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Der Leseranwalt: Rotzfreche Kinder verschlagen Lesern die Sprache
Redaktion
 |  aktualisiert: 05.05.2008 11:47 Uhr

Deutschland soll kinderfreundlicher werden. Dieses Ziel hat eine Aktion, die auch diese Zeitung unterstützt. „Du bist Deutschland“, lautet ihr Slogan, der in Anzeigen gelegentlich zu lesen ist. Aber deren gut gemeinte Inhalte rufen nun auch Kritiker auf den Plan.

So schreibt eine Leserin, dass es ihr die Sprache verschlägt. Weil da, ganzseitig präsentiert, ein spitzbübisch blickender Lausbub Omas Lieblingsvase runtergeschmissen hat, dann noch das hässliche Bleikristall im Gartenteich versenkt und den Orientteppich ruiniert hat.

Vergleichbar geht es bei der Kampagne stets zu. Ein anderes Mal heißt es, „Du hast Pickel im Gesicht. Und keinen Bock auf gar nichts. Deine Fehlstunden nähern sich mittlerweile dem dreistelligen Bereich. Deine Haare werden immer länger und deine Hose hängt immer tiefer. Aber irgendwie finden die Mädchen in deiner Klasse dich voll süß. Das genießt du richtig. – So wie Papa in deinem Alter.“ Ein Leser sagt mir am Telefon, dass er das in Zeiten, in denen Schüler zu Amokläufern geworden seien, als unerträglich empfinde.

Vorwiegend ältere Leser haben ein ungutes Gefühl: Wenn Erziehung in weiten Kreisen nicht mehr stattfinde, viele Kinder hilflos nach Werten suchen, Erzieherinnen in Kindergärten und Tagesstätten mit aggressiven, überaktiven Kindern konfrontiert werden und Lehrer in großen Klassen erziehen sollen, in solchen Zeiten werde dem geneigten Leser vermittelt: „Sei nicht so konservativ, du weißt wohl nicht, dass Skateboard fahren im Wohnzimmer lustig ist!“

Ja, ich kann diese Kritik nachvollziehen. Im ersten Moment haben mich die rotzfrechen Darstellungen auch irritiert. Sie plakatieren nicht nur liebenswerte, sondern meist grobe Untugenden von Kindern und Jugendlichen – verharmlosen sie scheinbar. Ablehnung war absehbar und gewiss kalkuliert. Unmut kann Teil des angestrebten Erfolges von Kampagnen sein. Sie spitzen zu, weil sie Aufmerksamkeit erregen wollen. So auch hier.

In Anzeigen wie diesen ist das erlaubt. Im redaktionellen Teil nicht. Hier müssten wir ausgewogener mit dem Thema umgehen. Aber auch wenn die Redaktion jene Anzeigen nicht verantwortet, bemühe ich mich um eine Erklärung. Mir gefallen sie inzwischen, die Motive.

„Kinder an die Macht!“, heißt es. Ein Slogan, der nicht wahr werden kann. Durchaus realistische Untugenden setzen auf einen Erkennungs- oder Aha-Effekt: „Du denkst immer nur an dich. Du hörst deine Musik, so laut du willst. Du verbringst lieber zehn Stunden mit deinen Freunden, als nur eine Sekunde mit uns. Du denkst, du bist der Größte, der Schnellste, der Schlauste, der Beste. – Wir auch!“

Um Nachdenken geht es – über unseren Umgang mit Heranwachsenden. Das funktioniert bei denen, die sich – wie auch immer – mit der Kampagne auseinandersetzen. Nicht bei den Gleichgültigen.

„Deutschland aus Kinderaugen!“ fordert die Aktion und kann uns stets nur durch den Türspalt blicken lassen. So empfehle ich, öfter selbst mit den Augen von Kindern durch den Alltag zu gehen. Da wächst Verständnis. Kinder mögen, bedeutet auch, ihre Schwächen verstehen. Deshalb: Bleiben Sie kritisch, aber seien Sie kinderfreundlich!

 
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