Ihre erste Reaktion: „Bloß nicht mit mir!“ Als Pat Christ im April gefragt wurde, ob man sie für den Würzburger Friedenspreis vorschlagen dürfe, dachte sie nur eines: „Tut mir das nicht an“. Im Mittelpunkt zu stehen, eine Rede halten zu müssen – unvorstellbar für die 47-jährige Journalistin. Freilich, der Zweck der Nominierung leuchtete ihr ein. Das Friedenspreiskomitee wollte auf das Recht auf freie Meinungsäußerung und auf unzensierte Pressearbeit aufmerksam machen. Den Wert eines Journalismus, der durch Recherche hinter die Kulissen blickt und informiert – anerkennend oder kritisch, aber frei. Der erklärt und Missstände aufzeigt, um des sozialen Friedens willen.
Also stimmte sie zu. „Ich war absolut sicher, dass ich nicht gewählt würde.“ Pat Christ war selbst oft, mit Laptop auf dem Schoß, bei den Verleihungen dabei, hat – auch für diese Redaktion – über viele Preisträger der vergangenen Jahre geschrieben. Über den Schweinfurter Pazifisten Willi Erl vor acht Jahren zum Beispiel. 2013 über Rita Prigmore, die Würzburger Sinteza, die den Holocaust überlebt hatte und gegen Rassismus und Zigeunerfeindlichkeit kämpft. Oder 2014 über Burkhard Hose, den Studentenpfarrer und unermüdlichen Streiter für Flüchtlinge, Asylsuchende und Minderheiten.
Intensive Gespräche waren das immer, sagt Pat Christ, „mit interessanten und berührenden Menschen“. An diesem Sonntag aber wird sie bei der Verleihung des Würzburger Friedenspreises nicht die Beobachterin und Vermittlerin sein. Sie ist die Preisträgerin 2017.
„Fühle mich als Stellvertreterin“
Sie war geschockt, als im Juni der Anruf kam. Und jetzt graut ihr seit Wochen vor der Rede, die längst geschrieben und ausgefeilt ist, aber die sie ungern hält. Öffentlich, vor vielen Leuten. Aber sie hat was zu sagen. Über das Recht auf freie Presse, über das Recht auf ungehinderte Recherche. „Ich glaube, dass freie Medien eine große Rolle beim Erhalt von Frieden spielen“, sagt die Journalistin. Und: „Ich fühle mich als Stellvertreterin. Nur deshalb habe ich Ja gesagt.“
Sie schreibt „seit ich denken kann“. Mit 14 Jahren die ersten Artikel für die Lokalzeitung. „Kaninchenzüchterverein, klar“, sagt die gebürtige Aschaffenburgerin lachend. „Ich wusste immer, dass ich das mache.“ In Würzburg hat sie Volkskunde und Deutsch studiert, den Magister in Kulturgeschichte gemacht. Zu einer Zeit, als studieren noch mit Freiräumen und Freigeistigkeit zu tun hatte. Und nicht damit, von Prüfung zu Prüfung zu hecheln und „Credit-Points“ hinterherzujagen. Der Bologna-Prozess – ein Reizthema für die Freiberuflerin, deren Schwerpunkte Soziales und Kultur, Bildung und Wissenschaft sind. Der Unireform steht sie „sehr, sehr kritisch“ gegenüber. Im regulierten, verschulten System von heute zu studieren – „ich könnte mir das nicht vorstellen“.
Kreativität braucht Freiheit. Recherche und wahrhaftige Berichterstattung brauchen Freiheit. Und Pat Christ braucht sie auch. Festanstellung? „Undenkbar!“ Sie will nicht gefesselt an Redaktionsabläufe sein, nicht eingeschränkt von Arbeitszeiten. Die beste Zeit zum Schreiben ist für sie früh morgens. Und zwar wirklich früh: „Vier bis acht Uhr ist ideal, danach kommen doch lauter Ablenkungen.“
„Haben eine Wächterfunktion“
Und wenn sie ein Thema anpackt, schwierige Sachverhalte zu Papier bringt, zählt sie keine Stunden. „Wir haben eine Kritik-, Korrektiv- und Wächterfunktion“, sagt Pat Christ. Und dann erzählt sie von „extrem leidigen Momenten“, die massiv zunehmen bei der Recherche, gerade im lokalen Bereich. Von der Anspruchshaltung der Interviewpartner, der öffentlichen Stellen: Es vergehe keine Woche, in der sie nicht die Bitte, die Forderung hört, dass ein Artikel vor dem Erscheinen noch mal „zur Durchsicht“ vorgelegt wird. „Gegenlesen“ – ein Unding, findet Pat Christ. Journalistisch zu arbeiten, bedeute doch, Aussagen auf Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Texte absegnen zu lassen: „Das ist kostenlose PR“.
Was freie, ungelenkte Presse bedeutet – dieses Bewusstsein schwinde in der Öffentlichkeit, schwinde vor allem bei Jüngeren massiv, sagt Pat Christ. Und mag gar keinen Vergleich ziehen zu anderen Ländern, wo Journalisten gegängelt, Berichterstatter unterdrückt, Medien zensiert werden.
Ihr Thema ist die Presse hier, die Arbeit in Mainfranken. Ihr geht es um Transparenz, sie wehrt sich gegen gelenkte Medienarbeit von Interessengruppen, Verbänden, Unternehmen. In einer Schule in Main-Spessart habe sie inzwischen quasi Hausverbot, man verweigere ihr die Recherche dort auch zu „harmlosen, schönen“ Themen. Auf Anfragen habe sie nur die Antwort erhalten: „Dazu geben wir in Kürze eine Pressemitteilung raus, die dürfen sie dann abdrucken.“
Pat Christ ist da fassungslos. Das Friedenspreiskomitee würdigt nun „das Engagement, mit dem sich Pat Christ durch die Mittel des Schreibens für den sozialen Frieden in der Region einsetzt“. Weil sie berichtend „die Aufmerksamkeit auf die Menschen mit ihren Interessen und Nöten“ lenke. Und auf das „direkte gesellschaftliche oder politische Umfeld, das die Menschen manchmal mehr behindert als fördert.“
Ihre Themen findet Pat Christ auf der Straße. Im Wortsinne. „Als Jugendliche in Aschaffenburg musste ich schon Obdachlose ansprechen. Das hat früh begonnen, dass mich das Abseitige, das am Rand interessiert hat.“ Menschen, die viel hinter sich haben, die viel durchmachen mussten. Ihnen hört Pat Christ zu, ihre Geschichten recherchiert sie, holt sie ans Licht. Jedes Gespräch mit einem Suchtkranken ist für sie interessanter als ein Interview mit einem Politiker, und sei der noch so namhaft und bedeutend. „Hülsig, langweilig“, sagt sie nur. Sie will Menschen, die authentisch sind, begegnen. Niemandem, der oberflächlich und glatt in kalkulierten Phrasen spricht. Eine Frage liebt die Journalistin besonders: „Können Sie mir vorher einen Fragenkatalog schicken?“ Sie schüttelt nur den Kopf: „Vollkommen sinnlos, das habe ich noch nie gemacht.“ Dann verzichtet sie lieber auf einen Gesprächspartner.
Ihren Mann, Jan Heino, hat sie übrigens auch „auf der Straße“ kennengelernt. 1996 war das. Der Elektroniker aus Finnland war damals in Europa als Straßenmusiker unterwegs. Würzburg war, aus schierem Zufall, seine erste Station in Deutschland. Und Pat Christ kam vorbei, hörte ihn, setzte sich hin. Seit zehn Jahren ist sie mit Jan Heino, der heute als Übersetzer arbeitet, verheiratet.
Blick hinter die Kulissen
Warum sind die Menschen so, wie sie sind? Warum ist die Welt so, wie sie ist? Wen immer sie trifft, wo immer sie unterwegs ist, geht es der Journalistin um diese Fragen. Armut, Flucht, Ausgrenzung sind zentrale Themen für sie. Sie möchte wissen, wie es „hinter den Kulissen unserer wirtschaftlich erfolgreichen Gesellschaft“ aussieht. Sie bleibt nicht am Schreibtisch sitzen. Sondern geht raus. Zum Tafelladen, in die Bahnhofsmission, die Wärmestube, die Suchtberatung, Arbeitslosentreff, Behinderteneinrichtungen, ins Hospiz. In „Wohnungen“ oder Unterkünfte, die jeder Beschreibung spotten.
Gerade aus der Wohnungsnot resultierten enorme soziale Spannungen, sagt Pat Christ. In ihren Artikeln zeigt sie, wie unfriedlich es hinter den Kulissen unserer vordergründig friedlichen Gesellschaft zugehen kann. Im Friedenspreiskomitee waren sich die Juroren deshalb einig: „Würzburg und Unterfranken haben mit Pat Christ eine starke Stimme für den sozialen Frieden.“
Preisverleihung
Die öffentliche Verleihung des 23. Würzburger Friedenspreis ist am Sonntag, 23. Juli, um 11 Uhr im Würzburger Mainfranken Theater. Dem Friedenspreiskomitee gehören über 20 Gruppen und Parteien an. Dotiert ist der Preis mit 1500 Euro. Infos: www.wuerzburger-friedenspreis.de