Zwei Leserbriefen entnahm ich heftige Vorwürfe an Fraktionssprecher im Schweinfurter Stadtrat, sie hätten an die Redaktion aus nichtöffentlicher Sitzung Informationen weiter gegeben. Sie wurden verglichen mit ausplappernden Kindern. Erwartet wurde, dass die Redaktion die Namen preisgibt, damit man erfahre, wem im Stadtrat noch vertraut werden könne. In einer Firma, so hieß es, wäre das Grund zu fristloser Kündigung. Die Leser bezogen sich auf den Beitrag, der in der Zeitungsausgabe von 12. Mai mit dem Titel „Schweinfurter Amtsleiter soll gekündigt werden“ erschienen war. Die Online-Fassung: "Betrugsverdacht gegen Schweinfurter Amtsleiter: Stadt plant Kündigung".
Ein Gegengewicht
Es ist aus meiner Sicht notwendig, diesen heftigen Kritiken einer Leserin und eines Lesers gewichtige Argumente entgegenzusetzen. Gehen wir dazu davon aus, die Informationen wären tatsächlich von Stadträten, wie es schön heißt, an Journalisten „durchgesteckt“ worden. Dann halte ich zunächst fest, dass der gesamte Inhalt des Artikels von öffentlichem Interesse und wohl auch korrekt gewesen ist. Er verletzt keine Rechte. Das alles gilt dann vermutlich gleichermaßen für die zuvor an die Journalisten weitergegebenen Informationen aus der nichtöffentlichen Sitzung. Aber das spielt letztlich keine Rolle: Entscheidend ist, für die gesamte Veröffentlichung stehen deren Autoren und diese Zeitung gerade, nicht deren Informanten.
Berechtigter Anspruch der Öffentlichkeit
Im Artikel vom 12. Mai geht es grundsätzlich um den Vorwurf des Missbrauchs öffentlicher Macht zu privatem Nutzen. Das heißt, indirekt ist das Gemeinwohl betroffen. Daraus ergibt sich ein berechtigter Anspruch der Öffentlichkeit, zu erfahren, wie die verantwortlichen Politiker mit diesem Fall umgehen.
Wichtig ist, dass in diesem Stadium noch keine Vorverurteilung gegeben hat, auch nicht in dem nüchternen Bericht in der Zeitung, der bewusst keinen Namen nennt. Und weil das Verfahren nicht beendet ist, hat der Oberbürgermeister verständlicherweise keine weiter gehende offizielle Stellungnahme gegeben.
Journalisten schützen Informanten
Weder die Zurückhaltung des Oberbürgermeisters, noch die Nichtöffentlichkeit der Sitzung dürfen ein Medium daran hindern, seiner Wächterrolle gegenüber einer öffentlichen Verwaltung gerecht zu werden, zu recherchieren und dabei durchaus auch Vertrauensverhältnisse zu Räten und Amtspersonen zu nutzen. Für die dabei durch ihr Zeugnisverweigerungsrecht geschützten Journalisten ergibt sich daraus die moralische Pflicht, ihrerseits die Anonymität ihrer Informanten (aktuell auch Whistleblower) zu schützen.
Die Abwägung mit der Pressefreiheit
Noch etwas: Die Nichtöffentlichkeit von Sitzungen, die im vorliegenden personalrechtlichen Fall nachvollziehbar war, muss in einer Abwägung hinter dem Grundrecht der Pressefreiheit zurückstehen. Und das gilt gerade auch für die Beschaffung von Nachrichten. Wer mag, darf Stadträte, die Journalisten aus nichtöffentlichen Sitzungen informieren, moralisch ins Abseits stellen. Besser ist es aber, das zu bewerten, was die Leserschaft in der Folge aus dem Medium erfahren hat. Denn die Öffentlichkeit hat Anspruch auf Teilhabe an allen demokratischen Prozessen, auch an unerfreulichen.
Anton Sahlender, Leseranwalt
Siehe auch Vereinigung der Medien-Ombudsleute
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