
Selten werde ich kritisch darauf angesprochen, dass der gedruckten Tageszeitung Prospekte oder da und dort Anzeigenblätter beiliegen. Eine Tatsache, die digitalen Nutzern der Angebote von Medienhäusern wie eine Botschaft aus der Vergangenheit erscheinen mag. Aber diese Beilagen aus Papier haben nach wie vor ihre Bedeutung. Die Beschwerde eines Lesers hat mich zu den folgenden Zeilen veranlasst.
Wie Gerichte geurteilt haben
Der Abonnent, der sich über die „zusätzliche Papiermenge“ aus Prospekten und Anzeigenblättern beschwert hat, erhielt ein Schreiben aus dem Verlag, das die rechtliche Zulässigkeit der Beilagen erklärt. Ich zitiere daraus: „Der Einwurf von Tageszeitungen oder Anzeigenblättern ist auch zu Werbezwecken zulässig, sofern sich nur der allgemeine Hinweis 'Bitte keine Werbung‘ auf dem Briefkasten befindet, denn wegen ihres redaktionellen Teils fallen Zeitungen und Anzeigenblätter nicht unter diesen Begriff. Wenn der Inhaber diese Publikationen ebenfalls nicht erhalten will, muss er das deutlich zum Ausdruck bringen („Keine Anzeigenblätter“). <…> Dies halten mehrere Gerichtsurteile fest. Der BGH (Bundesgerichtshof) hat dabei herausgestellt, dass dies auch gilt, wenn in das Anzeigenblatt lose Prospekte eingelegt sind, und dass kein Anspruch besteht, die Prospekte zu entfernen.“
Siehe auch: (OLG Karlsruhe GRUR 1991, 940; OLG Stuttgart AfP 1994, 226; OLG Hamm 14.07.2011, Az. I-4 U 42/11) und BGH vom 16.05.2012, Az. I ZR 158/11
Wichtig dabei: Die Hinweise „Keine Werbung“ oder „Keine Anzeigenblätter“ gelten ausdrücklich nicht für Prospekte, Verlagsbeilagen, Magazine oder auch Anzeigenblätter in der Tageszeitung. Ein Anspruch, sie zu entfernen, besteht ebenfalls nicht.
Der Abonnent mochte diese unerwünschten Beilagen trotzdem so nicht hinnehmen und verweist nun mich in meiner Rolle als Leseranwalt darauf, dass er "nur die Zustellung der Zeitung" in Auftrag gegeben hat, kein Anzeigenblatt, keine Werbeprospekte. Die möchte er nicht und fordert, das ernsthaft zu diskutieren.
Das berührt mich auch persönlich
Ich kann den Leser durchaus verstehen. Und ziehe mich nicht darauf zurück, dass dieses Problem nicht in meine journalistische Zuständigkeit fällt. Berührt es mich doch auch als Leseranwalt, der im Ruhestand diese Aufgabe noch wahrnimmt, weiterhin persönlich. Geht es doch um mehr als die zitierte Rechtsgrundlage für die Verteilung. Es geht auch um die nicht mehr sehr stabile Werbefinanzierung der Tageszeitung und auch ihres Journalismus. Das gilt noch, obwohl es in Zeiten fortwährender digitaler Transformation der Zeitungsunternehmen gelegentlich erscheint, als wären Prospekte oder Anzeigenblätter aus Papier Produkte von gestern. Dem ist aber nicht so.
Trotz bester Ansätze und großer Hoffnungen fehlen bekanntlich sichere, in die Zukunft reichende digitale Geschäftsmodelle, die alleine auch den unabhängigen Journalismus tragen. Und um den geht es. Obwohl die Zeitungsauflagen sinken, ist es nicht erstaunlich, dass sie zumindest 71 Prozent der aktuellen Print-Abonnenten vermissen würden, gäbe es sie nicht mehr (siehe E-Paper-Studie, bdzv.de). Erfreulich, dass sie - vielleicht deshalb - Werbekunden ebenfalls nicht ganz aus den Augen verlieren.
Meine Empfehlung
Herkömmliche Werbewege können folglich nicht abgeschrieben werden. Sie tragen – längst nicht mehr in dem Umfang wie vor zwei Jahrzehnten –, aber dennoch unverzichtbar auch zur Finanzierung der Tageszeitung bei. So bitte ich um Nachsicht für meine nun ebenfalls werbliche Ansage: Wer die Zeitung einigermaßen bezahlbar erhalten möchte, dem empfehle ich, zusätzliche Werbung hinzunehmen. Auch um der Leser*innen willen, von denen man weiß, dass sie diese Werbung nutzen.
Erfreut habe ich übrigens zur Kenntnis genommen: Mit jenem Abonnenten, der mich zu diesen Zeilen veranlasst hat, hat man sich geeinigt.
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute.
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zur Werbung in der Zeitung:
2018: "Aufgeklebte Werbung einer Partei"
2015: "Die Rechnung eines Lesers geht leider nicht auf"
2009: "Der Preis einer Tageszeitung errechnet sich nicht aus ihrem Gewicht"