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WÜRZBURG/GRÄFENBERG
Zivilcourage zog Strafbefehl nach sich
Seit Jahren wehrt sich ein Dorf am Rande der Fränkischen Schweiz gegen Aufmärsche der Neonazis. Das Engagement der Bürger von Gräfenberg wird bundesweit beachtet. Im Juli 2008 erhält das „Bürgerforum Gräfenberg“ den Würzburger Friedenspreis.
Eigentlich wollten die Gräfenberger am 25. Juli 2008 den Würzburger Friedenspreis feiern. Stattdessen setzten sie sich Neonazis in den Weg.
Foto: FOTO Nikolaus Fischer | Eigentlich wollten die Gräfenberger am 25. Juli 2008 den Würzburger Friedenspreis feiern. Stattdessen setzten sie sich Neonazis in den Weg.
Von unserem Redaktionsmitglied Ines Renninger
 |  aktualisiert: 01.06.2009 18:18 Uhr

Michael Helmbrecht soll 900 Euro zahlen, 30 Tagessätze ? 30 Euro, legt der Strafbefehl fest. Immerhin ist die Geldstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Helmbrecht hat Einspruch eingelegt. Weil er nicht einsieht, dass Unrecht sein soll, dass er sich den Neonazis in den Weg setzte. Denn ein Sitzstreik vom 25. Juli 2008 ist Grund für den Strafbefehl. Der NPD-Aufzug habe deshalb „mit einer Verspätung von 1:23 Minuten“ (eine Stunde und 23 Minuten) starten und „über das steil ansteigende enge Friedhofsgässchen umgeleitet“ werden müssen, heißt es im Strafbefehl.

„Strafverfolgung mit Leidenschaft“

„Mit dieser leidenschaftlichen Strafverfolgung habe ich nicht gerechnet“, sagt Helmbrecht. Er hat überlegt, aufzugeben. Zwei Nächte lang. Er tut es nicht.

Einmal im Monat missbrauchen Rechtsextremisten das 4100-Einwohner-Städtchen für ihre Aufmärsche. „38 Mal in zweieinhalb Jahren“, stöhnt Bürgermeister Werner Wolf. Vor drei Jahren gründeten die Bürger des Ortes deshalb ein Bürgerforum, das mit friedlichen Aktionen öffentlich gegen Neonazis auftritt. 2008 entschied sich das Würzburger Friedenspreis-Komitee – rund 20 Gruppen aus der Friedens-, Ökologie-, Eine-Welt- und Menschenrechtsarbeit – für die Gräfenberger als Preisträger. Der mit 1500 Euro dotierte Preis wurde am 13. Juli 2008 im Mainfrankentheater übergeben.

Am 25. Juli 2008 sollte die Preisverleihung in Gräfenberg gefeiert werden, mit einem Friedensfest und einem Friedensspaziergang vom Bahnhof zum Marktplatz. Doch Rechtsradikale wollten die Freude stören.

Sie meldeten ebenfalls eine Demonstration an. Auch die wurde genehmigt. Die Folge: Keine 20 Meter vom Fest entfernt sollten die rechten Marschierer entlanggeführt werden. „Das ist ein Skandal, da fehlt jegliche demokratische Sensibilität“, beschwert sich Forumssprecher Helmbrecht. Er sagt auch: „Es hätte Alternativen gegeben.“ Den Aufmarsch der Rechtsradikalen verschieben beispielsweise oder auf einem anderen Weg entlangführen.

Ratlos und wütend sind die Bürger an jenem Tag im Juli gewesen, als sie vom Bahnhof zum Marktplatz spazierten, erzählt Helmbrecht. 80 Bürger setzten sich auf die Straße, darunter Rentner, Schüler, die Stadtpfarrerin. Eine spontane Entscheidung, wie er versichert.

Insgesamt wurde in 44 Fällen wegen des Sitzstreiks ermittelt, teilt Johannes Ebert, Pressesprecher am Oberlandesgericht Bamberg, mit. In 36 Fällen sind die Ermittlungen wegen geringer Schuld eingestellt worden, in acht Fällen nicht. Helmbrecht ist einer der acht. Zum Strafbefehl, erläutert Ebert weiter, sei es nur gekommen, wenn bereits eine einschlägige Vorahndung vorgelegen habe, schon einmal eine Geldauflage verlangt wurde oder Widerstandshandlungen vorkamen.

Helmbrecht selbst vermutet, dass die Staatsanwaltschaft auf einen Fall von vor zwei Jahren anspielt. Auch damals war er als Versammlungsleiter an einem Sitzstreik beteiligt gewesen und bezichtigt worden, einen Aufmarsch von Rechtsextremisten gesprengt zu haben. Damals hatte er eine Geldbuße von 300 Euro gezahlt.

Neonazis belagerten sein Haus

In den vergangenen Jahren hat Helmbrecht einiges über sich ergehen lassen müssen. Neonazis druckten sein Konterfei auf einen Steckbrief. Ein anderes Mal belagerten sie mit Fackeln bewaffnet sein Haus, drei Tage lang. Währenddessen stand er unter Polizeischutz.

Diesmal sei alles anders, sagt Helmbrecht. Diesmal blicke er sorgenvoll auf Polizei und Justiz. „Es ist die Leidenschaft, die Akribie, in der Verfolgung von zivilgesellschaftlich Engagierten, die für mich nicht nachvollziehbar ist“, so Helmbrecht. Mit Porträtfotos in der Hand seien Polizisten in die Wirtshäuser gelaufen, auf der Suche nach Bürgern, die an der Sitzblockade beteiligt waren. „So fahndet man nach Kindermördern“, meint Helmbrecht. Die Polizeidirektion Bamberg will sich nicht äußern. Das Verfahren laufe noch, so ein Sprecher.

„Selbstverständlich würden wir den Friedenspreis noch einmal an das Bürgerforum vergeben“, sagt Stephanie Böhm, Dozentin an der Frankenwarte Würzburg. Sie gehört dem Friedenspreis-Komitee an. Den Strafbefehl gegen Helmbrecht bezeichnet Böhm als eine Katastrophe.

 
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