
Im Foyer ihrer Wirkungsstätte spricht Andrea Brandl, seit Januar Leiterin der Kunsthalle Schweinfurt, über das erfolgreiche Projekt „Kunst geht fremd“. Die Zahl der unterfränkischen Museen, die sich an der alljährlichen Kunsttauschaktion beteiligen, ist seit dem Pilotjahr 2011 erfreulich angewachsen. Wie genau funktioniert dieser Tauschprozess? Wer entscheidet, welches Kunstobjekt an welchen Ausstellungsort wandert? Nach Möglichkeit, so Brandl, wird nicht wechselseitig, sondern asymmetrisch getauscht. Ein Losverfahren läge nahe, doch man liebt den „kleinen Dienstweg“.
„Man spricht einfach miteinander und findet dann eine Lösung. Je außergewöhnlicher die Tauschobjekte und ihre neue Umgebung sind, desto besser. Würde man Gemälde gegen Gemälde tauschen, liefe sich die Sache schnell tot“, so Brandl. Die Jahresthemen legt man, immer um Weihnachten herum, in einer gemeinsamen Sitzung fest. In diesem Jahr wurde es also „Kunst geht fremd … und macht schön“.
Die Kunsthalle Schweinfurt, eigentlich spezialisiert auf deutsche Kunst des 20. Jahrhunderts, hat eine Prunk- und Schminkpalette des ägyptischen Königs Narmer in Empfang genommen. Auch wenn der dunkelgrauen Schieferpalette, gleich rechts neben dem Haupteingang, eine etwas lichtere Präsentation gut täte, beeindruckt sie doch sofort durch ihre Größe: 66 Zentimeter hoch und fast einen halben Meter breit. Normalerweise steht das prachtvolle Stück im Knauf-Museum Iphofen, das Reliefrepliken alter Weltkulturen beherbergt. Vermutlich hat Narmer, einstiger Besitzer der Palette, diese nicht wirklich zum Anmischen von Schminke verwendet, sondern einer Gottheit geopfert. Narmer war der letzte aus dem südlichen Oberägypten stammende König der vorgeschichtlichen Zeit. Er regierte zur Zeit der Reichseinigung von Ober- und Unterägypten um 3000 v. Chr.
Nur die Oberschicht schminkte sich
Die originale Reliefpalette, gefunden in Hierakonpolis („Stadt des Falken“) im Tempel des falkengestaltigen Himmelsgottes Horus, befindet sich heute in Kairo; die präsentierte Reliefreplik stammt aus dem Jahr 1970.
Ungewöhnlich üppig verziert, unterhält sie ihren Betrachter mit blutrünstigen Bildergeschichten. Die verschlungenen Hälse zweier Schlangenhalspanther auf der Vorderseite bilden eine Mulde zum Anmischen der schwarzen Augenschminkpaste. Der Name dieser Schminkfarbe „kohl“ hallt in unseren Begriffen „Kajal“ und „Kohle“ wider.

Wie Markus Mergenthaler vom Knauf-Museum Iphofen erklärt, haben sich in Ägypten damals vor allem die oberen Zehntausend geschminkt, das einfache Volk vermutlich nicht. Über ihre Funktionalität hinausgehend, symbolisiert die Schminkvertiefung die Sonnenscheibe – in Ägypten galt die Sonne als Gottheit. Die Figur des Königs dominiert in Übergröße beide Seiten der Palette. Die Hieroglyphen vor seinem Gesicht sowie oben zwischen den Kuhköpfen der Himmelsgöttin bilden seinen Namen: ein Wels für die Lautfolge „nar“, darunter ein Meißel für „mer“. Gewählt wurde jeweils die aussagekräftigste Ansicht: Der Meißel ist von der Seite, der Wels von oben abgebildet, um seine charakteristischen Barteln sichtbar zu machen.
Die Bildergeschichten sind in einzelnen Bildfeldern angeordnet und auf so genannte Standlinien gesetzt. Auf der oberen Vorderseite zieht der König feierlich aus, um seine geköpften Feinde zu besichtigen. Gefesselt und mit dem Kopf zwischen den Beinen liegen sie ihm säuberlich aufgereiht zu Füßen.

Die Vorderseite der Palette verrät, dass es sich hier um Unterägypter handelt. Dementsprechend trägt Narmer die eroberte unterägyptische Krone auf dem Kopf. In den Händen hält er Keule und Geißel-Zepter, und von seinem Gürtel hängt hinten ein Stierschwanz herab, der des Pharaos Macht und körperliche Kraft symbolisiert.
Narmers Begleiter haben – gemäß ihrem Rang bei Hofe – verschiedene Größen: Direkt vor dem König schreitet ein hoher Beamter, vor ihm – kleiner – eine Gruppe von vier Standartenträgern.
Wichtig scheint auch der Beamte, dem die persönliche Bedienung des Königs anvertraut ist. Mit einem Wassergefäß und den königlichen Sandalen folgt er seinem Herrn auf dem Fuße. Unterhalb der Mulde reißt ein Stier mit seinen Hörnern den zinnenbewehrten Mauerring einer Stadt ein. Sein Vorderhuf drückt einen Feind zu Boden, der die Arme wehrlos von sich streckt.
Auf der Rückseite trägt König Narmer nun die hohe oberägyptische Krone. Er hebt die Keule, um einen auf die Knie gesunkenen Feind zu erschlagen – einen Libyer, wie dem Fachmann dessen Haartracht, Phallustasche und Hieroglyphen verraten. Darunter liegen zwei Besiegte mit verrenkten Gliedern.
- Bericht von der Eröffnungsveranstaltung der Aktion
- Folge 1: Ein Nonnenspiegel aus Miltenberg
- Folge 2: Georg Ehmig, Bildnis der Gattin des Künstlers
- Folge 3: Eine 2500 Jahre alte keltische Fibel
Das seltsame Gebilde über dem Kopf des Libyers deutet ein Büschel Papyruspflanzen an, das aus einem länglichen Oval herauswächst, dem Schriftzeichen für „Land“. Zusammen bedeutet das: „Unterägypten“. Ein Kopf mit libyscher Frisur, über die Nase von einem Falken am Strick geführt, personifiziert das Landzeichen. Die Gesamtaussage des Ensembles lautet: „Der Himmelsgott Horus triumphiert über das besiegte und gefangene Unterägypten.“
Triumph der Ordnung über das Chaos
Dieses „Erschlagen des Feindes“ taucht in der ägyptischen Geschichte hier erstmals als Bildmotiv auf. Von nun an steht es für den Triumph der Ordnung über das Chaos und schreckt an den Tempeltoren potenzielle Feinde des nun vereinten Ägypten ab.
Viele Künstler der heutigen Zeit haben sich von der griechisch-römischen Antike, aber auch von der ägyptischen Kunst beeinflussen lassen. Als Beispiele zeigt Andrea Brandl im Erdgeschoss der Kunsthalle Gustav Seitz? „Sitzende Maja“ von 1958/59, deren gerade aufgerichteter Rücken der Figur etwas Starres, aber auch Stolzes verleiht. Lothar Fischers „Kniender weiblicher Torso“ (1983) mit seinen symmetrisch gespreizten Schenkeln und Heinrich Kirchners archaischer Figurenkegel „Guter Hirte“ weisen ebenfalls ägyptische Einflüsse auf.
Die Aktion „Kunst geht fremd. . .“
Zwölf Museen beteiligen sich dieses Jahr an den künstlerischen Seitensprüngen, die bis 6. November ausgewählte Objekte kreuz und quer durch Unterfranken reisen lassen. Unter dem Motto „Kunst geht fremd … und macht schön“ verlassen zwölf Kunstwerke ihr angestammtes Museum, um sich ein neues, temporäres Zuhause zu suchen.
In ungewohnter Umgebung sollen sie ihre Betrachter für ein paar Monate irritieren, provozieren und zu intensiverem Sehen anregen: Was ist Schönheit? In unserer Sommerserie stellen wir jedes der zwölf Kunstwerke vor.
Eine Broschüre führt durch die diesjährigen Seitensprünge, angenehm schmal und dünn und somit geeignet für jede Hand- und Jackentasche. Auf den letzten Seiten findet sich eine Liste aller Museen mit Öffnungszeiten, Adressen und Telefonnummern, begleitenden Veranstaltungen und eine Unterfrankenkarte mit allen teilnehmenden Ortschaften. Homepage zur Aktion: www.kunst-geht-fremd.de
Die Kunsthalle Schweinfurt im ehemaligen Ernst-Sachs-Bad ist auf deutsche Kunst nach 1945 spezialisiert, außerdem beherbergt sie die Sammlung Joseph Hierling mit Werken des Expressiven Realismus. Hinzu kommen Wechselausstellungen. Kunsthalle Schweinfurt, Rüfferstraße 4, Tel. (0 97 21) 51 47 21. Öffnungszeiten: Di.–So. 10–17 Uhr, Do. 10–21 Uhr, jeden 1. Donnerstag im Monat freier Eintritt. www.kunsthalle-schweinfurt.de maw