Sprache bestimmt Denken und Handeln mit. Deshalb sollten Journalisten wohlüberlegt mit Worten und Sätzen, Texten und Schlagzeilen umgehen. Ich erinnere an den Begriff „Döner-Morde“, der ein falsches Licht auf die Taten warf. Kürzlich diskutierte die Redaktion das Schlagwort „Kinderporno-Prozess“.
Leser erkennt Täterperspektive
Der Begriff "Kinderporno-Prozess" wurde meist in Überschriften eingesetzt, um Berichte über das Verfahren gegen jenen Würzburger Logopäden zu kennzeichnen, der ihm anvertraute Kinder schwer missbraucht hat. Nicht nur Leser B. H., hat dazu mitgeteilt, dass ihn dieser Begriff in Überschriften störe. Seine Begründung: „'Kinderporno‘ wird dem Gegenstand der Berichterstattung nicht gerecht. Er nimmt alleine die Täterperspektive ein. Aus Opfersicht war das kein 'Porno‘, sondern Missbrauch.“ Dieser Begründung habe ich mich angeschlossen. Aber nicht alle in der Redaktion haben das getan.
Es folgte eine Diskussion. Dabei wurden alternative Begriffe beurteilt. Nur von „Missbrauch“ zu schreiben, so hieß es, verharmlose die Taten (unter anderem mehrfache Vergewaltigung von Kindern). Das spare die Kinder aus und der Fall könnte zudem auf die katholische Kirche bezogen werden. Und die Variante "Logopäden-Prozess" nehme zwar die Täter-Perspektive ein, bringe aber einen Berufsstand in Misskredit.
Bezeichnung eines Straftatbestands
"Kinderporno“ stehe nicht explizit für die Täter-Perspektive, wurde betont. Da schwinge das Leid der ganz speziellen Opfer (Kinder) sehr wohl mit. Es bezeichne etwas Verbotenes, einen Straftatbestand, um den es in dem Prozess gehe. Das sei negativ genug. „Kinderporno-Prozess“ sage folglich klar, was ist. Man stehle sich vor lauter Bedenken nicht mit irgendwelchen schwammigen Begriffen aus der Verantwortung. Kinderpornos würden schließlich im Zentrum des Täter-Handelns stehen. Der habe die wehrlosen Kinder auf die ekelhafteste Art missbraucht, um seine Neigung mit immer härteren Bildern zu befriedigen.
Die Entscheidung
Die Chefredaktion aber fand den Hinweis des Lesers B. H. bedenkenswert genug. In ihrer Verantwortung ließ sie "Kinderporno-Prozess" bei den bereits erschienenen Texten online durch "Missbrauchsprozess" ersetzen. Die Änderung gilt nun auch für noch folgende Artikel.
Daran mag man erkennen, was es häufiger vorkommt, dass Redakteure nicht einer Meinung sind. Am Ende muss aber eine Entscheidung fallen.
In den Berichten muss der Straftatbestand der „Kinderpornografie“ natürlich genannt werden. Aber als einordnendes Schlagwort soll er in den Berichten dieser Mediengruppe über diesen Prozess nicht mehr gebraucht werden. Opfer, besonders Kinder, sind eben immer zu schützen.
Hier zum Missbrauchsprozess: "Nun reden die Eltern der Opfer"
Frühere Leseranwalt-Kolumnen zur Sprache:
2008: "Rotzfreche Kinder verschlagen Lesern die Sprache"
2010: "In der Sprache ihrer Berichterstattung sind Journalisten nicht an Begriffe der Juristen gebunden"
2010: "Eine brutale Rambo-Sprache muss nicht sein"
2013: "Nach Gewalttaten muss der Schutz von Opfern schon in der Sprache der Überschrift beginnen"
2014: "Was ein Verhältniswort vor dem Urteil für Leser und Angeklagte bedeutet"
2015: "Nachrichtensprache belastet Menschen, die vor Elend, Krieg und Terror geflohen sind"
2016: "Vom Bewusstsein für eine korrekte Überschrift im Stich gelassen"
Anton Sahlender, Leseranwalt. Siehe auch: www.vdmo.de