
Lieber Herr Könneke, ein Brief vom Kulturredakteur an den Kulturreferenten – das klingt erstmal nach dem Einrennen offener Türen. Im Sinne von: Wir beide wissen doch, wie wichtig Kultur gerade in diesen Zeiten ist, lassen Sie uns das nur oft genug betonen, dann wird der Rest der Welt es irgendwann auch noch einsehen.
Ich schreibe Ihnen heute, weil Sie eben kein Kulturreferent der Beteuerungen, sondern einer der klaren Worte sind. Weil Sie Defizite benennen. Indem Sie zum Beispiel längst überfällige Öffnungsstrategien für Kulturstätten nach dem Lockdown fordern. Indem Sie aber auch Forderungen an die Kultur stellen: mehr Teilhabe des Publikums, mehr Identifikation, mehr Öffnung, mehr Auseinandersetzung mit Themen wie Klimawandel, Singularisierung, Entsolidarisierung.
"Der Kulturbereich muss sich viel engagierter dahin bewegen, wo es vielleicht auch ein bisschen wehtut", sagen Sie. Und: "Gerade die öffentlichen Einrichtungen müssen viel intensiver an ihrer gesellschaftlichen Relevanz arbeiten." Man kann das durchaus als direkte Aufforderung auch an die kulturellen Einrichtungen der Stadt Würzburg lesen, deren Kulturreferent Sie seit 2018 sind. Und als Einladung zur Debatte. Das gefällt mir.
Die Straßennamen-Episode sagt viel über Ihr Kunstverständnis aus
Debatte ist gut und findet viel zu selten statt. Stattdessen wirft man sich gegenseitig "Argumente" an den Kopf und spricht einander anschließend jeweils die Eignung zu sachlicher Auseinandersetzung oder am besten gleich zu einem Posten ab. Passiert täglich vieltausendfach im Netz und scheint inzwischen auch im analogen Miteinander die Regel.
Man kann das gut an der Auseinandersetzung um die Umbenennung NS-belasteter Würzburger Straßennamen festmachen. Eine Episode im Dezember sagt viel aus über Ihre Lust an der Debatte. Und über Ihr Verständnis von Kunst und deren Rolle im öffentlichen Diskurs. Eine anonyme Gruppe namens "NebenAn Kollektiv" hatte einige Würzburger Straßenschilder mit Vorschlägen für die künftige Benennung überklebt. Etwa "Maji-Maji-Allee" in Erinnerung an eine Widerstandsbewegung gegen die deutsche Kolonialherrschaft in Afrika oder "Platz der Menstruation" als "Zeichen für die Normalität der Menstruation".
Der Aufschrei in den Online-Kommentaren kam nicht überraschend. Von "grobem Unfug" war die Rede, von "Untat", von "Sachbeschädigung" gar. Ein Leserbriefschreiber fand die Aktion "bizarr und verstörend". Sie, Herr Könneke, hingegen posteten auf Facebook: "Eine spontane und auf jeden Fall sehr kreative Intervention im Stadtraum zur aktuellen Würzburger Debatte zur Umbenennung von Straßen. Respekt! Gruß vom Vorsitzenden der städtischen Kommission zur Überprüfung der Würzburger Straßen."

Mir gefiel auch das. Prompt wurde Ihnen als "Funktionsträger", also dem Kommissionsvorsitzenden, im Stadtrat mangelnde Neutralität angekreidet. Sie seien deshalb "in dieser Funktion absolut ungeeignet", befand der Vorsitzende der CSU-Fraktion mit Unterstützung aus der AfD. Sie konterten mit einem Ihrer schönen Sätze: "Ich glaube nicht, dass es angemessen ist, im Stadtrat darüber zu diskutieren, welche Kunst der Kulturreferent gut findet oder welche nicht."
Kunst braucht keine Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus der Politik
Man kann das nicht oft genug betonen: Kunst braucht keine Unbedenklichkeitsbescheinigungen aus der Politik. Im Gegenteil. Kunst kann und soll provozieren, gerne auch bei sensiblen Themen wie Straßennamen. Damit Debatten entstehen, die uns als Gemeinwesen vielleicht ein oder zwei Schritte weiterbringen. Und die nicht bei Etiketten wie "Leitkultur" oder "systemrelevant" hängenbleiben. Dass Sie im übrigen kein Hehl daraus machen, mit beiden Begriffen nichts anfangen zu können, auch das gefällt mir.
Was den Kulturschaffenden in Würzburg gefallen dürfte: 450 000 Euro zusätzlich stellt die Stadt im Etat für 2021 für die coronagebeutelte freie Szene bereit. Während zum Beispiel Schweinfurt nach dem Rasenmäherprinzip alle Nicht-Pflicht-Ausgaben um 20 Prozent kürzt. Auch die für die freie Kultur, für Vereine und Soziales. Es geht da um 65 000 Euro. Anteil am Gesamtetat von über 200 Millionen Euro: 0,025 Prozent.
Geld ist wichtig aber eben nicht alles. Hört man sich in der Würzburger Szene um, wird deutlich, dass diese vor allem Ihre Gesprächsbereitschaft schätzt, Herr Könneke. Ihre Debattenfreudigkeit, wenn man so will. Ein prominenter Vertreter formuliert es so – und meint damit ausdrücklich nicht nur das Geld: "In den 20 Jahren, die ich aktiv bin, habe ich noch nie so viel Unterstützung bei der Stadt erlebt wie jetzt."
Gespannt auf weitere Debatten:
Ihr Mathias Wiedemann, Redakteur
Was hier zunehmend "verstört", ist die unkorrigierbare ideologische Rückständigkeit:
......"Sie seien deshalb "in dieser Funktion absolut ungeeignet", befand der Vorsitzende der CSU-Fraktion mit Unterstützung aus der AfD"....
Da kommt zusammen, was zusammen gehört.