Klare Unterscheidbarkeit redaktioneller Beiträge von Werbung ist grundlegend für unabhängigen Journalismus. Dem gilt gerade deshalb besondere Aufmerksamkeit, weil bekannt ist, dass bezahlte Werbung zur Wirtschaftlichkeit von Medien beitragen muss.
Pressekodex setzt Grenze zur Schleichwerbung
So hält der Pressekodex, auf den sich auch diese Redaktion verpflichtet hat, fest: "Verleger und Redakteure <...> achten auf eine klare Trennung zwischen redaktionellem Text und Veröffentlichungen zu werblichen Zwecken" (Ziffer 7).
Zur Schleichwerbung (7.2) und zu den Grenzen, die da gesetzt sind, heißt es: "Eine Überschreitung liegt insbesondere nahe, wenn die Veröffentlichung über ein begründetes öffentliches Interesse oder das Informationsinteresse der Leser hinausgeht."
Hinzuzufügen ist, dass es es sich auch dann um Schleichwerbung handeln kann, wenn die Veröffentlichung von der Leserschaft messbar gut genutzt wurde. Das gilt vor allem, wenn es an der Begründung mangelt. Dazu bietet der Deutsche Presserat einen Leitfaden.
Wirt beklagt sich über ein Gerücht
Interessenslagen lassen sich meist dehnbar auslegen. Deshalb mache ich sie hier mit einem schon erschienenen Artikel greifbar. Darin beklagt der Wirt eines renommierten Restaurants: "Seit drei, vier Wochen geht das Gerücht um, dass ich zum Jahresende zumache." Er beruft sich dabei auf Gäste, Lieferanten und Kollegen. Dutzendweise sei in Anrufen und Whatsapp-Nachrichten ob der vermeintlichen Schließung an manchen Tagen bei ihm nachgefragt worden. Er spricht von geschäftsschädigenden Folgen. Die würden auch bei der Suche nach Personal behindern.
Leserschaft darf von Überprüfung ausgehen
Dass das schädliche Gerücht "das gewohnte Maß übersteigt", fügt der Autor hinzu. So darf die Leserschaft davon ausgehen, dass er das überprüft hat, selbst wenn er es nicht eigens erwähnt. Also hat die Redaktion die Erklärung des Wirtes wider die angebliche Schließung verbreitet: "An diesem Gerücht ist nicht das kleinste Fitzelchen Wahrheit." Das war seine Klarstellung, dass die Tische des Restaurants stets wie gewohnt gedeckt geblieben sind und bleiben.
Artikel schießt über das Ziel hinaus
Die Veröffentlichung dieser Erklärung trägt bis hierher öffentliches Interesse, das sich begründen lässt. Doch der arg großzügige, gut illustrierte Artikel um diese Nachricht herum, der lässt Grenzen zu Werbung verschwimmen, eben weil er nun nicht mehr zu begründen ist. Die falschen Gerüchte sind geklärt. Die folgenden Schilderungen zur Historie des Gasthauses und zum Werdegang seines Chefs sind sonst bestenfalls bei Neueröffnungen oder starken Veränderungen von Gasthäusern, etwa nach Besitzerwechseln gängig und vertretbar. Aber für die Beseitigung von falschem Gerede schießen sie über das Ziel hinaus. Die redaktionelle Versuchung zur Großzügigkeit war hier wohl erheblich: Beiträge über Gasthäuser finden meist starke Beachtung.
Journalistische Selbstkritik und eine Hoffnung
Den journalistisch etwas zu üppig aufgedeckten Tisch, den hat natürlich alleine die Redaktion zu verantworten, nicht etwa der betroffene Gastronom. Ihm und seiner Branche wünsche ich, dass sie stets von üblen Gerüchten verschont bleiben mögen. Diese Zeilen hier, die sollen journalistische Selbstkritik sein. Die ist verbunden mit der Hoffnung, dass die richtigen Lehren daraus gezogen werden.
Der angesprochene Beitrag ist hier bewusst nicht verlinkt. Die kritisierte Darstellung soll nicht weiter verstärkt werden.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute e.V.
Das Thema ergänzende Beiträge des Leseranwalts:
2019: "Öffentliches Interesse wiegt schwer"
2020: "Vom Abonnenten, der nur die Tageszeitung wollte"
2020: "Keine Schleichwerbung für Meefischli"
2021: "Warum Werbung für eine Zeitung so wichtig ist"
2022: "Eine Rüge des Presserates und die Kollision des Journalismus mit PR"
2022: "Wenn ein Leser die halbe Anzeigenseite vor dem Titel kritisiert"
2023: "Eine Rüge, weil die Verbindung zwischen Verlag und Kreuzfahrt-Veranstalter nicht offengelegt wurde"