Mit Statistiken ist das bekanntlich so eine Sache. Am Donnerstag, 7. Februar, war auf der Titelseite der Zeitung zu lesen, dass Menschen ab 65 Jahren etwa 16 Prozent der Unfälle mit Verletzen verursachen, obwohl sie 21 Prozent der Bevölkerung ausmachen. So geht es jedenfalls aus einer Statistik des ADAC hervor. Dass die nicht sehr präzise sein kann, erfährt, wer der Sache nachgeht. - Kopie des Ausgangsbeitrages von der Titelseite am Ende dieses Textes.
Autofahrer sind nicht die Gesamtbevölkerung
Die ADAC-Statistik gehörte zu einer Nachricht, in der es hieß, dass Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in einem Interview verpflichtende Tests für ältere Autofahrer abgelehnt hat (Überschrift: „Autonomes Fahren für Senioren/Verkehrsminister lehnt verpflichtende Tests ab“).
Eine Leserin hat mich auf eine Frage aufmerksam gemacht, die sich sich ihr gestellt hatte: Ist die Gesamtbevölkerung die richtige Bezugsgröße, wenn es doch nur um die geht, die tatsächlich Auto fahren. Richtig wäre es folglich, mitzuteilen, wie viel Prozent der gesamten Autofahrer oder Führerscheinbesitzer (nicht der Gesamtbevölkerung) mehr als 65 Jahre zählen. Sind das ebenfalls 21 Prozent? Grundsätzlich ist doch klar: Autofahrer sind nicht die Gesamtbevölkerung.
Ein Beispiel
Nicht nur in diesem Fall ist es wichtig, Prozent-Zahlen aus Nachrichten nachzugehen. Sind Bezugsgrößen falsch, täuschen Statistiken. Ein Beispiel: Mit der hier verwendeten Bezugsgröße könnte so erscheinen, als würde gemeldet, Frauen in Saudi Arabien seien die sichersten Autofahrerinnen. Denn, obwohl sie die Hälfte der Gesamtbevölkerung des Landes ausmachen, seien sie überhaupt nicht an Unfällen mit Verletzten beteiligt. Zugegeben, dieses erfundene Beispiel hinkt stark als Vergleich. Es soll nur die Frage nach der richtigen Bezugsgröße erklären.
Zahlen des Kraftfahrtbundesamtes
Ich habe also versucht herauszufinden, wie viel Prozent der deutschen Autofahrer (nicht der Gesamtbevölkerung) über 65 Jahre alt sind. Im Internet wurde ich auf der Homepage des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) fündig. Dort werden zum 1.1.2018 als Gesamtzahl sämtlicher in Deutschland ausgegebener Fahrerlaubnisse 38,8 Millionen genannt. Setzt man dazu die Fahrerlaubnisse der über 65-Jährigen (7,556 Millionen) ins Verhältnis, sind es rund 19,5 Prozent, die 16 Prozent der Unfälle mit Verletzten verursachen. Siehe beim KBA auch "Bestand an allgemeinen Fahrerlaubnissen".
ADAC: Es gibt keine genauen Daten
Die ADAC-Pressestelle begründet mir auf Anfrage, warum sie trotz der KBA-Statistik die Bevölkerungszahl als bessere Bezugsgröße nutzt:
Grundsätzlich gibt es nämlich keine genauen Daten zum Führerscheinbesitz der über 65-Jährigen, sondern nur einen Annäherungswert aus Daten der Mobilität in Deutschland (MiD). Die zeigen, dass inzwischen eine sehr hohe Abdeckung der über 65-Jährigen erreicht ist, ohne dramatische Veränderung der Unfallbilanz.
Erfassung seit 1999
Außerdem zeigen die Zahlen des KBA im zentralen Fahrerlaubnisregister nur die seit 1999 ausgegebenen Fahrerlaubnisse mit den einheitlichen europäischen Fahrerlaubnisklassen. Denn erst seit diesem Zeitpunkt besteht diese Erfassung. Folglich sind die Zahlen ungenau, weil die rosa und grünen Führerscheine nicht mitgezählt sind. Hinzu kommt noch: Wer stirbt, wird nicht gelöscht. Das wurde mir auch auf Anfrage beim Kraftfahrtbundesamt bestätigt.
Aufmerksamkeit erforderlich
Fazit: Statistiken erfordern stets besondere Aufmerksamkeit. Hinter der vorliegenden verbirgt sich offenbar kein politisches Kalkül. Sie bedarf aber der Erklärung, um die ich mich nun mit Hilfe des ADAC und des Kraftfahrtbundesamtes bemüht habe ...
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zum Thema Statistik:
"Was hinter einer Polizei-Statistik steckt" (2018)
"Kritik an einem Zahlenspiel zum Sterben von Rauchern" (2008)
"Leserbriefschreiber nicht auf Fragen sitzen lassen" (2018
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch www.vdmo.de