Max erklärt bei jeder Gelegenheit Fußball. Doch jüngst hat er dieses so vertraute Gesprächsfeld mal blockiert. Sein Inbegriff des siegreichen Ballspiels, der FC Bayern, hatte mit einer allzu deutlichen Niederlage in Frankfurt sein Selbstbewusstsein aus dem Gleichgewicht gebracht. Max verweigerte danach, sich im Gesprächen damit quälen zu lassen.
Nach der Begegnung mit Max fällt mir die ungute Erscheinung der Nachrichtenvermeidung ein, die der Digital News Report des Reuters Institutes aus Oxford bei seiner Umfrage unter mehr als 93.000 Online-Nachrichtenkonsumenten in 46 Märkten, die die Hälfte der Weltbevölkerung abdecken, festgestellt hat.
2023 sind es wieder schlechte Nachrichten, die deutlich die Agenda anführen. Darin verliert sich dann leicht der konstruktive, also lösungsorientierte Journalismus, mit dem Medien gegensteuern.
Positive Begriffe sind bei Leserinnen und Lesern oft weniger erfolgreich als negative
Das US-Internetmedium Upworthy schreibt sich auf die Fahnen, positive Aspekte in Berichten zu betonen. Positive Begriffe kommen darin häufiger vor. Eine Studie zeigte aber auch, dass solche Artikel weniger Nutzerinnen und Nutzer erreichen als negative.
Im Europäischen Journalismus Observatorium fragt Marcus Kreutler dazu sinngemäß, warum Menschen sich selbst mit traurigen Themen quälen, obwohl sie die nach eigenen Aussagen nicht konsumieren möchten?
Menschen halten den Konsum von Nachrichten manchmal nicht mehr aus
Eine evolutionär bedingte Sorge um das eigene Überleben lasse das Bedrohliche stärker wahrnehmen, lautet eine These. Sie soll begründen, warum schlechte Nachrichten, also Unglücksfälle, Kriminalität, Konflikte, Katastrophen und Kriege, gewohnheitsmäßig stark genutzt werden. Das ist es allerdings, was Nachrichtenvermeidung zur Folge haben kann.
Befragungen im aktuellen Reuters-Report deuten außerdem auf den Schutz der eigenen mentalen Gesundheit in Krisen-Zeiten hin. Deshalb werde Nachrichtenkonsum eher nicht mehr ausgehalten als nicht mehr gewollt. Das geschieht bewusst oder unbewusst.
Der Nachrichtenvermeidung vorbeugen
Regelmäßige Zeitungsleserinnen und Zeitungsleser zählen wohl eher zu den Menschen, die Nachrichten länger und besser aushalten. Sie werden es aber begrüßen, samstags auf der Meinungsseite der Main-Post nun regelmäßig positive Beiträge zu lesen. Dazu heißt es: "Die Welt scheint voller schlechter Nachrichten zu sein. Wir setzen an dieser Stelle künftig jede Woche ganz bewusst etwas Positives dagegen."
Redakteurinnen und Redakteure wollen die Weltlage damit nicht schönreden. Doch positive Momente und Perspektiven können positiv auf das Bewusstsein einwirken.
Wenn positive Funken überspringen, könnten sie der Nachrichtenvermeidung oder -müdigkeit vorbeugen. Klar ist doch, dass „Bad News“ nicht nur zwei, sondern meist noch mehr Seiten haben. Wer die wahrnimmt, kann sie einschätzen und zuweilen besser ertragen.
Max (27) liest diese Zeilen hier wohl nicht. Die über Niederlagen, über die er nicht sprechen mag, bleiben ob seiner Interessen aber unausweichlich. Berechtigte Hoffnungen auf die Wiederkehr von Siegen machen sie erträglich.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Ergänzend dazu folgende Leseranwalt-Kolumnen:
2009 Jan.: "Die Frage nach den guten und den schlechten Nachrichten"
2011 Okt.: "Schwungvoll in den Tag mit drei erfreulichen Schlagzeilen"
2016 Aug.: "Wird der Zustand der Welt zu schlecht eingeschätzt? und "Gute und schlechte Nachrichten: eine Frage der Perspektive"
2019 Dez.: "Erkennen Sie, was Nachrichten mit ihrem Gehirn machen"
2021 Mai: "Wie digitale Daten bei der Auswahl von Nachrichten helfen"
2021 Nov.: "Eine Buch-Empfehlung, damit es beim Lesen im Gehirn 'Plopp' macht"
2022 Dez.: "Plädoyer für menschliche Kostbarkeiten zwischen unerfreulichem Inhalt"