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Würzburg
Samstagsbrief: Sie verdienen selbst den Preis, Herr Schmelter
Am Sonntag wird zum 25. Mal der Würzburger Friedenspreis verliehen. Ob das die Initiatoren einst schon ahnten? Warum die Auszeichnung 2019 noch immer nicht überflüssig ist.
Friedensaktivist und Mitbegründer des Würzburger Friedenspreises: Dr. Thomas Schmelter.
Foto: Anand Anders | Friedensaktivist und Mitbegründer des Würzburger Friedenspreises: Dr. Thomas Schmelter.
Alice Natter
 |  aktualisiert: 27.04.2023 08:32 Uhr

Sehr geehrter Herr Dr. Schmelter,

an diesem Sonntag werden Sie wieder im Mainfranken Theater stehen und „bei Sekt und Selters“, so sagt es die Einladung, den Würzburger Friedenspreis verleihen. Wieder heißt: zum 25. Mal! Und so selbstverständlich ist diese Veranstaltung geworden, so fest verankert der Termin im Jahreskalender, fast schon so Tradition, dass man sich nach 25 Jahren erinnern muss: Was war eigentlich der Anlass für diesen Preis?

Sie, Herr Dr. Schmelter, können es erzählen, Sie waren damals dabei. Nie wieder! Nie wieder, das war der Aufschrei, das Leitmotiv vor 25 Jahren. Die Initiatoren des Friedenspreises hatten die Zerstörung Würzburgs am 16. März 1945 vor Augen, den Terror und das Leid des Weltkriegs. Nie wieder tönte es 1995, im Jahr des Erinnerns, aus vieler Munde. Viele Gedenkfeiern sollte es geben. Aber in Würzburg fragten ein paar Engagierte aus der friedensbewegten Ecke: Schön und gut, alles richtig – aber wie weiter? Was ist die Konsequenz?

Was Sie und Ihre Mitstreiter von Ökopax, dem „Büro für Friedens- und Umweltfragen“, damals sahen: Dass die Außenpolitik der Bundesrepublik zunehmend militarisiert wurde, dass Nationalismus und Krieg in Europa lange nicht überwunden waren, dass Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zunahmen. Dass die Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen neue Ungerechtigkeit schuf – und selbst den Frieden bedrohte.  

Sie wollten dagegen halten.Helden des Alltags suchen – und ermutigen. Sie wollten Menschen würdigen, die sich für Verständigung und Gewaltfreiheit, für Frieden und Bewahrung der Natur einsetzen.   

Was für dieses "Nie wieder!" heute nötig ist, fragten Sie 50 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Und seitdem stellen Sie diese Frage jedes Jahr neu. Was tun Gruppen, Organisationen, Einzelne in unserer Region für ein friedliches, friedvolles Zusammenleben? Wo engagieren sich Bürger - mühsam, ausdauernd, vielleicht abseits der Schlagzeilen - für Menschenrechte, Menschenwürde, Völkerverständigung?

"Es geht um die Übersetzung vom Großen ins Kleine, Alltägliche", so haben Sie es einmal formuliert. Haben Sie sich bei der ersten Preisverleihung damals, im Stadttheater, eigentlich vorgestellt, dass es diese Auszeichnung noch 25 Jahre später geben würde? Oder hofften Sie, sie würde im Jahr 2019 längst überflüssig sein?

2019: Fridays for Future, Diskussion über unseren Lebensstil, über verfehlte Klimaziele. Rassistisch denkende Abgeordnete und Klimaleugner im Bundestag. Chaos in der EU, neue Nationalismen, desaströse europäische Politik. Und ertrinkende Flüchtlinge im Mittelmeer, inhaftierte Retter. Lieber Herr Dr. Schmelter, halten Sie es für ein gutes Zeichen, dass die Verleihung des Würzburger Friedenspreises selbstverständlich geworden ist?

Mehr als zwei Dutzend Gruppen, Vereine, etliche Einzelpersonen zählen heute zum Komitee, denn mitmachen kann jeder. Was Ihnen anzurechnen ist: Dass es trotz der politischen Beteiligung ein Preis von Bürgern für Bürger geblieben ist. Es gibt keine Jury, die den Preisträger im Hinterzimmer auskungelt. Abgestimmt wird im großen Kollektiv, nach mehr oder weniger langer Diskussion.

Ein „Würzburger“ Friedenspreis blieb die Auszeichnung nicht lange. Die Liste der ersten 24 Geehrten ist so bunt wie der Stoff, aus dem der Friede gemacht ist. Sie beginnt mit dem - damals vorläufigen - Ausländerbeirat der Stadt Würzburg, es folgen unter anderem der Asylhelferkreis Lauda-Königshofen, das Bürgerforum im oberfränkischen Gräfenberg, das der rechtsradikalen Szene trotzt, oder Erwin Koch aus den Haßbergen mit seiner Tschernobyl-Hilfe.

Manchmal überraschten Sie mit der Wahl auch. Wie 2010, als Sie das Engagement der "Frauen für die Vielfalt" aus dem Landkreis Kitzingen ehrten. Eine Gruppe, die aus dem Widerstand gegen Gentechnik auf Kitzinger Feldern entstand und sich "konstruktiv, kreativ und gewaltfrei" für Pflanzenvielfalt und natürlichen Lebensraum einsetzt. Und damit für Ernährungssicherheit. Auch das, Sie haben es deutlich gemacht, ist „präventive Friedenssicherung".

Man kann die Liste der Preisträger als Spiegel unserer Gesellschaft und ihrer Missstände lesen. Als Dokument der ungelösten Probleme. Diskriminierung, Rassismus, Antisemitismus, Umweltzerstörung, Einschränkung der Pressefreiheit. Dass an diesem Sonntag Menschen ausgezeichnet werden, die seit vier Jahren Geflüchtete durch Hilfsfahrten in den Balkan und ans Mittelmeer unterstützen – es spricht für sich. Und zeigt einmal mehr, wo die Not am größten ist.

Warum es den Würzburger Friedenspreisnoch immer gibt? Die Frage erübrigt sich. Am Sonntag wollen Sie bewusst nur den 25. Preisträger auszeichnen, die Mobile Flüchtlingshilfe e.V.. Wollen nicht das Jubiläum der eigenen Initiative feiern.

Aber, lieber Herr Schmelter, kann man eigentlich die Initiative Würzburger Friedenspreis für den Friedenspreis vorschlagen? Sie und Ihre Mitstreiter hätten einen Preis verdient.

Mit herzlichen Grüßen, Alice Natter

 
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