
Lieber Mathias Repiscus,
keine Sorge, das wird kein Nachruf. Auch kein Abgesang. Und eine Pointe gibt's auch nicht.
Abgesang aufs Kabarett alter Schule und das überalterte Publikum wäre zu einfach. Das Bemühen um etwas Witz würde vor dem scharfen Urteil des Theaterleiters und Regisseurs wohl kaum bestehen. Und statt Nachruf also ein letzter Ruf die Kulturspeicher-Treppe hinunter, in Ihren Keller.
Das soll's echt gewesen sein? Wie ist das dann nächsten Samstag? Ihre Frau, die Finanzchefin, sitzt an der Kartenkasse und schenkt am Zapfhahn aus. Sie sitzen wie immer hinten am Tresen in der Ecke auf dem Hocker. Wenn's dunkel geworden ist im Saal, kommen Sie beide irgendwann rein und beobachten kritisch, was auf der Bühne passiert und wie das Publikum reagiert und jubelt oder ächzt. Und dann, nach dem Schlussapplaus Scheinwerfer aus, Stahltüre zu und Finis im Keller?
Kann man sich nicht so recht vorstellen, wie das gehen soll einen Tag vor Heiligabend. Da spielen Jan Reinelt & Friends ihre Weihnachtsshow. "Swinging Xmas" vor ausverkauftem Haus, Ihr Saal wird rappelvoll sein, fetzig wird es werden. Und am Ende sperren sie zu? Tschüss, ab in Rente?
Wird wohl keine fröhliche Abschiedsparty werden. Aber irgendwie passt das wohl. Als anno 2009 das Bockshorn Theater 25 Jahre alt wurde, da gab's auch kein Fest. Vielleicht, weil Sie zwar ein erstklassig-strenger Regisseur für Künstlerinnen und Künstler sind, aber kein guter Regisseur in eigener Sache. Vielleicht, weil Sie einfach keinen Bock hatten auf "Geschwätz" von Grußonkeln und Würzburger "Lippenbekenntnissen". Über die haben Sie auf Ihre spezielle, eigene Art oft genug geklagt.
Als Sie drei Jahre später den Würzburger Kulturpreis bekommen haben, da zeigten Sie sich "überrascht". Ja, der sei eine "gewisse Anerkennung" Ihrer Arbeit von Seiten der Stadt, meinten Sie. Nicht ohne anzumerken: "Manche können auch darauf verzichten."
Von Sommerhausen nach Würzburg und immer die Ansage: Erste Kabarett-Liga!
Ihre Ansage, erst im schnuckeligen Sommerhausen, ab 2001 dann in der nüchternen Black Box im neuen Kulturspeicher: "Ganz oben mitspielen!"
Als Schweizer haben sie in der fränkischen Provinz eine Kabarettbühne aufgebaut auf, sagen wir ausnahmsweise doch noch mal: Weltniveau. Meinten Sie ja auch: Nichts gegen Würzburger Szene, nichts gegen Dritte Liga. Aber: "Ich habe immer international gedacht."

Zumindest wurde das Bockshorn gerne in einem Atemzug mit den Wühlmäusen und Stachelschweinen aus Berlin, dem Düsseldorfer Kom(m)ödchen und der Münchner Lach- und Schießgesellschaft genannt.
In Würzburg mögen da manche müde drüber gelächelt haben. Nationale Bedeutung fürs Kabarett? Hach ja . . . .
Von Ingo Appelt bis Max Uthof: Alle Kabarettisten der ersten Garde waren da
Aber man muss sich ja nur mal ins Bockshorn jagen lassen oder freiwillig hingehen: Georg Schramm! Richard Rogler! Hanns Dieter Hüsch! Matthias Beltz, Dieter Hildebrandt, Ottfried Fischer, Dieter Nuhr, Jürgen Becker, Volker Pispers, Ingo Appelt, Michael Mittermeier, Urban Priol – da hängt die Ahnengalerie des deutschen Kabaretts an der Wand.
Ins Bockshorn kommen heute noch die Großen der Kleinkunstszene – und viele von den Großen und Besten begleiteten Sie von Beginn an.
Und wer alles den Offenen Brief unterzeichnet hat, den der "Gankino Circus"-Schlagzeuger gerade an den Würzburger OB und den Stadtrat geschickt hat, weil das Bockshorn unbedingt eine Bühne für Kleinkunst, Kabarett im breiten Sinne und was fürs Hirn bleiben soll und unklar ist, was ab 1. Januar ist: Luise Kinseher, Josef Hader, Alfred Dorfer, Helmut Schleich. Wolfgang Krebs, Torsten Sträter, Michl Müller, Matthias Egersdörfer, Wilfried Schmickler, Max Uthof . . . .
Und viele mehr, die von "herausragender Rolle als kultureller Treffpunkt und bedeutender Impulsgeber für die Kabarettszene in Deutschland" schreiben und die Bockshorn-Leiter Mathias und Monika Repiscus rühmen: "Das von ihnen kuratierte Programm zeichnet sich durch enorme Qualität, Vielfalt und Innovation aus."
Der Bockshorn-Anspruch: Hier gibt es Programm fürs Hirn, kein Comedy-Klamauk
Sie sind anspruchsvoll und wollen das unbedingt auch sein. Einfach mal so Comedy machen, auf andere hirnlos draufhauend oder sinnfrei herumhampeln, Sprüche machen, das Publikum mit banalem Klamauk zudröhnen – nicht mit Repiscus.

Und das ist wohl das Allerbeste am Bockshorn: Talentförderung! Dass hier nicht nur das Bekannte und Bewährte läuft, sondern Neues. Frisches. Junge Leute! Die können sich bei Ihrem Newstar Festival 20 Minuten vor 200 Leuten beweisen. Wenn's dem Publikum – und Ihnen! – gefällt, werden sie im Jahr drauf für einen vollen Abend gebucht. Bis irgendwann die Agenturen meinen, eigentlich sei für diesen Star jetzt der Keller zu klein.
Kommen die Guten der deutschen Kabarett-Szene jetzt noch nach Würzburg?
Zeigen Sie den Jungen trotz Rente weiter, worauf es ankommt? Und wo tritt der Nachwuchs künftig auf und gastiert er überhaupt noch in Würzburg? Kommt womöglich der, den Sie sich als Nachfolger und Bockshorn-Weiterführer gewünscht hätten, im Kulturspeicher doch noch zum Zug? Und zum wievielten Mal sitzen Sie eigentlich hinten auf dem Barhocker, wenn Jan Reinelts Truppe "Last Christmas" swingt?
Im Bockshorn fällt nächste Woche der Vorhang – alle Fragen offen.
Ist doch ein Nachruf geworden, werden Sie jetzt grummeln. Aber ohne Pointe. Danke für viele vergnügliche und einige grandiose Abende!
Herzlich,
Alice Natter, Redakteurin
aber bevor M. Repiscus das Bockshorn gründete, gab es in Würzburg schon den Salon 77 (1977), die Theaterwerkstatt (1981), das Theatercafé Augustin (1981 bis 1983), das Autonome Kulturzentrum Würzburg (AKW) (1982), das Chambinzky und das Theater Spielberg (beide 1983).
Das Theater am Neunerplatz eröffnete 1985 und das Plastische Theater Hobbit ließ sich 1993 nieder.
Auf diesen acht Bühnen gab es schon jahrelang Kleinkunst, bevor das Bockshorn 2001 nach Würzburg kam.
Nebenbei: Theaterwerkstatt, Chambinzky und Neunerplatz erwogen Ende der 90erjahre, gemeinsam in den Kulturspeicher einzuziehen, als "Hafentheater". Weil die drei Macher - Wolfgang Schulz, Rainer Binz und Thomas Heinemann -aber ganz eigene Typen mit sehr unterschiedlichen Ideen waren, haben sie das dann doch lieber gelassen.
Zöge das Chambinzky jetzt in den Kulturspeicher ein, würde eine 45 Jahre Jahre alte Idee doch noch umgesetzt.