Zu einem Hilferuf sieht sich Leser D.T. durch die kurze Meldung "Mehrheit der Deutschen unterstützt Söders Akw-Pläne" auf der Titelseite der Zeitung vom 20. April veranlasst. Darin heißt es, 53 Prozent der Bürgerinnen und Bürger hielten die Forderung des CSU-Chefs, dass Atomkraftwerke in Verantwortung der Länder weiterlaufen sollten, für richtig. Das zeige eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey für diese Redaktion.
Ergebnisse von Meinungsumfragen müssen verstanden werden
Daran stört sich Leser D.T.. Er hält diese Meldung für politisch nicht korrekt. Sie sei weder objektiv noch überparteilich. Außerdem verweist er darauf, dass sich Medien auch schon skeptisch zu Online-Umfragen von Civey geäußert haben. Ja, bewusste Skepsis ist bei Meinungsumfragen ohnehin nie verkehrt. Entstehung und Ergebnisse müssen nämlich verstanden werden. Und dazu trägt die angesprochene nüchterne Meldung in der Zeitung selbst kaum bei.
Verantwortung für übernommene Meldung bleibt bei der Main-Post
Zur Entstehung dieser Meldung auf der Titelseite vom 20. April bedarf es einer ersten Aufklärung, nicht nur für D.T.: Das redaktionelle Zusammenwirken der Main-Post mit der Augsburger Allgemeinen unter dem Dach der Mediengruppe Pressedruck führt dazu, dass viele überregionale Nachrichten in der Zeitung von dort übernommen sind. Und Civey hatte für die Augsburger Redaktion und damit auch für "diese Redaktion", also die der Main-Post, in Sachen Söder und Akw-Weiterbetrieb gefragt. Die Verantwortung für die Veröffentlichung in der Main-Post dazu verbleibt trotz ihrer Herkunft bei den im Impressum auf Seite 2 der Zeitung dafür ausgewiesenen Redaktionen.
Presserat hat entschieden: Civey durfte vertraut werden
Bedenken wegen der Methodik von Civey-Umfragen gibt es. So warfen 2018 konkurrierende Meinungsforscher nach einem veröffentlichten Civey-Ergebnis, das als repräsentativ bezeichnet war, der verantwortlichen Redaktion eines Mediums beim Deutschen Presserat vor, dass sie diese Nachricht hätte zuvor prüfen müssen, wie es Richtlinie 2.1 des Pressekodex verlangt. Das wies der Presserat jedoch zurück. Es gebe keinen Anlass, an der Seriosität von Civey zu zweifeln. Das heißt, den verbreiteten Ergebnissen durfte vertraut werden. Eine eigene wissenschaftliche Prüfung der Umfragemethodik sei der Redaktion nicht abzuverlangen gewesen. Die hat freilich auch der Presserat zu seiner Entscheidung nicht vorgenommen (Presserat 2018, Aktenz. 0473/18/2).
Hilfestellung mit journalistischer Kompetenz
Gut wäre es aus meiner Sicht aber schon, Umfrage-Ergebnisse, die ja in Medien häufig erscheinen, immer wieder mal zu erläutern. Sie sind oft erklärungsbedürftig. Das sollte helfen, verbreitete Zahlen nicht falsch zu deuten und dazu beizutragen, Kompetenzen in der Leserschaft zu erhöhen. Solche Hilfestellung erfordert von der Redaktion keine wissenschaftliche, aber journalistische Kompetenz. Eine Methodik-Erklärung, die gab es beim Magazin "Spiegel", der ebenfalls Civey-Umfragen nutzt. Erklärungen sind auch digitalen Teilnehmern an den Umfragen angeboten. Zeitungslesern aber nicht.
Umfrage topaktuell und von öffentlichem Interesse
Zurück zum von D.T. angesprochenen Umfrage-Auftrag "dieser Redaktion". Ich versichere, dahinter steckt keine einseitige politische Absicht. Eine solche publizistische Todsünde begeht man weder in den Redaktionen in Augsburg, noch in Würzburg. Unabhängigkeit und Überparteilichkeit werden nicht angetastet. Sie gehen auch darüber nicht verloren, dass ein Umfrage-Ergebnis - wie vorliegend - einem Parteipolitiker mehrheitlich zustimmt. Zu Ministerpräsident Markus Söder und seinen umstrittenen Akw-Vorstellungen war die Umfrage topaktuell und von öffentlichem Interesse, ganz gleich, ob der Anlass und das Ergebnis gefallen oder nicht. Alles dazu ist korrekt wiedergegeben. Wer aber Objektivität im Ergebnis von abgefragten Meinungen sucht, begibt sich schnell in einen kaum aufzulösenden Widerspruch.
Ein Vorteil, der sich deutschen Redaktionen bietet
Eine Reihe großer deutscher Redaktionen, die in ihren Veröffentlichungen Civey anbieten, können wohl in der Methodik des Instituts einen Vorteil sehen. Es befragt Medien-Nutzerinnen und -Nutzer direkt und zielgerecht zu den von ihnen aufgerufenen journalistischen Themenbeiträgen. Das geschieht topaktuell auch auf mobilen Geräten. Aber weil die Teilnahme an der angebotenen Befragung freiwillig bleibt, befürchten Kritiker Verzerrungen durch das angesprochene Klientel. Aber beim wissenschaftlichem Methodenstreit unter den Instituten endet meine Kompetenz. Und aus dieser Veröffentlichung nach einer Leseranfrage darf auch keine Werbebotschaft für ein Institut werden, das auf einem vielfältigen Markt unterwegs ist. Als Größte in Deutschland nennt Wikipedia: forsa, die Forschungsgruppe Wahlen, infas, infratest dimap, Institut für Demoskopie Allensbach (IfD), Ipsos und TNS Emnid, das man aktuell der Kantar-Gruppe zuordnet.
Viel Lärm um Nichts vermeiden
Ich empfehle, bleiben Sie auch nach Umfragen von seriösen Demoskopen kritisch. Beachten Sie beispielsweise, welche Fragen gestellt wurden und wie sie formuliert waren, wenn es denn der Nachricht mitgegeben ist. Was hinter Fragen stecken kann, erklärt auch die Bundeszentrale für politische Bildung. Redaktionen sollten ihrerseits vermeiden, mit Umfrageergebnissen viel Lärm um Nichts zu erzeugen. Und bei aller Aktualität der problematischen Söder-Forderung: Es hätte wohl auch dann niemand etwas versäumt, hätte es keine Umfrage und kein Meinungsbild dazu gegeben. Darauf wird kaum eine politische Entscheidung gestützt werden können.
Statistische Fehlergrenzen
Selbst beachten können Leserinnen und Leser vor allem die Erklärungen der Statistiker zu möglichen Schwankungsgrößen (statistische Fehlergrenze) in Umfrage-Ergebnissen - nach unten oder oben. Auch die sollten den Nachrichten mitgegeben sein. So füge ich hinzu: Im vorliegenden Fall kann bei dem von Civey angegebenen statistischen Fehler von 2,5 Prozent die Zustimmung zu Söders-Forderungen mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit irgendwo zwischen 50,5 und 55,5 Prozent liegen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Ergänzende Leseranwalt-Kolumnen zum Thema:
2008: "Kritik an einem Zahlenspiel zum Sterben von Rauchern"
2017: "Nicht alle Senioren sind Rentner"
2018: "Was hinter einer Polizei-Statistik steckt"
2019: "Ungenaue Führerscheinzahl: Wer stirbt, wird nicht gelöscht"
2020: "Prozentzahlen müssen richtig erklärt werden"
2021: "Warum dem Journalismus mehr wissenschaftlicher Geist zu wünschen ist"