnte ggf. auch Rückschlüsse auf die persönliche Einstellung der Redakteurin/des Redakteurs zulassen.
In der von mir in einem Leserbrief kritisierten Überschrift "Doppeltes Pech für 30-jährige Autofahrerin" wird es im Artikel als Pech verharmlost, dass die Polizei die Autofahrerin mit (Zitat MP) "deutlich über 0,5 Promille" erwischt hat.
Mit Ihrer Erkärung könnte man jetzt durchaus annehmen, dass der/die Redakteur/in Alkoholfahrten innerlich immer noch als Kavaliersdelikt betrachtet.
Anton Sahlender, Leseranwalt