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LESERANWALT
Was hinter einer Polizei-Statistik steckt
Anton Sahlender
Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 27.04.2023 07:39 Uhr

Es sei sicherlich ein Flüchtigkeitsfehler, so schreibt mir Leser M.R., wenn in der Überschrift "Fast 13.000 Straftaten durch Rechtsradikale in diesem Jahr" stehe und im Text "nach einem Medienbericht bundesweit 12.791 Straftaten von Neonazis und anderen Rechtsradikalen durch die Polizei festgestellt". Dazu liest man noch 2017 "hatte die Polizei insgesamt 20.520 Straftaten als politisch motivierte Kriminalität – rechts gezählt" (siehe Kopie aus Ausgabe 14.11.18 am Ende des Beitrages).

 

Klarstellung verlangt

M.R. schreibt weiter: Selbst der juristische Laie wisse, dass eine Straftat ein Strafverfahren zur Folge habe und „nicht auf polizeilicher Zählung und Feststellung" beruht. Er verweist auf § 186 und 187 StGB (Üble Nachrede/Verleumdung) und verlangt eine Klarstellung. So wie es der Leser schildert, so stand es in einer Meldung dieser Zeitung, übernommen aus dem  Evangelischen Pressedienst (epd). Der epd beruft sich dabei auf das Bundesministerium des Inneren.

 

Zahlen aus der Eingangsstatistik

Wichtig ist, was das Innenministerium online zur Entstehung der Zahlen mitteilt: Politisch motivierte Straftaten werden demnach von der Polizei grundsätzlich bereits zu Beginn des Verfahrens zugeordnet, anders als das bei der sonstigen polizeilichen Kriminalitätsstatistik der Fall ist. Sie entspringen also bereits der Eingangstatistik der Polizei. Insofern sind die Zahlen, die dann vom Bundeskriminalamt zur bundesweiten Statistik zusammengefasst werden, noch nicht sehr zielgenau.

 

Definition Straftat

Nach der Leserkritik stellt sich auch die Frage: Wann ist eine Tat als Straftat zu bezeichnen? Da verweise ich auf Eckart Thurich, aus Pocket Politik, Demokratie in Deutschland, Bundeszentrale für politische Bildung 2011:

„Eine Straftat liegt vor, wenn drei Bedingungen erfüllt sind: 1. Die Tat muss im Strafgesetzbuch oder einem anderen Gesetz als verbotene Tat beschrieben und mit einer Strafe bedroht sein. 2. Der Täter muss schuldhaft, also bei vollem Bewusstsein, gehandelt haben. 3. Der Täter muss rechtswidrig gehandelt haben, also ohne Rechtfertigungsgründe (z.B. Notwehr bei einer Tötung).“

 

Schwierigkeit: Lange Ermittlungsdauer

Es ist davon auszugehen, dass sowohl bei der Eingangsstatistik (für politisch motivierte Taten) wie bei der sogenannten Ausgangstatistik der Polizei, die meist nach Abschluss ihrer sonstigen Ermittlungen entsteht, ein solcher Maßstab zugrunde liegt. Die Polizei ordnet dabei auch gleich ein, ob die Straftat politisch motiviert war und ob von links oder von rechts. Das Bundeskriminalamt (BKA) besorgt die genaue statistische Zuordnung, liest man beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Und das BKA ist es, das Anhaltspunkte für politische motivierte Straftaten nennt: Da heißt es z.B.online:

Wenn die Tatumstände und/oder die Tätereinstellung Anhaltspunkte dafür bieten, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten.

Die Zahlen der Polizei, die sich auch unter statista.com finden, sagen aber längst noch nicht, ob alle dieser Taten Verdächtigen gemäß Einordnung für eine Straftat verurteilt wurden. Das herauszufinden ist schwierig, weil zwischen Tat und Urteil oft erhebliche Zeitspannen liegen.

 

"Polizeibereich" erhebt die Daten

Meine Mail-Anfrage beim Bundesamt für Verfassungsschutz, ob es Statistiken über bereits gerichtlich festgestellte, politisch motivierte Straftaten gibt, blieb bislang ohne Antwort. Gefunden habe ich folgendes:

Beim Bundesamt für Verfassungsschutz liest man online zur politisch motivierten Kriminalität:

Erfasst werden alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sog. klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen sowie Straftaten, bei denen Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die Daten werden im Polizeibereich erhoben und zentral durch das Bundeskriminalamt unter verschiedenen Gesichtspunkten differenziert dargestellt.

 

Missdeutungen verhindern

Falsch ist die von Leser M.R. kritisierte Meldung also nicht. Beziehen sich die darin genannten Zahlen doch nur auf polizeiliche Zählungen und Zuordnungen von Straftaten, nicht etwa auf rechtskräftige Urteile. Dennoch schadet die kritische Anmerkung des Lesers zur Nachricht nicht. Denn besser wäre es allemal gewesen, die darin verbreiteten Zahlen gleich so zu erklären, dass es nicht zu Fehldeutungen kommen kann. Das war also kein Flüchtigkeitsfehler, sondern ein journalistisches Versäumnis.

Um eine Klarstellung habe ich mich nun bemüht.

Zuguterletzt: Üble Nachrede oder Verleumdung kann natürlich nicht vorliegen. Auch deshalb, weil von der Meldung niemand identifizierbar betroffen ist.

Ähnliche Leseranwalt-Kolumnen:

"Trügerische Überschrift" (2016)

"Nicht alle Senioren sind Rentner" (2017)

"Kritik an einem Zahlenspiel zum Sterben von Rauchern" (2008)

Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de

 

epd-Meldung Nov. 2018       -  Die Online-Meldung des Evangelischen Pressedienstes. Auch hier würde es nicht schaden, das Zustandekommen der Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität näher zu erklären.
| Die Online-Meldung des Evangelischen Pressedienstes. Auch hier würde es nicht schaden, das Zustandekommen der Zahlen zu politisch motivierter Kriminalität näher zu erklären.
Meldung Straftaten vom 14.11.18       -  So erschien am 14.11.18 die Meldung in der Main-Post. Gut wäre es gewesen, das Zustandekommen der Zahlen zu erklären.
| So erschien am 14.11.18 die Meldung in der Main-Post. Gut wäre es gewesen, das Zustandekommen der Zahlen zu erklären.
 
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