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MAINFRANKEN
Ohne Ö fehlt der Demokratie was
In nicht wenigen Rathäusern der Region hält sich seit 2011 eine Diskussion um den Grundsatz der Öffentlichkeit von Kommunalpolitik. Der steht dafür, dass Bürgern rechtzeitig Gelegenheit gegeben werden muss, an demokratischen Beratungen und Entscheidungen teilhaben zu können.
Von unserem Redaktionsmitglied Anton Sahlender
 |  aktualisiert: 16.12.2020 12:41 Uhr

 Das haben vor allem ein Rundschreiben der Regierung von Unterfranken vom März 2011 und die Berichterstattung dieser Zeitung im August verdeutlicht. Zu viel wurde in der Vergangenheit in Rathäusern hinter verschlossenen Türen besprochen und manches Mal auch entschieden. Und nun scheint einigen Bürgermeistern noch unklar, wie weit man mit Informationen an die Öffentlichkeit gehen darf.

Erfreuliche Veränderungen werden seit einigen Monaten aber erkennbar: So überlassen Bürgermeister und Landräte an Pressevertreter teilweise sogar automatisch Tagesordnungen von nichtöffentlichen Sitzungen, obwohl sie dazu erst nach deren Anfrage verpflichtet wären. Manche übergeben ihre nichtöffentlichen Themen freilich nur widerwillig.

Fünf Bürgermeister aus dem Sinntal im Landkreis Main-Spessart halten ein solches, von der Presse, so wörtlich, „unter dem Deckmantel eines Rechtsanspruchs vorgebrachte Ansinnen für ein Paradebeispiel von unnötigem, da nichts(aus)sagenden Verwaltungsaufwand.“ Sie zweifeln daran, dass dies zu einer verbesserten demokratischen Teilhabe der Bürger führt. Würden doch die nichtöffentlichen Sitzungsteile den Medienvertretern nicht näher bezeichnet, sondern nur mit pauschalen, wenig aufschlussreichen Begriffen benannt: etwa Personal-, Grundstücks- oder Vertragsangelegenheiten. Gremiumsmitgliedern dagegen erläutert man diese Angelegenheiten detailliert auf der Tagesordnung. Sie erfahren, meist sogar mit Namensnennung, um welche Personalentscheidung es geht, ebenso um welche Grundstücke und Verträge.

Etliche Kommunalparlamente in Bayern geben aber auch nichtöffentliche Tagesordnungen regulär an die Öffentlichkeit, so beispielsweise im Landkreis Main-Spessart die Stadt Marktheidenfeld. Der Deutsche Bundestag verfährt ebenso.

Die Pauschalisierung der Texte für die Medien aus Sicherheitsgründen ist meist übertrieben. Denn auf Nachfrage müssen Journalisten ebenfalls nähere Auskünfte zum jeweiligen nichtöffentlichen Tagesordnungspunkt gegeben werden. Grund. Medien sollen ein hohes Maß an Informationen erhalten, um ihrem Informationsauftrag gerecht werden zu können. Das heißt aber nicht, dass Journalisten alles was sie erfahren, veröffentlichen dürfen. Auch für sie gilt es, Recht und Gesetz im allgemeinen so wie berechtigte Interessen einzelner im besonderen zu beachten. Überschreiten sie diese Grenzen, haben sie das selbst zu verantworten, nicht der Bürgermeister, der ihnen die Auskunft gegeben hat.

Es fällt politisch Verantwortlichen trotzdem nicht leicht damit umzugehen und zu erkennen, dass sie Auskünfte, die sie Journalisten geben, nicht öffentlich machen und dass die letzte Entscheidung über die Verbreitung einer Nachricht, bei den Medien liegen muss. Denn wenn die zuvor ein Amtsleiter oder Bürgermeister an sich ziehen, gleicht das einer Vorzensur. Und die will das Grundgesetz nicht.

Chance zur Recherche

Fortschritte auf dem Weg zu noch mehr Offenheit bringt zunehmendes Verständnis kommunaler Gremien für die Informations- und Kontrollfunktion von Medien. Man gibt ihnen durch allgemein gehaltene Überschriften über nichtöffentliche Beratungspunkte zumindest die Chance, gezielt nachfragen und recherchieren zu können. So kann nichts im Verborgenen bleiben, was in die Öffentlichkeit gehört. Nach Artikel 4, Bayerisches Pressegesetz, sind Bürgermeister und Amtsleiter gegenüber Pressevertretern zur Antwort verpflichtet, wenn nicht wesentliche beamtenrechtliche oder andere gesetzliche Gründe der Verschwiegenheit entgegenstehen. Und die stehen selten entgegen. Eine Entscheidung des Verwaltungsgerichtes hat das 2011 erneut bestätigt, als der Bürgermeister von Gemünden, Georg Ondrasch, einer Auskunftsverpflichtung nicht nachgekommen war (Aktenzeichen W 7 E 11.88). Ebenfalls gerichtlich festgestellt ist längst, dass Nichtöffentlichkeit von Sitzungen nicht automatisch bedeutet, dass die Presse keinen Anspruch auf Auskunft hat. Die Beschlüsse müssen in fast allen Fällen hinterher von den Verantwortlichen öffentlich gemacht werden.

Verschlossene Türen

Einen Grund, warum der Grundsatz der Öffentlichkeit nicht nur auf Verständnis stößt, erhellt ein Zitat aus der abweisenden Zuschrift eines Gemeinderates an die Redaktion: „Es gibt keinen Bedarf, Mauscheleien aufzudecken.“ Weil das so bleiben soll, gilt der Grundsatz der Öffentlichkeit auch für sonst vorbildliche Bürgermeister, Gemeinderäte oder Verwaltungen.

Doch weiterhin berät man da und dort gerne hinter verschlossenen Türen auch Angelegenheiten, die nach Gemeindeordnung nicht dorthin gehören: So die Bürgermeisterin von Arnstein, Linda Plappert-Metz, beim Thema Windkraftanlagen. Sie glaubt, dass Nichtöffentlichkeit gut ist, wenn es ihr lediglich um Information und Gedankenaustausch von Gemeinderäten geht. Das funktioniere dann lockerer. Man finde zu anderen Gedanken. Eine Praxis, an der sie festhalten will.

Das Wohlgefühl von Gemeinderäten unter sich zu sein, ändert nichts am Anspruch der Bürger auf Teilhabe. Der lässt sich nicht beliebig interpretieren. So meint etwa Bürgermeister Paul Kruck, dass Stadträte in Karlstadt nicht zuerst in der Presse lesen sollen, was die Verwaltung vorgeschlagen hat. Sein Respekt vor dem Stadtrat kann aber zur Folge haben, dass Informationen bei Bürgern erst dann ankommen, wenn deren Teilhabe nicht mehr möglich ist. Das ist gerade bei haushaltswirksamen Beschlüssen schlecht. Deren finanzielle Folgen kommen bei allen an. Und auch Medien können dann nur noch nachwirkend ihrer Kontrollfunktion gerecht werden, die ihnen das Bundesverfassungsgericht zugesprochen hat.

Seltene Erklärung

Viele Bürgermeister der Region sagen, dass die Sitzungspraxis in ihren Rathäusern dem Grundsatz der Öffentlichkeit schon immer gerecht geworden ist. Zur Veränderung der bisherigen Praxis im Umgang mit der Öffentlichkeit, hat sich aber der Oberbürgermeister von Kitzingen, Siegfried Müller, entschlossen. Das ist eine Folge der Hinweise aus der Regierung. Diese Erklärung ist selten. Erwähnenswert ist noch, dass es die Hälfte des Gemeinderates in Rieneck (Landkreis Main-Spessart) nicht zugelassen hat, dass über den Standort eines Vereinsheimes nichtöffentlich beraten wurde. Stellungnahmen einiger Bürgermeister sind auch einer Rundfrage zu entnehmen, die unter mainpost.de auf Video online abzurufen ist.

Öffentlichkeit ist für demokratische Entscheidungen wichtig. Deshalb muss die Redaktion weiterhin aufmerksam das Geschehen in Rathäusern und Landratsämtern im Auge behalten. Lokalredaktionen nehmen dazu Hinweise von Bürgern entgegen.

ONLINE-TIPP

Hinweise können auch auf www.mainpost.de/auskunftspflicht gegeben werden. Hier sind auch sämtliche Videointerviews mit den Bürgermeistern zu sehen.

Die Rechtsgrundlage

Bay. Pressegesetz, aus Artikel 4:

(1) 1 Die Presse hat gegenüber Behörden ein Recht auf Auskunft. 2 Sie

kann es nur durch Redakteure oder

andere von ihnen genügend ausgewiesene Mitarbeiter von Zeitungen

oder Zeitschriften ausüben.

(2) .... 2 Die Auskunft darf nur verweigert werden, soweit aufgrund beamtenrechtlicher oder sonstiger gesetzlicher Vorschriften eine Verschwiegenheitspflicht besteht.

Gemeindeordnung, aus Artikel 52:

(2) Die Sitzungen sind öffentlich, soweit nicht Rücksichten auf das Wohl

der Allgemeinheit oder auf berechtigte Ansprüche einzelner entgegenstehen. Über den Ausschluss der Öffentlichkeit wird in nicht öffentlicher

Sitzung beraten und entschieden.

(3) Die in nicht öffentlicher Sitzung

gefassten Beschlüsse sind der Öffentlichkeit bekannt zu geben, sobald die

Gründe für die Geheimhaltung weggefallen sind

 
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