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WÜRZBURG
Sommerserie „Kunst geht fremd“, Folge 1
Zum Start unserer Sommerserie über die Tauschaktion von zwölf Museen der Region stellen wir einen sogenannten Nonnenspiegel vor, derzeit zu sehen im Museum im Kulturspeicher Würzburg.
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Von unserer Mitarbeiterin Katja Tschirwitz
 |  aktualisiert: 27.04.2023 02:02 Uhr

Kunst geht fremd, und das immer öfter. Zwölf Museen beteiligen sich dieses Jahr an den künstlerischen Seitensprüngen, die bis 6. November ausgewählte Objekte kreuz und quer durch Unterfranken reisen lassen. Unter dem Motto „Kunst geht fremd … und macht schön“ verlassen zwölf Kunstwerke ihr angestammtes Museum, um sich ein neues, temporäres Zuhause zu suchen. In ungewohnter Umgebung sollen sie ihre Betrachter für ein paar Monate irritieren, provozieren und zu intensiverem Sehen anregen: Was ist Schönheit?

In unserer Sommerserie stellen wir jedes der zwölf Kunstwerke vor.

Eine türkisfarbene Broschüre führt durch die diesjährigen Seitensprünge, angenehm schmal und dünn und somit geeignet für jede Hand- und Jackentasche. Auf den letzten Seiten findet sich eine Liste aller Museen mit Öffnungszeiten, Adressen und Telefonnummern, begleitenden Veranstaltungen und eine Unterfrankenkarte mit allen teilnehmenden Ortschaften.

Das Titelbild zeigt, passend zum Thema, ein schwarzes Schminktäschchen, aus dem ein Sammelsurium geschrumpfter Kunstwerke quillt: ein Bronzebuddha, eine Faschingsmaske, ein Paar weißbestrumpfter Männerbeine mit schwarzen Schnallenschuhen, Bilder, Leinwände und – ein Spiegel.

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Diesen kleinen Spiegel, es ist ein so genannter Nonnenspiegel, hat es vom Museum der Stadt Miltenberg in den Kulturspeicher Würzburg verschlagen. Das zarte Objekt, um 1750 in den Glashütten des Spessart hergestellt und erst später mit einem dunklen Holzrahmen versehen, misst etwa 20 mal 30 Zentimeter und beleuchtet das Thema Schönheit in pikanter Weise: Seine feinen Hinterglasschliffe in blumigem Rokokostil zeigen eine weibliche Allegorie mit entblößten Brüsten, die mit koketter, ja aufreizender Geste einen Lorbeerkranz schwenkt.

Nackte Brüste im Nonnenkloster?

Nackte Brüste im Nonnenkloster? Das sei tatsächlich ungewöhnlich, erklärt Nico Kirchberger, stellvertretender Direktor des Museums im Kulturspeicher Würzburg. Denn Schönheitskult war in Frauenklöstern stets verpönt. Nur vor Spiegeln mit religiösen Schmuckmotiven durften sich Nonnen – wenn es denn sein musste – in ihren Zellen einer spartanischen Schönheitspflege widmen. Ein Nonnenspiegel galt somit als Andachtsgegenstand.

Zur Veranschaulichung zeigt Kirchberger das Foto eines Nonnenspiegels aus dem 19. Jahrhundert: Ein romantisches, etwas süßliches Mutter-Kind-Motiv füllt als Oval die Mitte aus, der Rand ist besetzt mit üppigen Blüten- und Blätterranken. Eine Nonne, die ihr Gesicht prüfen wollte, musste sich mit Mühe ein freies Fleckchen Spiegel suchen.

Nicht so beim Miltenberger Nonnenspiegel: Seine Mitte ist gänzlich frei von Schliffen und bietet Platz für ein ganzes Gesicht. Lediglich den Spiegelrand zieren zwei blüten- und fruchtumrankte Säulen sowie ein stilisierter Giebel. Auch wenn der Spiegel schon einige blinde Stellen hat, so ist er doch zweifellos „schön“, und das ganz im landläufigen Sinne. Platziert wurde der zerbrechliche Neuankömmling im Raum 3 des Kulturspeichers, in direkter Nachbarschaft zu Ferdinand Freiherr von Lütgendorfff-Leinburgs mächtig gerahmtem Ölbild „Frau vor dem Spiegel (Frau von Muhr)“ von 1834. Der Maler und Grafiker stammte zwar aus Würzburg und starb im Jahr 1858 hier, verbrachte sein Künstlerleben aber an vielen Orten, darunter München, Wien, Karlsbad, Prag und Preßburg.

Fantasievolle Museumspädagogik

Auf dem Bild kann der Museumsbesucher Schönheitspflege in Reinkultur genießen: Eine Dame in taubengrauem Puffärmelkleid sitzt in ihrem verdunkeltem Schminkzimmer, versunken in den Anblick des eigenen Spiegelbilds. Eine dreireihige Perlenkette ziert ihr schneeweißes Dekolleté, das hinten und vorne gleichermaßen viel Haut entblößt. Derart inspiriert, darf man sich ausmalen, was vor dem Nonnenspiegel wohl alles geschehen sein mag – zumal es unsicher ist, ob er wirklich je in einem Kloster hing.

Die Texttafel informiert in knappen, verständlichen Worten über Herkunft und Beschaffenheit des ausgestellten Objekts. Nicht zu viel und nicht zu wenig: Schon hier an der ersten Anlaufstation präsentiert sich die Aktion „Kunst geht fremd“ als Ergebnis fantasievoller und engagierter Museumspädagogik.

Der Erfolg der seit sechs Jahren laufenden Serie lässt sich klar an Zahlen ablesen: Beteiligten sich im Jahr 2011 gerade drei unterfränkische Museen, hat sich die Zahl bis heute vervierfacht. Neu dazugekommen sind dieses Jahr das Fastnachtsmuseum Kitzingen (mit dem Kostüm eines Karnevalsprinzen) und das Museum Schloss Oberschwappach (mit einer keltischen Bronzefibel). Neu ist auch der „Kunst geht fremd“-Stempelpass für besonders eifrige Besucher: Wer in einem der teilnehmenden Museen den regulären Eintrittspreis bezahlt hat, besucht die nächsten zehn zum halben Preis, das letzte gar umsonst.

Der Nonnenspiegel ist bis 6. November im Kulturspeicher zu sehen. Hier kontrastiert und ergänzt er die prunkvollen Ölgemälde von Habermann, Lütgendorff-Leinburg und anderen. Museum im Kulturspeicher, Würzburg. Tel. (09 31) 32 22 50. Öffnungszeiten: Di 13–18 Uhr, Do 11–19 Uhr, Mi und Fr–So 11-18 Uhr, jeden 1. Sonntag im Monat freier Eintritt. Homepage zur Aktion: www.kunst-geht-fremd.de

 
 
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