Der klassische Grundsatz, Meinungen von Nachrichten und Informationen erkennbar zu trennen, wird oft und gerne eingefordert. Ich zeige nun wieder einmal beispielhaft an einem Fall, wie man dieser Regel besser gerecht werden kann. Am 27. Januar lautete die Schlagzeile auf der Titelseite der Zeitung "Spaltung quer durch die Parteien". In dem Artikel berichteten und analysierten Korrespondenten in Berlin. Es ging um die Bundestagsdebatte vom Vortag zum Für und Wider einer Impfpflicht.
Die Frage nach der Impfpflicht, so ist auch im Text des Berichtes zu lesen, spalte nicht nur Abgeordnete, sondern die ganze Nation. Gräben würden mitten durch die Ampel-Koalition und einzelne Parteien verlaufen.
Die Leserkritik
Kritisch reagierten darauf bei mir einige Leser. Herr U.H. schrieb unter der Überschrift "Gute demokratische Diskussion" einen Leserbrief zu der journalistischen Bewertung der Debatte ohne Fraktionszwang: "Natürlich haben die Abgeordneten unterschiedliche Meinungen, Ängste und Bedenken, auch quer durch die eigenen Fraktionen." Das sei in der emotionalen Frage richtig und wichtig. Es allerdings als Spaltung zu bezeichnen hält Herr U.H. für puren Populismus. Seinem Empfinden nach entspreche das nicht sachlicher Berichterstattung.
Nicht im Bericht bewerten
Um diese Sachlichkeit geht es aus meiner Sicht. Denn sowohl die Überschrift, als auch die zitierten Sätze sind Wertungen der Autoren, also Meinungen. Folglich gehören sie laut Trennungsgrundsatz nicht in einen Bericht. Sie stünden besser in einem eigenen Meinungsbeitrag, der die Einordnung als Spaltung argumentativ erklären kann. Dieser Bewertung hätte Leser U.H. dann zwar widersprechen, nicht aber an der sachlichen Berichterstattung zweifeln können. Schon deshalb ist es in der Regel besser, in Berichten nicht zu bewerten.
Als Analyse von Korrespondenten kennzeichnen
Vertretbar wäre es natürlich auch, gleich nach der Spaltungsüberschrift der Leserschaft eine "Analyse der Korrespondenten" aus Berlin anzukündigen. Damit wäre klar: Fakten fließen im Artikel mit Wertungen zusammen. Eine Kennzeichnung, die für manchen Korrespondenten-Beitrag gut wäre. Denn von Journalisten in Hauptstädten werden häufig Analysen erwartet und geliefert. Und schon früher habe ich festgehalten, dass Analysen Meinungen sind.
Ärger über nachrichtengleiche Schlagzeile
Es mag ja sein, dass sich vielen Lesern aus dem Bericht trotzdem erschlossen hat, dass die "Spaltung" keine Wahrheit, sondern die Perspektive der Autoren ist. Darauf zählt jedenfalls die zuständige Redaktion. Wer aber die Korrespondenten-Perspektive nicht nachvollziehen kann, weil er die Debatte vielleicht im TV verfolgt hat, stört sich wie Herr U.H. wohl umso leichter daran, die andere Wertung nachrichtengleich in der Schlagzeile auf dem Titel einer Zeitung lesen zu müssen.
Wo sich Fakten und Wertungen begegnen
Natürlich ist bekannt: Auch in namentlich gezeichneten Rezensionen von Kunst (Theater, Bücher, Ausstellungen), in Sport-Reportagen (gerade Fußball), in Essays und Portraits begegnen sich meist Nachrichten (Fakten) und Wertungen. Das ist zulässig. Gut ist es dennoch, diese Stilformen jeweils erkennbar zu machen, ebenso wie Meinungen. Mein Schweizer Kollege, der Ombudsmann Ignaz Staub, schildert einen Fall, wie umgekehrt Meinung mit Nachricht verwechselt wurde: "Mini Meinig, dini Meinig".
Auch Jürgen Kandziora, Leseranwalt der Oberpfalzmedien, betont in diesem Monat in seiner Kolumne: "Der Leser sollte immer erkennen können, was Nachricht und Information ist und was Meinungsäußerung. Am besten ist deshalb eine saubere Trennung, insbesondere bei politischen Beiträgen. Mit anderen Worten: Meinung wird gekennzeichnet und von der Nachricht auch optisch abgesetzt."
Für ein Höchstmaß an Transparenz
Ein Höchstmaß an Transparenz ist im Internet-Zeitalter wichtiger denn je. Redaktionen sollten keine Zweifel an ihren Nachrichten aufkommen lassen. Mehr erklärende Kennzeichnungen fördern zudem Medien-Kompetenz in der Leserschaft. Sie machen einen wesentlichen Unterschied zu zahllosen Absendern aus, die für eine Inflation von Ansichten sorgen, die leider manche Zeitgenossen mit Fakten verwechseln.
In den journalistischen Leitlinien der Main-Post-Redaktionen heißt es wörtlich zu "Transparenz und Meinungsbildung: "In Bezug auf den Charakter, die Voraussetzungen und die Ergebnisse unserer Arbeit stellen wir umfassende Transparenz her. Wir legen unsere Absichten stets offen. Kommentare, Meinungen und Wertungen machen wir als solche erkennbar. Dieselbe Transparenz pflegen wir bei der Darstellung der Tätigkeiten und Interessen der Mediengruppe Main-Post."
Steinbrecher: Kritik zu Herzen nehmen
Der TV-Journalist und Journalistik-Professor Michael Steinbrecher erklärt in einem Interview zur Trennung von Nachricht und Meinung: "Wissenschaftler der Universität Mainz haben das näher untersucht und sind zu dem Ergebnis gekommen, dass <...> das Vermischen von sachlicher Darstellung und wertenden Kommentaren, einer der Vorwürfe ist, der den Medien gemacht wird. Und das führt mich zu der Frage: Was spricht gegen diese Trennung von Meinung und Bericht? Oder was spricht dagegen, eine Kontraposition fair darzustellen? Diese Kritik sollten wir Journalisten uns wirklich zu Herzen nehmen. Denn dafür haben wir doch die unterschiedlichen Darstellungsformen."
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Frühere ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:
2009: "Kommentare, Meinungen und Wertungen müssen als solche erkennbar sein"
2021: "Ein journalistisches Bekenntnis zum Lockdown ist keine Meinungsmache"
2021: "Warum ich auf das Wohl eines nachdenklichen Lesers anstoßen muss"