Paul Kleinschmidt liebte korpulente Frauen. Neben luxuriösem Zuckerzeug, seinem zweiten Lieblingsthema, bevölkern sie in allen Varianten seine über 1000 erhaltenen Ölgemälde, Gouachen, Aquarelle und Zeichnungen. Viele seiner Zeitgenossen fanden das einseitig, andere wiederum erkannten in dieser Fixierung Kleinschmidts Genie.
Auf seiner 1947 entstandenen Gouache „Dame mit Handspiegel und Zofe“ zeigt Paul Kleinschmidt (1883 bis 1949) seine Vorliebe für mollige Frauen allerdings nicht allzu deutlich. Die abgebildete junge Dame beeindruckt zwar mit einer zur Balustrade hochgezurrten Oberweite, grell geschminkten Lippen und blonder Haartolle – die Zofe schnürt ihr am linken Bildrand wohl gerade die Lederstiefel –, doch eine richtig „starke“ Frau sieht bei Kleinschmidt anders aus: fleischiger Rücken, knubbelige Knie und massive Oberschenkel. Auch seine eigene Frau Margarete muss so ein Wunderweib gewesen sein.
Im Rahmen der Kunsttauschaktion „Kunst geht fremd . . . und macht schön“ hat die Kunsthalle Schweinfurt das 78 mal 54 Zentimeter große Bild nun bis 6. November ans Museum Barockscheune Volkach verliehen. Hier geleitet es den Besucher im ersten Stock in die Ausstellung zu Geschichte, Landschaft und Kultur an der Volkacher Mainschleife.
- Bericht von der Eröffnungsveranstaltung der Aktion
- Folge 1: Ein Nonnenspiegel aus Miltenberg
- Folge 2: Georg Ehmig, Bildnis der Gattin des Künstlers
- Folge 3: Eine 2500 Jahre alte keltische Fibel
- Folge 4: Blutige Bildergeschichte aus dem alten Ägypten
- Folge 5: Das mandeläugige Rätsel der Fastnachtsmaske
Seit ihrer Eröffnung im Jahr 2009 präsentiert die Kunsthalle Schweinfurt eine Auswahl aus Joseph Hierlings Sammlung „Expressiver Realismus“. Darin spielen Paul Kleinschmidts Arbeiten, die je nach Schaffensphase impressionistische oder expressionistische Einflüsse, Elemente der Neuen Sachlichkeit und des Kubismus aufweisen, eine wichtige Rolle.
Paul Kleinschmidt wurde 1883 im pommerschen Bublitz ins Theatermilieu hineingeboren. Sein Vater war zuletzt Direktor des Nationaltheaters in Halle, seine Mutter Schauspielerin. Dieser Beruf hat die Familie seit Generationen geprägt. Er war eigentlich auch für Paul vorgesehen. Doch er „hasste die Bühne“ (so später seine Tochter Maria) und interessierte sich vielmehr „für alles, was hinter den Kulissen vorging“.
So malte er – in der Tradition von Otto Dix und Max Beckmann, doch ohne deren Boshaftigkeit – gelangweilte Schauspielerinnen und Tänzerinnen, Zirkusreiterinnen bei der Arbeit und Balletteusen vor dem Auftritt. Auch Genusssüchtige sind darunter, die entweder betrunken herumhängen oder im Kaffeehaus Torte schaufeln.
Immer wieder tauchen prächtige Baumkuchen auf, als Symbol für Völlerei und Genuss, dem der Künstler offenbar ambivalent gegenüberstand. „Die Wucht der Materie schwemmt alles, was gegen die ethische Bedeutung der Motive sprechen könnte, hinweg“, so Julius Meier-Graefe, Kunstkritiker und emsiger Förderer Kleinschmidts.
Nach einem wirtschaftlich schwierigen Start lagen die erfolgreichsten Jahre Paul Kleinschmidts, der wegen einer Gasvergiftung 1915 vom Kriegsdienst befreit worden war, in der Zwischenkriegszeit. Während der Nazizeit wurden Bilder von ihm auf sogenannten Schandausstellungen und 1937 auf der großen Münchner Schau „Entartete Kunst“ an den Pranger gestellt. Für Kleinschmidt begann eine Umzugs-Odyssee durch ganz Europa: Deutschland, Schweiz, die Niederlande, Frankreich.
Seine Schaffenskraft blieb trotz all dieser Zumutungen und Strapazen ungebrochen, allerdings lehnte er weitere eigene Ausstellungen bis ans Ende seines Lebens ab. Die „Dame mit Handspiegel und Zofe“ malte er zwei Jahre vor seinem Tod, als Ölfarben und Leinwände schwer zu beschaffen waren. Der Künstler hatte aus dieser Not schon während des Krieges eine Tugend gemacht und auf die Malerei mit Gouache umgeschwenkt, einem wasserlöslichen Farbmittel aus relativ grob vermahlenen Pigmenten und Kreide. Diese Farbe kann auf Leinwand oder– wie hier bei der „Dame mit Handspiegel“ – auf Papier aufgetragen werden.
Die Frau auf der nun in Volkach zu sehenden Gouache prüft ihr Spiegelbild konzentriert und keineswegs unzufrieden. Trotz (oder gerade wegen) der kargen Zeiten blieb Paul Kleinschmidt seinen Motiven – den mal mehr, mal weniger üppigen Frauen und den prachtvollen Gebäckstücken – bis zum Schluss treu. 1949 starb er im Alter von 66 Jahren im hessischen Bensheim an der Bergstraße.
Die Aktion „Kunst geht fremd“
Zwölf Museen beteiligen sich dieses Jahr an den künstlerischen Seitensprüngen, die bis 6. November ausgewählte Objekte durch Unterfranken reisen lassen. Unter dem Motto „Kunst geht fremd . . . und macht schön“ verlassen zwölf Kunstwerke ihr angestammtes Museum, um sich vorübergehend ein neues Zuhause zu suchen. In ungewohnter Umgebung sollen sie ihre Betrachter für ein paar Monate irritieren, provozieren und zu intensiverem Sehen anregen: In unserer Sommerserie stellen wir jedes der zwölf Kunstwerke vor.
Eine Broschüre führt durch die diesjährigen Seitensprünge, angenehm schmal und dünn. Auf den letzten Seiten findet sich eine Liste aller Museen mit Öffnungszeiten, Adressen, Telefonnummern. Homepage: www.kunst-geht-fremd.de Das Museum Barockscheune Volkach öffnete seine Pforten 2003 in einer rund 300 Jahre alten Scheune.
Unverputzter Muschelkalk und ein imposantes Walmdach verleihen dem Gebäude seinen Charme. Die beiden Obergeschosse und der Keller beherbergen die Dauerausstellung zu Volkachs kultureller Vergangenheit, zu Weinbau, Handwerk und Zunftwesen. Der ganze Stolz des Museums ist das Volkacher Salbuch, ein bunt bebildertes Gesetzbuch von 1500, das auch Analphabeten über gängige Rechtshandlungen aufklärte. Öffnungszeiten: Freitag 14-17, Samstag, Sonntag, Feiertage 11-17 Uhr. Bis 6. November.