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Schweinfurt
Samstagsbrief: Lieber Impfteam-Chef, unfassbar, was Ihr Euch bieten lassen müsst
Der Corona-Winter ist da – und mit ihm ein Ansturm auf die Impfstellen. Unser Autor meint: Das Team des Schweinfurter Zentrums bekommt den Zorn über die Fehler anderer ab.
Dr. Markus Hüttl, Leiter des Impfzentrums Schweinfurt.
Foto: Josef Lamber | Dr. Markus Hüttl, Leiter des Impfzentrums Schweinfurt.
Mathias Wiedemann
 |  aktualisiert: 15.07.2024 09:56 Uhr

Lieber Dr. Markus Hüttl,

ich schreibe Ihnen und Ihrem Team am Schweinfurter Impfzentrum, weil ich nicht nur fassungslos bin, dass wir nach vielen Monaten Pandemie in einen weiteren Krisenwinter schlittern, als hätten wir nichts dazugelernt. Sondern auch darüber, dass Sie, die Sie am hinteren Ende der Impfkette sitzen, den ganzen Ärger und die ganze Unverschämtheit der Leute abbekommen, denen es nicht schnell genug geht.

Es ist bestürzend, was Sie erzählen: "Meine Leute sind am Abend so fertig, dass sie nicht mal mehr weinen können. Nur noch zittern." Den Pflegekräften hat man anfangs noch applaudiert, auch wenn sie sich davon nichts kaufen konnten. Das ist lange vorbei, heute sind Pflegende erschöpfter und frustrierter als je zuvor. Und Euch, liebes Impfteam, applaudiert keiner. Im Gegenteil, Ihr werdet abgewatscht für die Fehler und Versäumnisse anderer.

Plötzlich ist von Millionen Dosen Moderna die Rede, die auch wegmüssen

Kaum zu glauben, dass Impflinge Euch Schläge androhen oder versuchen, den Impfbus zu stürmen. Unfassbar, dass Ihr teilweise Polizeischutz braucht. Okay, viele Leute sind nachvollziehbar sauer, weil sie vorgestern erst erfahren haben, dass sie sich jetzt doch boostern lassen müssen. Aber Gemeinheit und Gewalt gehen gar nicht. Schon gar nicht bei denen, die sich jetzt unwillig zur Erstimpfung herablassen und dabei noch erwarten, dass man ihnen den roten Teppich ausrollt. Ganz ehrlich: Ich weiß nicht, wie Ihr es schafft, diese Leute nicht ohne Abendessen ins Bett zu schicken, wenn Ihr versteht, was ich meine.

Mitte November 2021: Lange Schlange vor dem Impfzentrum am Schweinfurter Volksfestplatz.
Foto: Marcel Dinkel | Mitte November 2021: Lange Schlange vor dem Impfzentrum am Schweinfurter Volksfestplatz.

Wenn schon ich den Kopf schüttle über diese versemmelte "Impfkampagne", wie muss es dann Euch gehen? Zum Beispiel, wenn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn mal eben ohne Not einen zusätzlichen Flaschenhals und Ärger schafft, indem er die Auslieferung von Biontech rationiert. Nur weil in einem Kühlschrank im Keller des Ministeriums noch ein paar Millionen Dosen Moderna aufgetaucht sind, die auch wegmüssen?

Ich persönlich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn ich beim Booster-Termin demnächst Moderna gespritzt bekäme. Das Problem ist nur, dass viele Menschen nach all dem Hin und Her und all den Vakzin-Wirren so verunsichert sind, dass sie sich an dem einen Impfstoff festhalten werden, der einigermaßen sicher erscheint: Biontech eben.

Eine Minderheit der Uneinsichtigen nimmt die Mehrheit in Geiselhaft

Aber das ist ja nur die Spitze eines Eisbergs, auf dem ein riesiges Schild mit der Aufschrift "Ja was denn jetzt?!" stehen müsste. Impfplicht ja, nein, vielleicht? Boostern erst nach sechs Monaten und nur die Alten? Ach nein, jetzt doch lieber alle und gerne auch nach vier Monaten. Oder nach fünf. Aber bitte nicht alle gleichzeitig. Und Astrazeneca, Moderna, Johnson & Johnson nur für die Jungen? Oder nur für die Alten? Oder lieber gar nicht?

All die widersprüchlichen Ansagen, die ewigen Talkshow-Expertisen, die halbgaren Politiker-Vorstöße, das Zögern der Ständigen Impfkommission, das Behörden-Chaos, der eklatante Digitalisierungsrückstand, der Alarmismus mancher Medien, der Mangel an Gemeinsinn und Verantwortungsbewusstsein in ziemlich großen Teilen der Gesellschaft. All die Planlosigkeit und Einfallslosigkeit der Gegenmaßnahmen (am besten immer erstmal Theater und Museen schließen) und nicht zuletzt der nachgerade empörende Gleichmut, mit dem sich die impfwillige Mehrheit von einer Minderheit der Uneinsichtigen quasi in Geiselhaft nehmen lässt. Wenn das unter dem Begriff "Impfstrategie" laufen soll, muss ich das Wort "Strategie" nochmal nachschlagen.

Der Impfbus des Schweinfurter Impfzentrums, hier im August im Einsatz auf dem Marktplatz in Gerolzhofen.
Foto: Michael Mößlein | Der Impfbus des Schweinfurter Impfzentrums, hier im August im Einsatz auf dem Marktplatz in Gerolzhofen.

Erst war kein Impfstoff da, dann blieben die Impfwilligen aus. Also hat man flugs Impfzentren abgebaut oder, wie im Schweinfurter Fall, zusammengestrichen. Obwohl der Winter bevorstand und mit ihm ein Comeback des Virus und die nächste heftige Welle. Und jetzt sollt Ihr, liebes Impfteam, plötzlich rund um die Uhr impfen, was das Zeug hält. Weil vor sechs Monaten kein Mensch ahnen konnte, dass nach sechs Monaten alle zum Boostern würden antreten müssen.

Aber das hier ist immer noch Deutschland. Alles ist abhängig von politischen Vorgaben. Ihr habt sogar genaue Anweisungen, wo und wie lange der Impfbus Station machen muss. Eine Erhöhung der Impfkapazitäten aber müssen Stadt und Landratsamt erst einmal beim Gesundheitsministerium beantragen. Vermutlich per Fax, in dreifacher Ausführung. 

Auch wenn's keinem nützen wird: Ich applaudiere Euch jetzt und hier, liebes Schweinfurter Impfteam! Und gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir bis zum Winter 2022 vielleicht doch noch ein Krisenmanagement auf die Reihe kriegen, das diesen Namen verdient. 

Mit aufmunternden Grüßen,

Mathias Wiedemann, Redakteur

Persönliche Post: "Der Samstagsbrief"

Jedes Wochenende lesen Sie unseren "Samstagsbrief". Was das ist? Ein offener Brief, den eine Redakteurin oder ein Redakteur unserer Zeitung an eine reale Person schreibt – und tatsächlich auch verschickt. An eine Person des öffentlichen Lebens, die zuletzt Schlagzeilen machte. An jemanden, dem wir etwas zu sagen haben. An einen Menschen aus der Region, der bewegt hat und bewegt. Vielleicht auch mal an eine Institution oder an ein Unternehmen. Oder ausnahmsweise an eine fiktive Figur. Persönlich, direkt und pointiert formuliert soll der "Samstagsbrief" sein. Mal emotional, mal scharfzüngig, mal mit deutlichen Worten, mal launig – und immer mit Freude an der Kontroverse. Der "Samstagsbrief" ist unsere Einladung zur Debatte und zum Austausch. Im Idealfall bekommen wir von der Adressatin oder dem Adressaten Post zurück. Die Antwort finden Sie dann bei allen "Samstagsbriefen" hier. Und vielleicht bietet sie auch Anlass für weitere Berichterstattung.
 
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  • U. D.
    Am Anfang der Pantemie war ich der Meinung, toll so aktiv wurde noch nie gehandelt. Inzwischen denke ich, wird alles erst einmal zerredet. Die Wahl während der Pandemie war kontraproduktiv. Zögerliche Entscheidungen wurden mit der Vernunft der
    Mitbürger begründet. Doch wo findet man die. Bilder im Fernsehen vom Freitag: Trauben vor den Geschäften (ohnen Abstand und Maske) mit der Begründung, ab Montag gibt es schärfere Vorschriften. Aber warum gibt es die? Weil schon heute die Notwendigkeit besteht. Wenn ich doch so etwas weiß, dann richte ich mich doch sofort danach. Dass das Gesetz einige Tage Vorlauf braucht ist nur eine Logistikproblem. Alle die sich jetzt in diesem Gewühl noch angesteckt haben, finden wir dann in zwei Wochen in der Statistik und so mancher wundert sich über die hohen Fallzahlen.
    Wo endlich gibt es den Schalter um das Gehirn einzuschalten?
    Auch ich bewundere die Geduld der Mitarbeiter im Impf- und Testzentrum. Mein volles Lob für den Einsatz dieser Menschen.
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  • S. H.
    Mir wäre es wohler, wenn die Sache "Impfkampagne" sachlich besprochen würde. Ich sehe es so: Wir brauchen aktuell viel Impfstoff, viele Impflinge und jede Menge Menschen, die Unentschiedene und Vorsichtige korrekt und verlässlich beraten, wenn die bereit dazu sind. Das hilft. Für die Impfenden können bestimmt kleine Alltags-Stärkungen hilfreich sein: ein gutes Wort, ein ehrlicher Dank. Hilfreich ist sicher auch konstruktive Kritik, wenn sie richtig adressiert ist: nämlich an die, die etwas verändern können. Emotional geführte Auseinandersetzungen helfen aus meiner Sicht nicht. Als Mit-Impfende habe ich dafür auch keine Kapazitäten. Ich bin allen dankbar, die das beherzigen.
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  • A. K.
    „ Nicht in erster Linie, weil ich Leuten wie Ihnen das hämische Grinsen nicht gönne - aber ein klein wenig trägt das eben doch auch zur Motivation bei.“. Herr oder Frau Hentinger: machen Sie doch Nägel mit Köpfen, gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Unterzeichnen Sie eine freiwillige Und unwiderrufliche (!) Verzichtserklärung auf medizinische Versorgung auf einer Intensivstation im Erkrankungsfall. Da wären Sie wenigstens nicht die Kettensaege im Schlauchboot. Nur Mut, ich drücke Ihnen die Daumen.
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  • A. D.
    Leider verstößt Ihr Kommentar gegen die Kommentarregeln auf mainpost.de. Wir haben den Kommentar deshalb gesperrt.
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  • F. W.
    stimmt... hier baden andere die Fehler des Gesundheitamtes aus... aber... die Wahl 2020 ist jetzt vorbei....

    ich erwarte da nichts mehr.
    Ihr aks Zeitung solltet auch mehr Druck machen. zB auch die Karten wöchentlich aktualisieren...

    die Bürger müssen teilweise ganz schön auf Neuigkeiten warten *seufz*

    Und danke für den Live-Bericht aus dem Leo
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  • S. K.
    Sehr richtig. Impf-"Strategie" gibts da nach wie vor keine, wie heißt es so schön: auf Sicht fahren...vorausgesetzt man ist nicht blind...
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  • K. W.
    Besser hätte man es nicht ausdrücken können!
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  • H. E.
    Lieber Herr Wiedemann! Als Theaterkritiker sind Sie zweifellos besser als Gesundheitspolitiker!
    Den Alarmismus,den Sie ansprechen verbreiten Sie, die Presse und Medien!
    Sie verunsichern die Menschen und machen jede Maßnahme schlecht und tot! Sie wissen es besser!
    Hätte es nicht einfach ein Samstagsbrief zur Motivation getan?
    Nein! Wieder draufhauen +verunsichern!
    Klar war kein Impfstoff da! Klar blieben die Impfwilligen aus. Warum? Warum wurde abgebaut? Sie wären der erste gewesen der die Kosten bemängelt hätte wenn keiner gekommen wäre!

    Ihre Politikerschelte und Behördenschelte ist nur teilweise berechtig! Haben Sie etwa eine Blaupause?
    der Mangel an Gemeinsinn und Verantwortungsbewusstsein in ziemlich großen Teilen der Gesellschaft ist berechtigt! Warum sprechen Sie die nicht noch deutlicher an! Warum nicht die bislang Impfunwilligen,denen es teilweise jetzt einfällt! Rechte Demagogen,Querdenker?
    Das ist Planlosigkeit kritikwürdig und billige Einfallslosigkeit!
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  • K. G.
    Ich bin dankbar! Die Impfteams machen einen sehr guten Job. Sie können nichts für die verfehlte Politik. Ob Moderna oder Biontec spielt keine Rolle. Aber das AstraZeneca bereits nach 4 Monaten fast keinen Schutz mehr bietet ist eine erschreckende Erkenntnis auch für mich gewesen. Die Boosterimpfung ist wichtig. Und zwar für alle Menschen die täglich viele unvermeidbare Kontakte haben durch Job, Ausbildung, Leben in Betreuungsverhältnissen etc. Und auch die letzten Impfzöglinge sollten endlich verstehen, dass wir eine Reduzierung der Zahlen nur mit vollständigem Impfschutz hinbekommen. Vielen Dank an die Impfteams! Ihr tut auch heute, am Samstag wieder Euer Bestes! Genau wie das Personal in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Ihr seid die vorderste Front und immer wieder viel zu wenig gewürdigt! Danke! Danke! Danke!
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  • A. H.
    Volle Zustimmung, gilt auch für die anderen Impfzentren. Bitte halten Sie durch
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  • G. B.
    Guter Kommentar, dem ich nichts hinzuzufügen möchte.
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  • A. K.
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  • D. P.
    Und das ist erst der Anfang. Die nächsten Wochen und Monate werden sehr schlimm.
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