Leserfragen sind oft ein willkommener Anstoß, sich auch mal mit einzelnen Wörtern und deren Bedeutung auseinanderzusetzen. Das gilt auch für ein einfaches Verhältniswort, über das man gerne hinwegliest. Einen Leser beschäftigt es in der folgenden kleinen Überschrift auf der Titelseite vom Dienstag, 14. Oktober: „Bald Urteil gegen den Autobahnschützen“. Und er fragt: Müsste es nicht richtig heißen, „über den Autobahnschützen“? Er ist unsicher, weil auch im Volksmund meist „Urteil gegen“ gesagt wird.
Kurzerhand habe ich die Frage auch im Internet-Netzwerk Facebook gestellt. Es gab Antworten, die zeigen, dass des Lesers Frage – gerade an Journalisten – berechtigt ist. Noch eine weitere Präposition (Verhältniswort) kam dort ins Spiel: „zum Autobahnschützen“. Das klingt allerdings amtlich, so als wäre es ein „Urteil zum Thema Autobahnschützen“ und nicht über einen Angeklagten.
Mit zwei anderen Antworten aus dem Internet kann ich mich anfreunden: „Schreibt man ,gegen‘, hat man schon Position bezogen“, lautet die erste. Das stimmt aus meiner Sicht. Denn das wäre ja auch der Fall, würde man „für den Autobahnschützen“ schreiben. Folglich passt dazu die zweite Meinung: „Zuerst gilt die Unschuldsvermutung.“ Deshalb sei „über“ zutreffend.
Ich schließe mich zumindest grundsätzlich dieser Ansicht an. „Urteil über“ bietet vor der rechtskräftigen Verurteilung das zutreffendste der angebotenen Verhältniswörter, weil es neutral ist.
Unerwähnt soll auch die formale Erklärung eines Juristen nicht bleiben. Er schreibt in Facebook: „Ein Urteil ergeht in diesem Zusammenhang erst einmal ,in einem Verfahren‘ und schließt damit die jeweilige Instanz ab. Ob – wie hier in einem Strafverfahren – das Urteil zugunsten oder zulasten des Angeklagten – für oder gegen – ausgeht, ist eine inhaltliche Frage...“ Das mag stimmen, aber Journalisten werden sich kaum zum umständlichen „Bald ergeht das Urteil im Verfahren …“ durchringen.
Für die vom Leser angesprochene Überschrift vom 14.10. halte ich jedenfalls fest, hier ist „gegen den Autobahnschützen“ richtig. Der Angeklagte war nämlich zu diesem Zeitpunkt des Verfahrens bereits geständig. Es wird also mit Sicherheit „gegen“ ihn entschieden werden. Die Frage ist nur, fällt das Strafmaß mild oder hart aus? Nur mal angenommen, es gäbe einen Freispruch, dann könnte durchaus in der Überschrift stehen, „Urteil für den Autobahnschützen“.
Zur Information – speziell auch für Juristen: Das Urteil in diesem Strafverfahren soll am Donnerstag, 30. Oktober 2014, ergehen.
Danke für die Antwort auf meine Anfrage in der MP mit einer eigenen Kolumne und den Hinweis mit der Extra-Mail! Ihre Beiträge dort lese ich immer wieder gerne und mag daran das “Augenzwinkern” zwischen den Zeilen.
Zu Ihrer Einschätzung jetzt, das Urteil ergehe am 30.10. auf jeden Fall gegen den Angeklagten, weil er geständig sei, möchte ich bemerken: Gerade weil er geständig ist, stellt er sich sozusagen “unter” die Würdigung seiner Taten durch den Richter – wohl in der Hoffnung, ein möglichst gerechtes Urteil zu bekommen! ist Der Richter will ja darin für den Täter, zwischen Anklage und Verteidigung, Be- und Entlastendes seiner Tat ein beziehen: Deshalb halte ich nach wie vor für die Berichterstattung über das Urteil es besser, “über” zu verwenden..."
Ende. Soweit der Leser in einer Email an mich...
Anton Sahlender, Leseranwalt
Ich hoffe, dass diese Überlegungen für Sie nicht zu spitzfindig sind, verbleibe ich mit
freundlichen Grüßen!