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LESERANWALT
Leseranwalt: Warum Journalisten und Journalistinnen die Statistik des BKA näher beleuchten müssen
Abgebildet ist nur das, was der Polizei bekannt wird
Die Zahlen der alljährlichen Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) bilden nicht die wirkliche Kriminalität ab. Entstehung und Beurteilung bedürfen deshalb gerade auch in Medien der Erklärung und der Einordnung. 
Foto: SymbolArne Dedert/dpa | Die Zahlen der alljährlichen Statistik des Bundeskriminalamtes (BKA) bilden nicht die wirkliche Kriminalität ab. Entstehung und Beurteilung bedürfen deshalb gerade auch in Medien der Erklärung und der Einordnung. 
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 19.07.2024 18:00 Uhr

Amtliche Daten übernehmen Medien gerne. Ämter gelten als privilegierte Quellen. Das verpflichtet Journalisten nicht, deren Daten nachzurecherchieren. Aber genau das ist stets dringend zu empfehlen, gerade wenn sie von der Polizei kommen. So gilt hier alle Aufmerksamkeit den jährlichen Informationen über die Kriminalität in Deutschland, die das Bundeskriminalamt herausgibt. Doch auch aktuell gibt es Mängel.

Die Kriminalitätszahlen sind mal wieder alarmierend. So ist zu lesen: "Zahl der Straftaten so hoch wie seit 2016 nicht mehr" (Überschrift vom 8.4.). Mehr Fälle von Körperverletzung und ein hoher Anteil von Migranten, heißt es zusammenfassend für die nackten Zahlen aus der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) des Bundeskriminalamtes (BKA). Die ist aus den Daten von 16 Landeskriminalämtern entstanden.

"Übermedien" und der How-To-PKS-Guide

Medien bleiben meist leider meist die Erklärungen über die Entstehung der Statistik schuldig. Der medienkritische Dienst "Übermedien" (ÜM) bietet aktuell unter dem Titel "Haltet den Ausländer!" ein How-To-PKS-Guide. Das ist lobenswert, weil gerade die BKA-Statistik meist zu politischen Deutungen führt und verführt.

Weil diese Zeitung den Zahlen aus die BKA-Statistik auch keine komplette Legende mitgegeben hat, liefere ich aus dem ÜM-Guide hier Wesentliches zu den Zahlen nach. Interpretationshilfen bietet auch das BKA.

Warum die PKS nicht die wirkliche Kriminalität abbildet, sondern nur das, was der Polizei bekannt wird, erklärt ÜM-Autor Andrey Reisin. Denn vieles hänge von Strafanzeigen und polizeilichen Ermittlungen ab. Zu mehr erfassten Straftaten führen mehr Kontrollen (etwa im Drogenmilieu). Zitiert ist bei ÜM beispielhaft Lüchow-Dannenberg, wo 1981 wegen des Atommüllendlagers Gorleben mehr Polizei stationiert wurde. Folge: Es gab dort massiv mehr registrierte Straftaten, nicht aber in den umliegenden Regionen.

Grundsätzlich lässt sich dazu auch Heribert Prantl (Süddeutsche Zeitung) zitieren: "Richtig ist und bleibt auch der Hinweis darauf, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik kein echtes Abbild der Kriminalität darstellt, sondern vor allem ein Tätigkeitsausweis der Polizei ist. Sie müsste eigentlich mit der Statistik der Verurteilungen abgeglichen werden."

Gewachsene Bereitschaft Kindesmissbrauch und sexuelle Übergriffe anzuzeigen

Gewachsen sei die Bereitschaft der Leute Kindesmissbrauch und sexuelle Übergriffe anzuzeigen, heißt es weiter bei Übermedien. Gesetzesverschärfungen, wie die Reform des Sexualstrafrechts (2016) wirken ebenfalls auf die Statistik.

Grundsätzlich werden Straftaten, egal ob aufgeklärt oder nicht, nur erfasst, wenn sie die Polizei an die Staatsanwaltschaft abgegeben hat. Nicht so die Anzeigen, aus denen sich keine Straftat ergibt. Folglich sind alleine ermittelte Straftaten widergespiegelt. Verzerrend wirken aufgedeckte Verbrechen aus der Vergangenheit.

Der unvermeidliche politische Blick auf das Zahlenwerk

Besonders kritische Beachtung verdient der nahezu unvermeidliche politische Blick auf das Zahlenwerk. Das Bundesministerium des Inneren stellt aktuell die erhöhten Zahlen der Ausländerkriminalität in den Vordergrund. Das haben viele Medien übernommen.

Das ist nicht falsch, aber subjektiv geprägt und nicht unbedingt Stand der Forschung in der Einwanderungsgesellschaft. Und der Fokus darauf trägt Vorurteile in sich, lässt "DerWesten" erkennen. Und wissenschaftlich gesehen, so der ÜM-Guide, seien die Indikatoren für Kriminalität eher "Geschlecht, Alter, soziale Lage".

Prantl verweist auf prekäre Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen

Mit dem Zugang über diese Indikatoren könnte einer Verschleierungskritik aus dem Medium "Focus" zur Zuwanderungspraxis begegnet werden. "Dass Menschen eine Tat eher anzeigen, wenn sie als Täter Ausländerinnen oder Ausländer vermuten", trägt dazu das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) bei.

Oder dazu Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung: "Zu den kriminogenen Faktoren (des deutlichen Anstiegs der Asylbewerberzahlen) gehört die prekäre Situation in den Erstaufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge; dort gab es auch die bei Weitem höchste Zunahme von Gewalttaten."

Die andere Perspektive: Männerkriminalität

Wenn aber rund 75 Prozent der Verdächtigen für Gewaltkriminalität männlich sind, dann könnte mit Fug und Recht auch Männerkriminalität in den Blickpunkt gerückt werden. Das würde laut ÜM sogar zu einer substanzielleren Debatte führen als über die Kategorie "Ausländer". Eine Perspektive, die nicht außer Acht gelassen werden sollte.

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.

Weitere Leseranwalt-Kolumnen zu Zahlen und Statistiken:

Mai 2023: "Was man über eine Meinungsumfrage zu Söders Akw-Forderungen wissen sollte"

Juli 2021: "Warum dem Journalismus mehr wissenschaftlicher Geist zu wünschen ist"

Juli 2020: "Prozentzahlen müssen richtig erklärt werden"

Feb. 2019: "Ungenaue Führerscheinzahl: Wer stirbt wird nicht gelöscht"

Dez. 2018: "Was hinter einer Polizei-Statistik steckt"

Jan. 2017: "Nicht alle Senioren sind Rentner"

April 2016: "Trügerische Überschrift"

Feb. 2008: "Kritik an einem Zahlenspiel zum Sterben von Rauchern"

 
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Kommentare
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  • Gerhard Kallert
    Was soll denn in dem Artikel eigentlich ausgesagt werden bzw. will der Autor aussagen. Natürlich zeigt die Polizeiliche Kriminalstatistik nur die Delikte, die der Polizei durch eigene Feststellungen oder Anzeigen der Bürger bekannt werden. Dass der Einsatz von mehr Polizei zu mehr Delikten in der Statistik führt stimmt dabei nur zum Teil, da bei den meisten Deliktsgruppen weit mehr als 90% der Anzeigen von Bürgern kommen. Was sollen da uralte Vergleiche mit einem Gebiet eines Atommülllagers? Und einzelne Aussagen von Heribert Prantl aus dem Zusammenhang gerissen helfen auch nicht weiter ein System wie die PKS zu verstehen. Ich würde mir mehr fundierte Aufklärung wünschen und konkrete Vorschläge. Im übrigen benützt die Polizei für ihr Lagebild nicht nur die Kriminalstatistik, sondern auch die Vorganngsverwaltung. Der Vorschlag im Artikel mit der VerurteiltenStatistik hilft in dieser Form nicht tatsächlich weiter, da diese bei der Verurteilung die Taten noch länger zurückliegen.
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  • Anton Sahlender
    Lieber Herr Kallert,
    danke für Ihre Hinweise. Nun meine Antwort auf Ihre Frage: Der Artikel kritisiert, dass die Zahlen der Kriminalstatistik und ihre Entstehung in den Medien zu oft unerklärt bleibt. Er richtet sich nicht gegen die Polizei. Er versucht zu erklären, dass es ohne Erklärung zu missverständlichen und subjektiven Deutungen der Statistik kommen kann und gekommen ist.. Ich bedauere, dass das bei Ihnen nicht angekommen ist.
    Anton Sahlender, Leseranwalt
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  • Martin Deeg
    Leider verstößt der Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de (Behauptungen ohne Beleg). Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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